Schulsenator Dietrich Wersich bittet in der Diskussion zum Thema Kunstunterricht an Grundschulen alle Beteiligten um Anregungen.

Hamburg. Die Wucht der Empörung hat Schulsenator Dietrich Wersich (CDU) überrascht. Eigentlich habe sich doch kaum etwas verändert, beteuert er am Tag danach. Das Abendblatt hatte gestern berichtet, dass Wersich in einem Entwurf für die Stundentafel an Grundschulen vorschlägt, für das Fach Bildende Kunst nicht mehr eine feste Zahl von Wochenstunden Unterricht vorzusehen - im Gegensatz zur Musik. Die Folge war ein massiver Protest bildender Künstler. "Das ist gewiss der Anfang vom Ende", meinte Regisseur Wim Wenders, Professor für Film an der Hochschule für bildende Kunst. Die Mindestforderung der Künstler: Das Fach Bildende Kunst soll der Musik gleichgestellt werden - vier Wochenstunden verpflichtend in den vier Grundschuljahren.

"Ich bin für solche Vorschläge offen", sagte Wersich im Gespräch mit dem Abendblatt. Wichtig sei, dass alle Beteiligten über mögliche Änderungen diskutierten. "Wenn wir dann zu dem Ergebnis kommen, dass es eine bessere Lösung gibt als die im Entwurf vorgesehene, ist das o.k.", sagt der Senator.

Die Stundentafel - also die Verteilung des Unterrichtskontingents auf die einzelnen Fächer - muss geändert werden, weil die jetzt gültige Verordnung noch auf die Primarschule bezogen ist. "Mein Ziel war, so geringe Änderungen wie möglich vorzunehmen, um den Schulen Planungssicherheit zu geben", sagte Wersich. Er habe einen "chirurgischen Schnitt" zwischen Klasse vier und fünf gemacht. Der Unterricht, der für die Klassen fünf und sechs der Primarschule vorgesehen war, ist nun auf die weiterführenden Schulen verlagert.

Es gibt einen wichtigen Unterschied: Die drei künstlerischen Fächer Kunst, Darstellendes Spiel und Musik werden zu einer Gruppe mit zwölf Wochenstunden zusammengefasst. Nur der Anteil der Musik ist mit mindestens vier Wochenstunden festgeschrieben. Eine Grundschule könnte sich also entscheiden, nur drei oder zwei Wochenstunden Bildende Kunst zu geben, nur ganz darf sie auf das Fach nicht verzichten.

Wahr ist aber auch, dass die Schlechterstellung der Kunst gegenüber der Musik schon in der alten Primarschulverordnung galt. Danach kam die Musik auf acht Wochenstunden für die Klassen eins bis sechs, Kunst und Darstellendes Spiel dagegen nur auf je sechs Stunden. Insofern handelt es sich um ein schwarz-grünes Erbe, das Wersich jetzt verwaltet. Und gegenüber der Stundentafel, die vor der in Teilen gescheiterten Schulreform galt, haben sich Musik und Kunst verschlechtert: An den Grundschulen alten Typs wurden im Durchschnitt je zwei Musik- und Kunststunden pro Schuljahr gegeben - also je acht Wochenstunden.

Der Grund: Es gab die politische Entscheidung, Englisch von Klasse eins an und Religion durchgängig zu unterrichten. Außerdem wurde der Anteil des sogenannten Gestaltungsraums auf 17 Wochenstunden (im Wersich-Entwurf 22 Stunden) festgelegt. Hierbei handelt es sich um ein Kontingent, das die Schulen zur eigenen Schwerpunktsetzung nutzen können.

Zum Beispiel auch für einen künstlerischen Schwerpunkt, wie an der Schule Lämmersieth in Barmbek. Sie hat neben dem regulären Kunstunterricht den Mittwoch für alle Schüler zum Kunsttag erklärt. Dann ziehen die Kinder in kleckerfester Kleidung in die Kunstetage der Schule und legen los. Sie entwerfen, greifen mit Lust in den Eimer voller selbst angerührter Pappmaschee, modellieren, malen, bauen und gestalten sogar ganze Ausstellungsräume für ihre Kunstwerke. "Kunstunterricht erfüllt so viele Aspekte", sagt der Hamburger Künstler Michael Hahn, der mittwochs mit den Kindern am Lämmersieth arbeitet. "Durch die Arbeit mit unterschiedlichen Materialien entwickeln sie ihre Sinne", sagt Hahn. Die Wertschätzung, die sie für ihre fertiggestellten Kunstwerke erhielten, stärke zusehends das Selbstbewusstsein der Kinder. "Auch schwierige Schüler finden in den Kunststunden ihre Ruhe." Es sei schön zu sehen, wie die unruhigen kleinen Geister während ihrer künstlerischen Tätigkeit in stille Konzentration fielen. "Wenn unsere Kinder die Kunst nicht hätten, würden wir ihnen ein Stück Leben nehmen", sagt Michael Hahn. "Sie brauchen die Kunst."

Der Abendblatt-Artikel über den Vorschlag Wersichs, den Grundschulkunstunterricht nicht mehr an Pflichtstunden zu binden, hatte gestern Folgen auf Facebook. Die Initiative "Wir wollen lernen" eröffnete in dem sozialen Netzwerk die "Kunst Retter". Bis gestern Abend hatte die Gruppe 30 Mitglieder.