Verteidiger wirft einem Marinesoldaten vor, für den Tod des Bruders eines Piraten verantwortlich zu sein. Vorwürfe lauten auf fahrlässige Tötung.

Hamburg. Der niederländische Marineoffizier, der gestern in schmucker, blauer Uniform bereits zum fünften Mal als Zeuge dem Landgericht Rede und Antwort stand, wird womöglich selbst die Justiz beschäftigen: Andreas Thiel, Verteidiger eines der zehn mutmaßlichen Piraten, hat bei der Hamburger Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den Soldaten erstattet. Die Vorwürfe lauten auf fahrlässige Tötung und Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht. Nach Auffassung von Thiel hat Richard de W. zu verantworten, dass der Halbbruder seines Mandanten Abdul D., 28, in Somalia ermordet wurde. Grund: Der Soldat habe seinen Mandanten öffentlich als Informanten der niederländischen Behörden enttarnt und so die "Blutrache" somalischer Piraten heraufbeschworen. Die Hamburger Staatsanwaltschaft will die Vorwürfe zunächst inhaltlich prüfen.

Nachdem holländische Marinesoldaten am 5. April 2010 die zehn Piraten an Bord des Hamburger Frachters Taipan überwältigt und festgesetzt hatten, führte Richard de W. auf dem Kriegsschiff "Tromp" die Vernehmungen durch. Abdul D. zeigte sich besonders reuig, dazu kooperationsbereit: Er lieferte den Niederländern brisante Informationen über das Phänomen der somalischen Piraterie. Die Holländer klassifizierten die Informationen als "geheim" und stellten Abdul D. in Aussicht, seine Hilfe ließe sich im Hamburger Verfahren in einen saftigen Bonus bei der Strafzumessung ummünzen.

Doch bei seiner Vernehmung am 9. März vor dem Landgericht nannte Richard de W. auf Nachfrage, wer der Informant sei, den Namen von Abdul D. - damit war er als "Verräter" öffentlich bloßgestellt. Schon am Tag darauf, so Thiel, seien Banditen, die mit den Piraten in Verbindung stünden, bei der in Somalia lebenden Familie seines Mandanten aufgetaucht und hätten sie mit dem Tod bedroht. Seiner Ehefrau und seiner Mutter gelang die Flucht in ein anderes Land, der gebrechliche Vater blieb zurück. Darauf sei auch er von den Männern bedroht worden: Wenn er nicht verrate, was Abdul D. den Behörden erzählte, werde sein Sohn, der ältere Halbbruder von Abdul D., sterben. Doch der Vater wusste nichts - am 11. April erhielt Abdul D. die Nachricht, dass sein Bruder erschossen worden sei.

Dass sich die Geschichte so zugetragen hat, sollen nun die Ehefrau und die Mutter von Abdul D. bekunden. Thiel will sie als Zeugen in Hamburg vorladen lassen, einen entsprechenden Beweisantrag reichte er gestern bei Gericht ein. "Herr de W. hätte wissen müssen, was seine Offenbarung auslösen kann", sagte Thiel dem Abendblatt. Der Verteidiger will unter Beweis stellen, "welche Wirkung seine Worte" hatten. Die Bluttat müsse auch bei der Strafzumessung zwingend zugunsten seines Mandanten berücksichtigt werden. "Er hat sich den Niederländern anvertraut, doch seine Kooperation hatte nur Nachteile für ihn. Das kann nicht sein."

Unbeeindruckt davon setzte das Gericht gestern die Befragung des Soldaten fort. Mehrere Tage hatte die Kammer beraten, ob und wie die auf der "Tromp" erfassten Vernehmungsprotokolle und die Aussage von Richard de W. prozessual zu verwerten sind. Doch die mit Spannung erwartete Aussage am 32. Verhandlungstag geriet zum Fiasko. Der Soldat verwickelte sich in Widersprüche, erinnerte sich an Einzelheiten, die so nie in den schriftlichen Protokoll-Akten auftauchten - etwa, dass der jüngste Angeklagte behauptet habe, zur Piraterie "gezwungen" worden zu sein. Dabei habe er ihm auch geschworen: "Sie werden mich nie wieder in Nachbarschaft des Meeres sehen." Der Vorsitzende Richter Bernd Steinmetz wirkte sichtlich perplex ob der "Erinnerungsleistung". Die Kammer will nun die Niederländer um die Videomitschnitte der Vernehmungen bitten und die Filme in die Verhandlung einführen. Das, so fürchtet die Verteidigung, könne den Prozess weiter in die Länge ziehen.