Clanchef und Familie sollen 97 Taten begangen haben, 30 allein in Hamburg. Die Betrüger lebten in Saus und Braus

Winterhude . Auf mehreren Tischen im Polizeipräsidium in Winterhude haben die Ermittler der Abteilung Organisierte Kriminalität (OK) die beschlagnahmten Beweismittel wie Trophäen ausgebreitet: Uhren der Luxusmarken Rolex und Cartier, Schmuck, Pelzmäntel, Taschen von Versace, ein Anzug, an dem noch das Preisschild (2000 Euro) hängt. Allein das Silberbesteck und das Meißner Porzellan sind mehr als 20.000 Euro wert.

Die Polizei hat die zum Teil sündhaft teuren Sachen bei der Durchsuchung von Wohnungen mutmaßlicher Enkeltrickbetrüger sichergestellt. Die Gegenstände hatten die Täter entweder direkt von ihren Opfern erbeutet oder sie hatten sie sich mit dem ergaunerten Geld gekauft. An Stellwänden hängen zudem Bilder, die zeigen, in welchem Luxus die Täter in ihren Wohnungen geschwelgt haben müssen. „Sie lebten in Saus und Braus“, sagt die stellvertretende OK-Leiterin Kathrin Hennings. Ungeniert prahlten die Betrüger sogar in YouTube-Videos mit dem Reichtum.

Prunk und Protz, finanziert mit dem Geld deutscher Rentner, die durch die perfide Masche der Enkeltrickbetrüger zum Teil ihr komplettes Erspartes verloren haben. Auf ihr Geld hatte es die Bande um Arkadiusz L., 46, abgesehen. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft in Kooperation mit den polnischen Behörden ermittelten, gehen 97 Taten auf das Konto der polnischen Großfamilie, 30 davon allein in Hamburg. 170 polnische und deutsche Beamten vollstreckten am vergangenen Dienstag in beiden Ländern 14 Haftbefehle und 30 Durchsuchungsbeschlüsse, stellten Luxusautos, Schmuck und Bargeld sicher. Allein in Hamburg wurden fünf Verdächtige festgenommen. Auch die Nummer eins der Trickbetrüger ging den Fahndern ins Netz: Clan- und Bandenchef Arkadiusz L., Spitzname „Hoss“. Er führte ein Leben auf großem Fuß, schmiss Partys in Schlössern, ließ Gäste in Hubschraubern einfliegen, wie der „Spiegel“ berichtet. Doch am Dienstag hämmerten Polizisten mit Sturmhauben an die Tür seiner feudalen Wohnung in Warschau, nahmen den im Bett liegenden Mann fest und führten ihn ab. In der Tiefgarage beschlagnahmten die Polizisten auch seinen auf Hochglanz polierten, roten Ferrari. Am Donnerstag wurde Arkadiusz L. der Haftbefehl verkündet. Er sitzt jetzt in U-Haft. Als ältester Sohn war Arkadiusz L. das unangefochtene Oberhaupt des auf Trickbetrug spezialisierten Roma-Clans. Früher lebte er am Steenwisch in Stellingen, seine Brüder Jolion und Adam, 44, hatten Wohnungen an der Kieler Straße. Gemeinsam kamen sie 1999 eher zufällig auf die Masche mit dem Enkeltrick: Bei einem Telefonbetrug, bei dem sie einem älteren Herrn Ramschware als „Luxus-Teppich“ andrehen wollten, glaubte das Opfer, seinen Enkel am Apparat zu haben. Prompt wurde der Rentner unter Vortäuschung einer Notlage zur Kasse gebeten. Davon ermuntert, setzten die Brüder die Scharade fort.

Aus dem Einzelfall wurde eine Betrugsmasche, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz Hunderte Rentner um ihr Erspartes brachte. Eine Masche, die in rund 40 Prozent der Fälle funktioniert hat, so der Hamburger Oberstaatsanwalt Arnold Keller.

58 Delikte glaubten die Ermittler Arkadiusz L. bereits bis Sommer 2001 nachweisen zu können. „Die Beweislage ist eindeutig“, heißt es in dem internen Dokument eines LKA-Ermittlers aus Stuttgart. Doch kurz vor seiner drohenden Festnahme setzte sich der Clanchef mit seinem Bruder Adam nach Polen ab – offenbar aus Furcht, dass eine von der Polizei erwischte „Abholerin“ die Ermittler auf seine Spur bringen könnte. Das hielt die Brüder aber nicht davon ab, die Betrügereien von Polen aus fortzusetzen und ein Betrugsimperium mit „mehrstufig hierarchischer Organisationsstruktur“ aufzubauen. Arkadiusz L. setzte perfekt deutsch sprechende „Keiler“ auf die Suche nach Opfern an, indem er sie die Telefonbücher nach alt klingenden Vornamen wie „Hildegard“ oder „Elvira“ durchforsten ließ. Hatten die Telefon-Täter die älteren Herrschaften überzeugt, dass sie tatsächlich mit ihren Angehörigen sprachen, täuschten sie Notlagen vor, die ein großzügiges finanzielles Eingreifen erforderten.

Die in Deutschland und Polen lebenden „Logistiker“ dirigierten dann die „Abholer“ zu den Adressen der Opfer, die die Beute per Kurier nach Polen schickten. In Hamburg verlor auf diese Weise ein Rentner 100.000 Euro.

Dabei hätten die Ermittler dem Clanchef schon Ende 2000 das Handwerk legen können. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung am Steenwisch stießen die Beamten auf das bundesweit beim Enkeltrickbetrug eingesetzte Handy, dabei trafen sie auch Arkadiusz L. an. „Dass spätestens zu diesem Zeitpunkt ‚Hoss‘ nicht inhaftiert wurde, ist von unserer Seite aus auch heute noch nicht nachvollziehbar“, heißt es in dem internen LKA-Bericht. Die polnischen Behörden tasteten den Mann, der „hervorragend in Polen vernetzt war“, jedenfalls nicht an – bis zu dem neuen Ermittlungsverfahren Ende 2012.

„Spiegel TV“ sendet am Sonntag um 22.30 Uhr auf RTL einen größeren Beitrag über die Festnahme