Altbürgermeister lehnt die geplante Primarschule ab. Heute Plädoyers im Abendblatt

Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister Henning Voscherau (SPD) spricht sich in einem Gastbeitrag für das Hamburger Abendblatt erstmals klar gegen die sechsjährige Primarschule aus. Wenige Tage vor dem Volksentscheid über die Schulreform am Sonntag geht Voscherau damit auf Gegenkurs zu seinen Amtsvorgängern und Parteifreunden Hans-Ulrich Klose und Klaus von Dohnanyi, der ebenfalls in einem Gastbeitrag sein Ja zur Primarschule untermauert.

Am Sonntag entscheiden die Hamburger per Volksabstimmung über zwei Vorschläge: Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der schwarz-grüne Senat und die Oppositionsfraktionen SPD und Linke in der Bürgerschaft sind dafür, dass das gemeinsame Lernen von vier auf sechs Jahre verlängert wird. Dagegen will die Volksinitiative "Wir wollen lernen", dass es wie bisher bei der vierjährigen Grundschule bleibt.

Voscherau wirft den Reformbefürwortern vor, den Beweis für die angebliche Überlegenheit der Primarschule nicht geliefert zu haben. "Die inhaltliche Bringschuld von Senat und Bürgerschaft zu der Kernfrage, warum Kinder (und zwar gezwungenermaßen alle) in sechs gemeinsamen Jahren mehr und besser lernen als in vier, geht im Getöse der aktuellen Machtprobe unter", schreibt der Altbürgermeister.

Es gebe Kinder, die mit sechs Jahren gemeinsamen Lernens besser vorankämen. "Aber was macht die Schulreform mit der Minderheit sehr begabter Schüler - ob Pastorenkind oder Kind afghanischer Flüchtlinge -, denen durch zwei weitere Jahre zu langsamen Lernens, durch nervende Wiederholung, Langeweile, Unterforderung, Abschalten nachhaltig geschadet würde?" Voscherau sieht durch die Primarschule "erhebliche Reibungsverluste" auf die Schulen zukommen. Er bezweifelt, dass der Senat seine finanziellen Versprechungen zur Umsetzung einhält.

Klaus von Dohnanyi hält im Gegensatz zu Voscherau den gemeinsamen Reformbeschluss von Senat und Bürgerschaft für eine "großartige Entscheidung". Hauptgrund für die Primarschule sei, dass "sich Kinder zwischen sechs und zehn Jahren unterschiedlich schnell entwickeln". Kinder von Eltern, die sich frühzeitig um Sprache und Bildung ihres Nachwuchses kümmerten, hätten bessere Chancen, früher reif für das Gymnasium zu sein.

Das sei der Grund, "dass heute in allen (!) mit uns vergleichbaren europäischen und anderen Staaten der Welt die Kinder mindestens sechs Jahre, meist aber acht Jahre gemeinsam lernen". Kinder früher als nach sechs Schuljahren zu trennen, so Dohnanyi, werde "überall als bildungspolitisch falsch, auch als ungerecht und unsozial erkannt und wurde deswegen abgeschafft - nur noch nicht bei uns". Ein sehr wichtiger Grund für die Reform sei, dass "wir viele Kinder von Migranten haben, die sich, auch bei nachdrücklichem Einsatz der Eltern, oft nicht so schnell in der Schule bewähren können".