Bereits vor der großen Primarschulreform gibt es viele Veränderungen. Die Gymnasien sind in diesem Jahr am stärksten betroffen.

Hamburg. Doppelter Abitur-Jahrgang und die Einführung der Profil-Oberstufe stehen auf dem Programm. Angesichts des immensen Rads, das der schwarz-grüne Senat mit der umstrittenen Primarschulreform drehen will, gerät eines schnell aus dem Blick: Die Hamburger Schulen müssen schon jetzt erhebliche Veränderungen verkraften. Es gibt in puncto Reformen keinen Stillstand. In diesem Schuljahr sind die Gymnasien am stärksten betroffen.

Da ist zunächst der doppelte Abitur-Jahrgang: Der letzte Durchgang mit 13 Schuljahren und die ersten Schüler mit der auf zwölf Jahre verkürzten Schulzeit drehen gemeinsam ihre Abschlussrunde. Die Schulbehörde kalkuliert mit 12 100 jungen Menschen, die im nächsten Sommer die Schulen mit der Reifeprüfung verlassen. Zum Vergleich: In diesem Jahr gab es 7464 Abiturienten, wobei die Gesamtschüler eingerechnet sind.

Das bedeutet einen organisatorischen Kraftakt für die Gymnasien, die nun die doppelte Zahl von Prüfungen bewältigen müssen. Die eigentliche Herausforderung des doppelten Jahrgangs liegt jedoch in der Zeit nach der Schule: Fast doppelt so viele junge Menschen strömen an die Universität und andere Hochschulen. Die SPD befürchtet schon, dass "auf das Turbo-Abi nun Warteschleifen folgen". Die Wissenschaftsbehörde verhandelt zwar über einen vorgezogenen Ausbau der Studienplatz-Kapazitäten, empfiehlt den künftigen Abiturienten aber schon einmal, über die Aufnahme eines Studiums in Mecklenburg-Vorpommern nachzudenken.

Und: Die Abiturienten, die eine Berufsausbildung wählen - das ist in Hamburg rund ein Drittel -, drohen Real- und Hauptschüler zu verdrängen. Bislang macht der Senat nicht den Eindruck, als ob er für den Ernstfall Vorsorge getroffen hat.

Im Grunde ist es wie immer bei diesem Thema: Die Schulzeitverkürzung an Gymnasien ist von Beginn an gewissermaßen eine unerklärte Reform gewesen. Als der damalige Schulsenator Rudolf Lange (FDP) 2001 das Startsignal gab, war nichts vorbereitet. Weder waren die Gymnasien mit Mensen ausgestattet, um den nun häufigeren Nachmittags-Unterricht zu ermöglichen. Noch waren die Lehrpläne entrümpelt, um die Schüler von Lernballast zu befreien - sie sind es bis heute nicht. Eltern haben deswegen immer wieder zu Recht die Überlastung der Schüler beklagt, die sich schon als "Versuchskaninchen" fühlen mussten, weil sich vieles eben erst im Prozess klärte. Es galt über Jahre das Dampfmaschinen-Motto aus der "Feuerzangenbowle": Die Reform ist da. Wie sie funktioniert, "bekommen wir später".

Verblüffend ist, was einige Schulleiter jetzt beobachten: Trotz der größeren Belastung sind die Schüler mit der verkürzten Schulzeit ihren "Kollegen" mit 13 Schuljahren in den Leistungen ebenbürtig oder sogar überlegen. "Die haben die Herausforderung eben angenommen", sagt ein Insider.

Die zweite große Veränderung betrifft Gymnasien und Gesamtschulen gleichermaßen: der Start der neuen Profil-Oberstufe. Vergeblich hatten Eltern darauf gedrängt, die Einführung angesichts der anderen Umwälzungen um ein Jahr zu verschieben. Nun treten an die Stelle des bisherigen Systems von Leistungs- und Grundkursen Fächerkombinationen, die zu Profilen zusammengefasst werden: zum Beispiel "Natur und Umwelt", "Kommunikation und Sprachenvielfalt", "Medien und Gesellschaft".

Eine Herausforderung liegt für die Schulen darin, dass sie die Kernfächer Deutsch, erste Fremdsprache und Mathematik auf zwei Niveaus anbieten müssen. Dies kann besonders Standorte mit kleinen Oberstufen vor Probleme stellen.

Ein zweiter wichtiger Punkt kommt hinzu: Es hat im Zuge dieser Reform ein "Schüler-Tourismus" eingesetzt. Wer an seiner Schule nicht das favorisierte Profil findet, wechselt auf ein anderes Gymnasium oder eine Gesamtschule. "Die Schüler verhalten sich marktorientiert", hat ein Schulleiter beobachtet. Es gibt Standorte, die durch Ummeldungen einen Schülerzuwachs von zehn Prozent verzeichnen.

Andere Schulen verlieren Schüler. Das sind vor allem wiederum kleinere Standorte, weil größere Schulen imstande sind, attraktivere und vielfältigere Profil-Angebote zu machen.

"In dieser Reform ist ein Zwang zur Größe der Standorte angelegt. Das wird Veränderungen nach sich ziehen", sagt ein Insider. Im Klartext: Kleine Gymnasien und Gesamtschulen könnten in ihrer Existenz bedroht sein. In jedem Fall wird der Druck zu mehr Kooperation der Schulen in der Oberstufe zunehmen. Kritiker der Reform, die nicht auf Hamburg beschränkt ist, vermuten denn auch eine finanzpolitische Absicht der Kultusminister und Schulsenatoren. Große Schulen sind nun einmal ökonomischer zu betreiben als kleine.