Die ARD zeigt neue Folgen der innovativen BBC-Serie “Sherlock“ um einen narzisstischen, genialen Privatdetektiv zur besten Sendezeit.

Ein ungeschriebenes Gesetz der deutschen Fernsehunterhaltung lautet: Die Perlen laufen für gewöhnlich nach Mitternacht. Auf irgendwelchen Spartenkanälen. Umso überraschender die Entscheidung der ARD, sonst nicht unbedingt für mutige Programmgestaltung bekannt, die zweite Staffel der innovativen BBC-Reihe "Sherlock" zur besten Sendezeit zu zeigen, wo sonst Figuren mit einer genialen Fähigkeit das Offenkundige feststellen, auf Heiratsschwindler reinfallen oder einen Ponyhof flottmachen.

"Sherlock" ist anders: rastlos, cool, gemein, doppelbödig. Die detektivische Brillanz, die Sir Arthur Conan Doyle seinem Meisterermittler aus der 221b Baker Street unter den Karohut stopfte, ist in einer Art in Bilder und Sprache übersetzt, die mit komplex unzu-reichend beschrieben ist. Holmes (Benedict Cumberbatch) sieht nicht, er nimmt wahr. Zahlenkombinationen, Atemmuster, chemische Reaktionen. Fälle löst er nicht im Nahkampf, sondern im Kopf. Die Kamera bohrt sich in die Hirnwindungen, SMS-Botschaften sausen in leuchtend weißen Druckbuchstaben über den Bildschirm, Displays surren und blinken - eine Ästhetik, wie man sie aus "24" oder den "Minority Report"-Filmen kennt. Thrill, Action, Überforderung als Stilprinzip.

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Das viktorianische London ist ei-ner zerklüfteten Stadtkulisse, schwindelnd hohen Brücken, menschenleeren Betonarealen gewichen. Das Pfeifeschmauchen vor leise loderndem Kaminfeuer einem am Laptop wild bloggenden Dr. John Watson (Martin Freeman), einem Afghanistanheimkehrer mit Zitterhänden, der die Ermittlererfolge des Duos in die Welt hinausposaunt. Zur (unfreiwilligen) Aufwartung im ehrwürdigen Buckingham-Palast erscheint Holmes nackt, halbherzig umhüllt von einem Bettlaken.

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Es ist eher eine Krankheit als eine Gnade, ein Superheld zu sein, das gilt auch für den Gentleman-Detektiv mit dem rasenden Intellekt. "Gefühle sind ein chemischer Defekt", pflegt Holmes zu sagen - und blickt im ersten neuen Fall, "Ein Skandal in Belgravia", ausgerechnet in die Raubtieraugen einer sinnlich-gefährlichen Frau, die so gern Spielchen spielt, Denkfaulheit ebenso verachtet wie er. "Grips finde ich sexy", sagt Irene Adler zur Begrüßung; ihren Safe hat sie mit der Zahlenkombination ihrer Körpermaße verschlüsselt.

Ein Zufall ist lediglich eine Erklärung, die noch auf sich warten lässt, lautet Holmes' Arbeitshypothese, mit der er dem internationalen Terrorismus, CIA-Verschwörungen und anderen Superschweinereien mit der Arroganz des Besserwissenden gegenübertritt. Nicht des Geldes wegen erledigt er diesen Job, nein, er ist fasziniert von Verbrechen, Macht, Drogen. Manipulative Ermittlungsmethoden stehen auf der Tagesordnung, wer ihm zu nahe kommt, fliegt auch mal aus dem Fenster und landet mit einem metallischen Klonk drei Stockwerke tiefer - Ausgang ungewiss.

"Langweilen Sie mich nicht", trägt Holmes jedem auf, der seinen Weg kreuzt: seinem Partner, den Auftraggebern, den um seine Mithilfe bettelnden Behörden. Dieser Mann will ein Rätsel, das seinen Verstand tanzen lässt.

Cumberbatchs Holmes ist ein Narziss, Internet-Philosoph, künstlich-intelligenter Freak - und bleibt doch im Kern der archetypische Ermittler mit dem Überschuss an Verstand, dessen Faszination schon viele Autoren erlegen sind, zuletzt Guy Ritchie.

"Langweilen Sie mich nicht" - niemand jedoch hat diese Aufforderung so wörtlich genommen und in Bilder gepackt wie die Autoren Steven Moffat und Steve Thompson, die Regisseure Paul McGuinan und Toby Haynes in der BBC-Reihe, die 2010 auf Sendung ging und der nicht ganz zu Unrecht das Etikett anhaftet: "Beste Serie aller Zeiten". Vor lauter Tempo vergisst man leicht das Atemholen, die Schlagfertigkeit des Detektivs mit den Wangenknochen, an denen man Wäsche aufhängen könnte, macht Dialoge zu Zweikämpfen. Holmes, so viel steht fest, wird Gott überleben, nur damit er das letzte Wort haben kann.

"Sherlock - Ein Skandal in Belgravia", Donnerstag, 20.15 Uhr, ARD. "Die Hunde von Baskerville" und "Der Reichenbachfall" laufen Pfingstsonntag und Pfingstmontag (21.45 Uhr) in der ARD.