Sie setzten in der Modefotografie neue Maßstäbe. Die Deichtorhallen zeigen ab Freitag die weltweit erste Retrospektive.

Hamburg. Für ihre weltweit erste Retrospektive muss die alte Dame weit reisen. Die befindet sich nämlich nicht etwa in New York oder der Modemetropole Paris, sondern in Hamburg. Hier im Haus der Photographie der Deichtorhallen ist von heute an bis zum 21. Februar die Schau "Lillian Bassman & Paul Himmel" zu sehen. Die 92-jährige Amerikanerin Lillian Bassman zeigt sich bewegt von der Wertschätzung: "Ich bin einfach überwältigt." Sie kommt allein, der Fotograf Paul Himmel, über 75 Jahre ihr Lebenspartner und Ehemann, starb Anfang des Jahres - mit 95 Jahren.

In ihrem Künstleranzug samt Turnschuhen, mit dem strengen, grauen Zopf und dem immer noch schelmischen Blick durch die Fliegenbrille sieht die zierliche Frau auch heute noch wie eine Rebellin aus. So wie damals in den 40er- und 50er-Jahren, als sie zunächst als Art-Direktorin der Modepostille "Junior Bazaar" und später bei "Harper's Bazaar" über eine neue Bildsprache nachdachte, Fotografen wie Richard Avedon oder Robert Frank maßgeblich förderte und auch selbst zu einer experimentierfreudigen Modefotografin wurde. Immer im engen Austausch mit ihrem Ehemann, dem Fotografen Paul Himmel, der wie sie selbst aus einer russischen Einwandererfamilie New Yorks stammte. Seit frühester Jugend waren die beiden unzertrennlich. Jeder verfolgte sein Werk individuell, doch in ihrer Suche nach einer neuartigen Bildsprache waren sie stets vereint.

Schon früh experimentierte Lillian Bassman in der Dunkelkammer, verfremdete ihre Arbeiten, bleichte hier ein paar Stellen aus, verwischte dort die Konturen und ließ sie dadurch fast wie Aquarelle erscheinen. Eine Zeit lang hatte sie sich auch der bildenden Kunst zugewandt. In der Zeit der großen Depression verbrachte sie mit ihrem Mann Stunden im Metropolitan Museum in New York und ließ sich von Bellini oder Giotto inspirieren. "Ich war eine schlechte Malerin. Ein Bild dauerte manchmal ein Jahr, dazu war ich zu ungeduldig", sagt sie. Ihre Fotoarbeiten, wie das bekannte "A Report to Skeptics, Suzy Parker, 1952" zeigen die Frau in ihrer Weiblichkeit, Anmut und Schönheit. Mit ihren Schwanenhälsen und zerbrechlichen Figuren scheinen sie, wie etwa in "Born to Dance, Margie Cato, Kleid von Emily Wilkins, New York, 1950", fast hinter den opulenten Kostümen und Rüschen zu verschwinden.

Paul Himmel wandte sich nach Arbeiten für die "Vogue" und "Harpers's Bazaar" verstärkt der freien Fotografie und der Sozialreportage zu. Unzählige Aufnahmen, wie "Brooklyn Bridge View, New York, 1946-1950", zeigen Ansichten der amerikanischen Kulturmetropole. Legendär wurden seine Aufnahmen des New York City Ballet aus den 50er-Jahren. Ihren Tanz fror er nicht in Standbildern ein, sondern verewigte sie mit extremen Langzeitbelichtungen als Studien lebendiger Bewegung.

Bassman blieb die Erfolgreichere der beiden. Manch einem war ihrer beider Kunst womöglich zu sehr Avantgarde. Neue Fotografen drängten ins Feld. Bereits Ende der 60er-Jahre legten sie ihre Kameras aus der Hand. Bassman begann zu unterrichten, Himmel wurde Psychotherapeut. In den 90er-Jahren fingen sie an, ihre frühen Arbeiten digital zu bearbeiten.

"Sie waren radikal zu ihrer Zeit. Ihre Kunst war zwar nicht Punk, aber Jazz", sagte Deichtorhallendirektor Dirk Luckow. "Sie waren Hippies noch vor der Hippie-Ära." Den Schleier des Gefälligen, mit dem die Modefotografie behaftet war, legten sie ab zugunsten einer unkonventionellen Bildsprache. Mit der Ablichtung von Magermodels hatte das wenig zu tun.

Das Zustandekommen dieser Ausstellung mit über 400 Exponaten ist einer zufälligen Begegnung zu verdanken, die Ingo Taubhorn, Kurator des Hauses der Photographie der Deichtorhallen, die Moderedakteurin Brigitte Woischnik und die Bassman-Himmel-Familie zusammenführte. Bald sichtete man gemeinsam Hunderte von Abzügen im New Yorker Wohnhaus des Paares. Schließlich kam die Ausstellung ohne jede amerikanische Beteiligung zustande. Angesichts der ungebrochenen Modernität und Frische der Bilder dürfte es gelingen, dieses ungewöhnliche Künstlerduo dem Vergessen zu entreißen.

Retrospektive Lillian Bassman & Paul Himmel 27.11. bis 21.2., Di-So 11-18 Uhr, Haus der Photographie/Deichtorhallen, Deichtorstr. 1-2, ; www.deichtorhallen.de