Ein Lehrstück über die Krise: Matt Damon als Biochemiker Mark Whitacre, der Preismanipulationen seines Konzerns auffliegen lässt.

Das vielleicht größte Rätsel der keineswegs überwundenen Krise besteht darin, dass es keiner gewesen sein will. Gewiss, die neue globale Komplexität verteilt Verantwortung auf viele Schultern. Die Anzahl der Banker, die gravierende Irrtümer eingestehen, lässt sich jedoch an den Fingern einer Hand abzählen, und bankrottierende Manager duschen in Unschuld. Die Liberalen haben der Neolib-Lehre nicht abgeschworen, und die Apologeten sich selbst regelnder Märkte predigen weiter, als habe das System nur Schluckauf gehabt. Die simpelste Erklärung ist natürlich, dass niemand gern Fehler zugibt. Morgen nun kommt ausgerechnet ein Hollywood-Unterhaltungsfilm in die Kinos und bietet eine viel tiefer schürfende Analyse an - ohne ein einziges Mal "Krise!" zu rufen.

Matt Damon gibt in "Der Informant" Mark Whitacre, Biochemiker und Vizepräsident bei Archer Daniels Midland (ADM). Die Firma existiert tatsächlich und ist einer jener unbekannten Konzerne, die jeden tangieren: Kaum ein Lebensmittel, ein Getränk oder eine Tiernahrung, worin nicht Getreide oder Ölsaat stecken, die von ADM verarbeitetet wurden. Ein ADM-Gewinnbringer ist die Aminosäure Lysin, die den Nährwert von Viehfutter steigert. Bedauerlicherweise gibt es andere Lysin-Hersteller, und so griff ADM zu dem verbreiteten, aber illegalen Mittel der Preisabsprache mit französischen und japanischen "Konkurrenten"; manchmal muss der Markt eben doch reguliert werden.

Eines Tages in den frühen 90er-Jahren vertraute sich der reale Mark Whitacre dem FBI an: "Jawohl, meine Chefs teilen sich den Markt mit den ,Wettbewerbern' systematisch auf!" Die Geschichte sieht zunächst nach dem klassischen Ausplauder-Drama aus - auch wenn die Ermittler sich doch wunderten, was Whitacre wohl zu seiner Enthüllung veranlasste.

Die Frage blieb unbeantwortet; am Ende sollte der Skandal ADM eine halbe Milliarde Dollar kosten. Das FBI rüstete Whitacre mit verstecktem Mikrofon und Sender aus, und der lieferte seine Chefs ans Messer; eine wasserdichtere Anklage von Preismanipulation gab es wohl nie.

Eigentlich ist Matt Damon ein Schauspieler ohne Charakteristika, aber wenn man doch eines nennen sollte, ist es seine Jungenhaftigkeit, die er auch mit Ende dreißig nicht ganz verloren hat. Sie steht ihm gut als Mark Whitacre, der sich mit der Lust eines kleinen Jungen am Geheimagentenspiel in seine Maulwurfsrolle wirft.

Aber Regisseur Steven Soderbergh signalisiert, dass da mehr ist als Unbefangenheit. Damon hat für die Rolle 15 Kilo angespeckt, das Gesicht spielt ins Teigige, er pflegt sein Toupet, trägt einen Schnauzer und eine bekloppte Brille. Außerdem lässt Soderbergh seine Hauptfigur als Erzählerstimme durch den Film führen, was häufig eine Krücke darstellt, um Sprünge zu kaschieren - hier jedoch einen raffinierten Kontrapunkt bildet: Der Whitacre, den wir sehen, passt immer weniger zu dem Whitacre, den wir hören.

Ihre Wendigkeit bezieht die Figur Whitacre nicht aus der Fähigkeit, skrupellos lügen zu können. Ihre Stärke liegt in der Fähigkeit zur Selbsttäuschung. Whitacre fehlt das Bewusstsein, dass sein moralischer Kompass komplett ausgenordet ist. Er nennt sich Agent 0014, "weil ich zweimal so clever wie James Bond bin", und selbst als man ihn überführt, die Konten seines Arbeitgebers geplündert zu haben, behauptet er weiter im Brustton der Überzeugung: "Aber ich bin doch der Gute in dieser Affäre!"

Dieser Erklärungsansatz stößt ins Herz der Finsternis vor, ins Innerste der Krise, in das Denken der Manager, die sich trotz Millionenverlusten Millionenboni genehmigen und Modellrechnungen erstellen, wie viele sie entlassen müssen, damit die Aktien ihrer Firma ein paar Tage ein paar Prozent steigen. Schon ganz am Anfang, als Matt Damon noch sorgenfrei in seinem roten Porsche durch die Gegend flitzt, stellt Soderbergh das Bild einmal kurz auf den Kopf, wie zur Warnung, dass in den nächsten anderthalb Stunden Schwarz behaupten wird, Weiß zu sein.

"Der Informant" ist Soderberghs vierter Film seit der Jahrhundertwende, der sich mit ökonomisch-politischen Realitäten auseinandersetzt. Aus "Erin Brockovich" sprach noch die Zuversicht, Einzelne könnten etwas zum Guten wenden, "Che" lieferte schon eine Handlungsanleitung zum gemeinschaftlichen Umsturz. "The Girlfriend Experience" (in Amerika im Sommer herausgekommen, in Deutschland ist noch kein Starttermin in Sicht) rückt der Wirtschaftselite aus der Sicht eines Callgirls auf die Pelle, und "Der Informant" schmuggelt sich nun direkt in deren Kopf.

Wer hätte gedacht, dass Psychopathologie so amüsant und unterhaltsam sein kann.