Austern, Labskaus und ViPs, das Fischereihafen Restaurant von Rüdiger Kowalke wird 30 Jahre alt. Für die nächsten 30 steht sein Sohn bereit.

Hamburg. Vor ungefähr drei Jahren sind die beiden Männer nach Sylt gefahren, ohne Frauen und Kinder, haben eine Kleinigkeit in der "Sansibar" gegessen, haben ordentlich dazu getrunken, doch vor allem haben sie miteinander Tacheles geredet, Vater und Sohn. Tagsüber am Strand, nachts an der Bar. "Zwei Tage lang haben Dirk und ich nur gequatscht", erinnert sich Rüdiger Kowalke, "aber danach war die Sache zwischen uns endgültig klar."

Diese "Sache" hatte schon zehn Jahre zuvor begonnen. Damals, 1997, als Rüdiger Kowalke seinem Sohn Dirk das Angebot gemacht hatte, in sein berühmtes Fischereihafen Restaurant einzusteigen, zunächst auf Fifty-fifty-Basis. Später könne man ja weitersehen. Dirk Kowalke, damals 27 Jahre alt, eine Banklehre und eine Kochlehre in der Tasche, hatte ein paar Tage lang überlegt und schließlich Ja gesagt. Wissend, dass es nicht einfach werden würde, neben seinem Vater Rüdiger, dem Allmächtigen, zu bestehen. Und eventuell sogar eigene Ideen durchzusetzen.

Denn dieses 180-Plätze-Restaurant, das im ersten Stock eines wuchtigen Rotklinkerbaus am Elbkilometer 626 untergebracht ist, direkt am Altonaer Fischmarkt, an der früher zweitsündigsten Meile der Stadt, ist schließlich nicht irgendein Fischlokal. Sondern es ist das Fischrestaurant der Hansestadt, ach was, der ganzen Republik, auch wenn sich an dieser schon seit Längerem gastronomisch aufgerüsteten Elbmeile mittlerweile einige Sterneköche angesiedelt haben.

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Ein rot lackierter Treppenlift, maximale Tragkraft 135 Kilogramm, führt in den Aal- und Steinbutthimmel. Als Helmut Kohl noch Kanzler war, ging er selbstverständlich zu Fuß die Treppen hoch, vor seiner gesamten Entourage, um sich vorweg stets ein kleines Weizenbier und drei Schnittchen gebratenes Schwarzbrot mit Kräuterrührei und Aal zu gönnen, bevor er seinen geliebten Schellfisch verdrückte, der in Pommery-Senfsauce schwamm. Überhaupt sind es weniger die Alten, die sich liften lassen. Sondern eher die sportverletzten Snowboard- und Skifahrer, Jogger und Triathleten der hanseatischen Haute Volaute. "Bei 360 bis 400 Gästen pro Abend geht der Lift durchschnittlich dreimal in Betrieb", sagt Rüdiger Kowalke, der findet, dass sich diese Investition gelohnt habe. So wie alle bisherigen Investitionen. "Mein Vater überlässt eben nichts dem Zufall", fügt sein Sohn Dirk hinzu und erntet dafür einen anerkennenden Blick. Beide wissen, dass es zwischen Vätern und Söhnen durchaus zu Irritationen kommen kann, zu wahren Zerwürfnissen, vor allem wenn es um die Nachfolge im eigenen Betrieb geht. Denn nicht immer trauen die weisen grauen Wölfe ihrem Nachwuchs die Firmenleitung wirklich zu. "Es ist ja auch nicht einfach, loszulassen", sagt Rüdiger Kowalke. Auch wenn seine zweite Frau Susanne ihm damit schon lange in den Ohren liege.

Was die Krawattenbindetechnik betrifft, stehen Vater und Sohn auf einer Stufe. Von ihnen könnten selbst die Windsors noch lernen, wie perfekt eine Krawatte aussehen kann. Was Innovationen angeht, hat der Sohn seinen Vater schon überholt. Den frischen Wind - die Oyster Bar, große Panoramafenster sowie die eine oder andere Modernisierung des Interieurs und der Speisekarte - hatte der Junior schon kurz nach seinem Einstieg ins gediegene Restaurant geblasen, der damit erst zum echten Familienbetrieb wurde. Der Senior hat sich klaglos überzeugen und ihn machen lassen. Rüdiger Kowalke wollte ja sowieso ein wenig kürzertreten, nach 30 Jahren Kärrnerarbeit in der Gastronomie, was ihm unter anderem zwei Herzschrittmacher eingebracht hat.

Und obwohl ihm seine Krankheiten zugesetzt haben, spielt Rüdiger Kowalke die Rolle des Gastgebers immer noch einen Tick professioneller. Vielleicht auch deshalb, weil er die einzigartige Gabe hat, seinen angeborenen servilen Charme als Diktatur der Freundlichkeit zu präsentieren. Nichts geschieht eben zufällig. "Aber am vergangenen Montag hat Dirk die Rede seines Lebens gehalten", erzählt der Vater stolz und erntet dafür von Dirk einen dankbaren Blick. Als sie ihr Restaurant ausnahmsweise einmal geschlossen haben, wirklich nur ausnahmsweise, für eine eigene Weihnachtsfeier im Jubiläumsjahr, auf der Dirk sich dann vor allem bei denjenigen der insgesamt rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedankt hatte, die schon 30 Jahre seinen Vater auf dem gastronomischen Höhenflug begleiteten. Zum Beispiel bei Wiebke, der Reinemachefrau, bei Heidrun Alexy, der "rechten und der linken Hand" des Chefs; bei Wolf-Dieter Klunker, dem Küchendirektor, dessen Sohn Jens - und das sei in Deutschland bestimmt einmalig, sagt Rüdiger Kowalke - der zweite Mann der 24-köpfigen Küchenbrigade ist, oder bei Lahsen Meckshoun, dem 62 Jahre alten marokkanischen Oberkellner, der so lange an Bord bleiben will, bis Kapitän Rüdiger die Brücke verlässt. Bloß könnte das noch dauern.

30 Jahre zuvor war Rüdiger Kowalke aus Kaltenkirchen, aus dem Kaltenkirchener Hof, nach Hamburg gekommen. Dort, in der kulinarischen Diaspora des Brackwasserlandes, hatte es der gebürtige Lübecker, der das Kochen und das Hotelfach von der Pike auf gelernt hatte, geschafft, ein 200-Betten-Hotel nebst Restaurant zu einer gefragten Adresse zu entwickeln. Im Hinblick auf den geplanten Großflughafen Kaltenkirchen. "Sogar Hamburger kamen die 40 Kilometer zu uns herausgefahren", erinnert er sich.

Damals holte er engagierte Jungköche aus den aufstrebenden süddeutschen und elsässischen Gourmettempeln und peppte die Menükarte mit "Spezialwochen" auf. "Wir flambierten uns um unsere Leben!" Zum Glück - für Hamburg - wurde der geplante Airport dann doch nicht gebaut und Rüdiger Kowalke beschloss, es jetzt in Hamburg mit einem eigenen Gastronomiekonzept zu versuchen. Er setzte konsequent auf Fisch und anderes Meeresgetier, auf "absolute Frische", "exorbitante Qualität" und Kontinuität zu vergleichsweise moderaten Preisen in familiärer Wohlfühlatmosphäre. Anfangs war vor allem Letzteres schwierig: "Als ich hier anfing, habe ich eines Nachts mal 280 Damen entlang der Bordsteine gezählt", lacht Rüdiger Kowalke. In den ersten Wochen musste er erst einmal Klinken putzen: bei den großen Hamburger Hotels, den Conciergen und Wagenmeistern sowie den Taxibetrieben. Sie sollten ihm die Gäste zuschustern.

Dann gelang der überraschend schnelle Durchbruch, als nach nur vier Monaten der große amerikanische Dirigent und Komponist Leonard Bernstein ("Westside Story") mit 130 Wiener Philharmonikern im Schlepptau ein Nachtmahl zu sich nehmen wollte. Die ganze Hamburger Pressemeute war ebenfalls anwesend - und von da an ging es eigentlich ständig nur bergauf. "Der zweite große Glücksfall war dann die Werbung für die American-Express-Kreditkarte", sagt Rüdiger Kowalke, "dieser Spot machte mein Fischereihafen Restaurant über Nacht europaweit berühmt." Seitdem gilt er als PR-Genie, als "Promi-Wirt".

Rüdiger Kowalke kennt wirklich alle , die Fotogalerie in der Oyster Bar beweist es eindrucksvoll. Lady Di und Prinz Charles, Herbert von Karajan, Sean Connery und Pierce Brosnan, die Rolling Stones, Franz Beckenbauer und Placido Domingo. Heino und Hannelore essen stets Seezunge in Butter gebraten und Angela Merkel ließ sich das Rezept für Speckscholle ins Bundeskanzleramt schicken. Aber den gemeinen Eimsbütteler oder Barmbeker würde er niemals aus den Augen verlieren.

Auf Dirk Kowalke lastet nun einiges an Gewicht. Denn bisher hat sich das Konzept seines Vaters bewährt. Es hat die Familie Kowalke, längst eine gewichtige Größe in der hanseatischen Gesellschaft, durch alle Wirtschaftskrisen und behördlich angeordnete Umsatzbremsen wie auch das umstrittene Rauchverbot geschifft. Selbst jetzt, in der ersten Januarwoche, in der in den meisten Restaurants gespenstischer Totentanz herrscht, sind abends vier Fünftel der Tische besetzt. Bald werden es wieder 320 bis 400 Essen sein, die aus der Küche kommen, zuzüglich des Mittagstischs. Dem Junior ist klar, dass er jetzt auf den Spuren des Vaters wandelt. Einer Sechs-Tage-Woche mit durchschnittlich 80 Stunden Arbeitszeit. "Aber mein Vater gibt mir inzwischen genügend Raum", sagt er lächelnd.

Sein nächstes Ziel könnte es daher sein, das Golf-Handicap zu verbessern. Dirk Kowalke hat 28, sein Vater 23. Bei Gleichstand wäre die Augenhöhe endgültig erreicht.