Wäre der Kriminalroman ein Mensch, dann stellte das Gros der Literaturkritiker ihn sich etwa so vor: angeschmuddelter Mittvierziger im abgeschabten Ledermantel.

Den Kragen hochgestellt zertritt er eine Kippe. Dann wirft der Krimi einen letzten Blick - halb spöttisch, halb sehnsuchtsvoll - durch die regennasse Scheibe in den "Salon". Dort thront die große Dame Literatur in edlem Fauteuil, vor ihr kniet das "Föjtong" und reicht Häppchen. Zum Salon hat der Krimi leider keinen Zutritt. Er trägt das "T" auf der Stirn, das Stigma Trivial. Der Krimi wendet sich schulterzuckend ab und geht in die Nacht. Er schlüpft in Schlafzimmer und Küchen, fährt U-Bahn, er kriecht unter Decken und stellt sich ins Licht greller Leuchtstoffröhren. Dort ist er willkommen. Denn es gibt jemanden, der ihn will. Der Einzige, auf den es ankommt. Den Leser.

Und es gibt einen Ort, an dem der Krimi mehr als an allen anderen zu Hause ist. Nicht New York. Nicht Schweden, wo jeder dritte Zahnarzt in seiner Freizeit Krimis schreibt, weil sich Namen mit -son-Endung in Deutschland so gut verkaufen lassen. Es ist: Hamburg. Die diskrete Krimihauptstadt Deutschlands, die sich leider sehr hanseatisch-vornehm zurückhält mit Stolz, die belletristisch kriminellste zu sein. Nirgends ist die Dichte an Krimiautoren so hoch wie hier, von Auflagenköniginnen bis zu Stadtteil-Heroen, die (noch) unter "Geheimtipp" laufen. Irgendwo ist immer eine Straße gesperrt für Dreharbeiten von "Großstadtrevier" bis "Notruf Hafenkante". Dinnerkrimis, Krimi-Stadttouren, Krimitheater, Krimilesungen, Krimischnitzeljagden durch die Quartiere. Tapfere Krimi-Editionen und wuchtige Großverlage mit gehätscheltem Programm Noir, das das Geld einspielt, um die "hohe Literatur" zu finanzieren. Beim Stichwort "Hamburg + Krimi" wirft Amazon 705 Ergebnisse aus - nicht mitgerechnet jene, die das Etikett Hamburgkrimi nicht dranschreiben. Und als Sahnehäubchen, nun schon im dritten Jahr: das Krimi-Festival. Das es nicht gäbe, wenn es Sie nicht gäbe. Den Leser.

Die Tür zum Salon öffnet sich einen Spalt. "Hallo? Herr Krimi? Wollen Sie nicht ... hereinkommen?" Der Krimi lacht kurz auf. "Wozu?"

Er weiß, wohin er gehört. Auf Ihren Nachttisch. Nicht ins Steckkissen.

Hamburger Ermittlungen & Wiener Wut Lesung mit Carmen Korn & Karl Olsberg, Fr 6.11., 20.00, Axel-Springer-Passage (U Gänsemarkt), Caffamacherreihe 1, Karten zu 10,- unter T. 30 30 98 98; Infos im Internet: www.krimifestival-hamburg.de

Nina George schreibt jede Woche in LIVE und liebt Hamburg.