Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar (55) erwartet von der Bundesregierung eine Modernisierung des Datenschutzrechts .

Berlin. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar (55) erwartet von der Bundesregierung eine Modernisierung des Datenschutzrechts und sieht bei den Bürgern einen "riesigen Nachholbedarf" im Umgang mit den eigenen Daten. Das Abendblatt sprach mit dem Hamburger, dessen Behörde Dienstsitze in Berlin und Bonn hat.

Hamburger Abendblatt :

Herr Schaar, der neue Bundesinnenminister Thomas de Maizère will Datenschutz zu einem Schwerpunkt machen will. Was versprechen Sie sich davon?

Peter Schaar:

Ich freue mich über die Ankündigung und erwarte, dass es im Datenschutzrecht zu einer notwendigen Modernisierung kommt. Es ist in seiner Struktur 30 Jahre alt. Die Regelungen sind umständlich und teilweise schwer umzusetzen. Wir brauchen klare Leitlinien für den Umgang mit Daten. Dabei muss auch das Internet für mehr Transparenz der gespeicherten Daten genutzt werden.

Abendblatt:

Was meinen Sie konkret damit?

Schaar:

Jeder Bürger sollte zum Beispiel das Recht erhalten, elektronischen Zugang zu den Daten zu bekommen, die über ihn gespeichert sind. Über das Internet soll jeder Betroffene mit einem gesicherten Identitätsnachweis bei einer Firma oder einer Behörde nachsehen können, was dort über ihn gespeichert ist, wo die Daten herkommen und wohin sie übermittelt wurden.

Abendblatt:

Was fordern Sie außerdem?

Schaar:

Der Beschäftigtendatenschutz muss verbessert werden. Es fallen immer mehr sensible Informationen über den Arbeitnehmer an, die ihn kontrollierbar machen. Das geht von der Ortung des Diensthandys bis zur Kontrolle des Surfverhaltens im Internet. Dieses Problem ist auch in den Skandalen um die Mitarbeiterüberwachung bei Lidl, der Deutschen Bahn und teilweise auch bei der Telekom deutlich geworden. Deshalb brauchen wir dringend klarere Regelungen, welche Daten Arbeitgeber über ihre Beschäftigten verarbeiten dürfen.

Abendblatt:

Ist Ihre Behörde gut genug aufgestellt?

Schaar:

Ich begrüße es, dass im Koalitionsvertrag auch eine personelle Verstärkung meines Hauses vorgesehen ist. Wir arbeiten seit Jahren am Rand unserer Kapazität. Auch die Instrumente der Datenschutzaufsicht müssen verbessert werden.

Abendblatt:

Inwiefern?

Schaar:

Zwar können die Aufsichtsbehörden seit Kurzem bei besonders schweren Datenschutzverstößen Unternehmen die Datenverarbeitung untersagen. Ich habe diese Möglichkeit gegenüber den Post- und Telekommunikationsunternehmen, für die ich zuständig bin, jedoch nicht. Ich kann dort nicht einmal direkt ein Bußgeld verhängen, wenn ich einen Datenmissbrauch feststelle. Auch gegenüber Behörden müssen die Datenschutzbeauftragten wirksamere Mittel erhalten, mit denen sie Datenschutzverstöße abstellen können.

Abendblatt:

Die Datenskandale reißen nicht ab. Ist der Schutz der Daten außer Kontrolle geraten?

Schaar:

Die Daten sind außer Kontrolle geraten. Als das Datenschutzgesetz entstanden ist, gab es einige wenige Großrechner, die zwar viele Daten verarbeiteten, aber verhältnismäßig leicht zu kontrollieren waren. Heute gibt es eine viel unübersichtlichere Landschaft der Informationstechnik mit PCs, Laptops, Handys und tragbaren kleinen IT-Systemen. Somit entstehen viele Daten nicht mehr unter der Kontrolle des Betroffenen, sondern werden von Dritten, etwa im Internet, erhoben. Da entsteht ein erhebliches Missbrauchspotenzial.

Abendblatt:

Was macht Daten so wertvoll?

Schaar:

Daten sind ein Wirtschaftsgut, denn sie lassen sich für die Anbahnung von Geschäften verwenden. Ein Beispiel ist das Telefonmarketing oder die gezielte Zustellung von Werbung. Daten lassen sich verwenden, um das individuelle Risiko, das man eingeht, wenn man eine Geschäftsbeziehung aufbaut, zu bemessen, etwa durch Vergabe von Scorewerten. Wer einen schlechten Scorewert hat, bekommt keinen Kredit oder muss höhere Zinsen zahlen, obwohl er sich nichts hat zuschulden kommen lassen.

Abendblatt:

Sind die Daten die Goldklumpen des 21. Jahrhunderts?

Schaar:

Das ist ein netter Vergleich. Daten sind die wichtigste Cyberwährung, und das Internet ist der Klondike, der Goldgräberfluss, in dem viele Unternehmen nach persönlichen Daten wie nach Goldkrümeln suchen.

Abendblatt:

Wer ist "datenhungriger": der Staat, die Wirtschaft oder private Hacker?

Schaar:

Schwer zu sagen. Die meisten Daten hat aber eindeutig die Wirtschaft. In den 70er-Jahren hatte der Staat die größeren Datensammlungen, wenn man etwa an die Melderegister oder Volkszählungsdaten denkt. Durch ihre schlichte Menge und Vielfalt werden die Daten auch aussagekräftiger. Das Problem ist heute nicht der Staat als Big Brother, der zentral alle Informationen über die Bürgerinnen und Bürger speichert. Das eigentliche Problem sehe ich in den Little Sisters in der Wirtschaft, die überall gezielt oder beiläufig persönliche Daten sammeln, auf die der Staat aber zunehmend einen Zugriff beansprucht.

Abendblatt:

Wissen die Menschen genug darüber, wie sie ihre Daten schützen können?

Schaar:

Nein. Es gibt einen riesigen Nachholbedarf auf verschiedenen Ebenen. Hier muss viel getan werden, etwa im Bereich Erziehung und Bildung, vom Kindergarten an. Kindern und Jugendlichen muss ein Gefühl dafür vermittelt werden, wo Gefahren im Umgang mit Daten lauern. Sie müssen lernen, wie man verantwortungsbewusst mit den eigenen Daten umgeht. Genauso wie die Eltern ihren Kindern beibringen, wie sie über die Straße gehen, damit sie nicht überfahren werden.

Abendblatt:

Was wäre Ihr wichtigster Rat?

Schaar:

Auf keinen Fall soll man unter echtem Namen sensible, persönliche Daten ins Internet stellen und niemals der elektronischen Identität eines Unbekannten trauen. Das typische Beispiel ist ein Pädophiler, der sich unter der Identität einer 13-Jährigen in SchülerVZ einschleicht, um so Kontakte zu knüpfen. Eine gesunde Portion Misstrauen und Kritikfähigkeit zu vermitteln und dabei auf die Besonderheiten des Internets einzugehen ist besonders wichtig.