Nach dem verlorenen Volksentscheid um die Primarschule stellte sich Hamburgs Schulsenatorin am Abendblatt-Telefon den Fragen der Leser.

Hamburg. Am 18. Juli haben die Hamburger die Einführung der sechsjährigen Primarschule per Volksentscheid gestoppt. Damit bleibt es bei der vierjährigen Grundschule. Als weiterführende Schulen wird es nur noch das Gymnasium (Abitur nach zwölf Jahren) und die Stadtteilschule geben, die das Abitur nach 13 Jahren ermöglicht. Wenige Wochen vor Beginn des neuen Schuljahres bedeutet das viel Planungsarbeit für die Schulen und die Schulbehörde, aber auch jede Menge offene Fragen bei Eltern und Schülern. Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) nahm sich dennoch die Zeit, den Abendblatt-Lesern während einer Telefonaktion Rede und Antwort zu stehen. Auch per E-Mail konnten Fragen gestellt werden, die die Senatorin beantwortete. Ein Auszug:

+++ Behörde verspricht: "Jedes Kind hat einen Schulplatz" +++

Angela Rambow, Klein Borstel:

Mein Sohn kommt jetzt in die dritte Klasse. Vor zwei Jahren bei der Einschulung hieß es, ein 26. Kind wäre zu viel in der Klasse. Nun sind es mittlerweile 28, und nach den Sommerferien sollen es 30 werden. Wie ist das möglich?

Christa Goetsch:

Das ist natürlich nicht möglich, dass 30 Kinder in eine Klasse gehen. Das ist offenbar ein organisatorisches Problem der Schule. Wir als Behörde werden das prüfen.

Ilknur Tas, Steilshoop, zwei Kinder:

Werden Förderschulen abgeschafft?

Goetsch:

Nein, Eltern können wählen, ob sie ihr Kind an einer Förderschule oder an einer Regelschule anmelden, das ist ihnen freigestellt. Und alle Kinder, die in einer Förderschule sind, können dort bleiben, es wird keine Schule abgeschafft. Es gibt manche Förderschulen, die jetzt schon mit Regelschulen kooperieren.

Nachfrage Ilknur Tas:

An Grundschulen gibt es zu wenig Ganztagsangebote. Bleibt das so, nachdem die Primarschule abgelehnt wurde?

Goetsch:

Diese Lücke ist tatsächlich da, es gibt deutlich weniger Grundschulen mit einem Ganztagsbetrieb als weiterführende Schulen. Deshalb haben wir geplant, dass von Klasse eins bis vier oder auch von der Vorschule bis zur vierten Klasse die Grundschulen betreute Grundschulen bis in den Nachmittag werden und auch in den Ferienzeiten öffnen. Das geht in diesem Jahr los und wird Schritt für Schritt ausgebaut. In diesem Sommer starten fünf neue betreute Grundschulen und im nächsten Jahr nach jetzigem Planungsstand noch einmal 14.

Susanne Küther, Rahlstedt, zwei Kinder:

Meine Tochter kommt jetzt in die 4. Klasse. Mein Sohn ist auf die Erich-Kästner-Gesamtschule gegangen, er kommt jetzt in die 9. Klasse. Können wir unsere Tochter auch dort anmelden, obwohl das eine Stadtteilschule wird?

Goetsch:

Ja, Eltern können ihre Kinder nach der 4. Klasse auf allen weiterführenden Schulen anmelden, egal ob Gymnasium oder Stadtteilschule, solange die Kapazitäten da sind. Und wenn es so viele Anmeldungen gibt, dass Schüler abgewiesen werden müssen, dann zählt die Wohnortnähe, aber auch die gemeinsame schulische Betreuung von Geschwistern.

Kirsten Svanström, per Mail:

Wie hoch sind die bisherigen Ausgaben für die Organisation zur Einführung der Primarschule?

Goetsch:

Ein erheblicher Teil der Mittel für die Planung und Umsetzung der Schulreform entfällt auf die umfangreiche Fortbildungsoffensive und die Schulentwicklungsplanung. Die bisherigen Kosten für die Einführung der Primarschule lassen sich so nicht herausrechnen. Dabei ist zu bedenken, dass die Reform mehr als die Einführung der Primarschule umfasst - zum Beispiel die Einführung der Stadtteilschule, kompetenzorientierte Bildungspläne und die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte behinderter Kinder.

Nachfrage Kirsten Svanström:

Wieso treten Sie nicht zurück?

Goetsch:

Ich trete nicht zurück, weil viele Elemente der Schulreform nicht Gegenstand des Volksentscheids waren und nun wie geplant umzusetzen sind - neben der Einführung der Stadtteilschulen sind dies die Individualisierung des Unterrichts, der Ausbau der Ganztagsschulen, die Abschaffung des Sitzenbleibens, Englisch ab Klasse eins, eine vertiefte Berufsorientierung, die Neugestaltung des Übergangs Schule/Beruf, die Sanierung der Schulgebäude und vieles mehr. Die Schulreform bleibt also ein großes Vorhaben, und dafür werde ich weiterarbeiten.

Mariusz Rejmanowski, Wilhelmsburg, vier Kinder:

Eltern von Schülern an Schulen mit einem privaten Träger müssen das Büchergeld offenbar weiter bezahlen. Das betrifft insbesondere alle katholischen Schulen, auch die Schule Bonifatiusstraße in Wilhelmsburg, in der Sie früher unterrichtet haben. Warum wird das Büchergeld nicht für alle abgeschafft?

Goetsch:

Die Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft in Hamburg ist im Vergleich mit anderen Ländern vorbildlich - ob Privatschulen von ihren Schülerinnen und Schülern Büchergeld erheben oder nicht, ist Sache des Schulträgers.

Uwe Hirschfeld, per Mail:

Unsere Tochter hat nach Beendigung der vierten Klasse und Verabschiedung in ihrer alten Schule vor Kurzem eine neue Klassenzuweisung in der Schule erhalten, gegen die wir im April Widerspruch eingereicht haben. Wann werden die Widersprüche aus dem Monat April bearbeitet?

Goetsch:

Leider mussten sehr viel mehr Wünsche von Eltern, das Kind möge eine ganz bestimmte Schule besuchen, zurückgewiesen werden, als das in der Vergangenheit der Fall war. Der Grund hierfür ist die von allen Seiten ja begrüßte Verkleinerung der Eingangsklassen (1. Klassen und 5. Klassen). Deshalb sind auch mehr Widersprüche eingegangen als in den Vorjahren. Zwischenzeitlich konnte die Mehrzahl der Widerspruchsverfahren in unserer Rechtsabteilung abgearbeitet werden. Dazu muss bemerkt werden, dass die Widersprüche zunächst in den Schulen bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist gesammelt wurden, um im nicht seltenen Fall des Freiwerdens von Plätzen diese gerecht unter allen Widersprechenden vergeben zu können. Sodann haben die Schulen die Widersprüche mit den Akten Anfang Juni an die Rechtsabteilung abgegeben. Das Verfahren wird streng nach der Verwaltungsgerichtsordnung geführt und hat mit schulpolitischen Streitfragen nichts zu tun.

Dagmar Welke, Harburg:

Ich bin Lehrerin einer Grundschule, die bislang Abteilung einer Gesamtschule war. Wir sind enttäuscht, nicht Primarschule werden zu können, möchten aber unbedingt eigenständig werden. Können wir das selbst entscheiden?

Goetsch:

Sie sind jetzt zunächst eine eigenständige Grundschule mit vier Jahrgangsstufen und gegebenenfalls Vorschule. Sollte die Bürgerschaft bei der anstehenden Gesetzesänderung die Möglichkeit vorsehen, kann Ihre Grundschule den Wunsch äußern, wieder eine Abteilung der Gesamtschule zu werden, die künftig ja eine Stadtteilschule ist. Umgekehrt kann auch die Stadtteilschule auf Sie zukommen. Aber ohne Ihr Einverständnis geht es nicht. Die Grundschule kann nicht zwangsvereinnahmt werden.

Susanne Klinkert, Kollow:

Kommt es zu den geplanten Fusionen der Grundschulen im Bereich Vier- und Marschlande, oder bleiben die Grundschulen in alter Form bestehen?

Goetsch:

Diese Möglichkeit besteht, wenn die Schulen dies wünschen. Alle Schulen werden zum Schuljahresbeginn aber zunächst so starten, wie es bisher geplant war.

Peter Weimann, Hamburg, per Mail:

Sehr zu begrüßen ist die angekündigte Reduzierung der Klassenstärke auf 23, beziehungsweise 19 Kinder. Warum aber gilt für Gymnasien nicht eine vergleichbare Verkleinerung, denn hier soll die Frequenz bei 28 Schülern liegen? Es entsteht der Eindruck, dass das Gymnasium als Ihr offenbares "Stiefkind" benachteiligt werden soll.

Goetsch:

Die unterschiedlichen Obergrenzen für die Klassenstärken liegen vor allem darin begründet, dass in den Grundschulen der gesamte Schülerjahrgang unterrichtet wird, während an den Gymnasien nur der leistungsstärkere Ausschnitt unterrichtet wird. Daraus ergeben sich für die Grundschulen höhere Anforderungen an die individuelle Förderung, die durch kleinere Klassen ausgeglichen werden.

Norbert Bloch, Hamburg, per Mail:

Kann ich mich als Bürger darauf verlassen, dass die GAL in den nächsten zehn Jahren einen "Schulfrieden" ohne Primarschule garantiert?

Goetsch:

CDU, GAL und SPD haben sich am 23. Februar 2010 im "Schulfrieden" darauf verpflichtet, für die nächsten zehn Jahre die beschlossenen Schulstrukturen mit sechsjähriger Primarschule und den beiden weiterführenden Schulformen der Stadtteilschule und des Gymnasiums nicht zu ändern. Die Vereinbarung bezog sich also auf die vor dem Volksentscheid geplante neue Schulstruktur. Dessen ungeachtet aber gilt: Ich respektiere das Ergebnis des Volksentscheids ohne Wenn und Aber. Darum wird die Schulbehörde keinen Schulversuch ausschreiben. Es bleibt aber den Schulen unbenommen, nach § 10 des Schulgesetzes ihrerseits einen Antrag auf Durchführung eines Schulversuchs zu stellen.