Seit acht Jahren ist Alex Avenell bei allen Musicals im Operettenhaus auf der Reeperbahn dabei. Jetzt sogar in einer Hauptrolle.

St. Pauli. Alex Avenell spricht schnell und viel. Wie Bauschaum füllt ihre Stimme den Raum aus. Ihre Antworten beginnen oft mit einem Lachen, als sei sie selbst schon im Voraus ganz entzückt von dem, was sie gleich sagen wird. Und dann kommt dieser unerwartete Satz: "Ich war sprachlos!"

Am Sonntag feiert das Musical "Rocky" im Tui Operettenhaus am Spielbudenplatz Weltpremiere. Co-Produzenten sind die Klitschko-Brüder und Schauspieler Sylvester Stallone, dessen Filmfigur "Rocky" Vorlage für die Show ist. Die 38-jährige Avenell spielt die zweite weibliche Hauptrolle. Und sprachlos war sie, als sie dies erfuhr. An das Theater muss sie sich nicht erst gewöhnen, schließlich steht sie hier seit acht Jahren auf der Bühne. Sie nennt es ihr Zuhause. "Mamma Mia!", "Ich war noch niemals in New York" und "Sister Act" - immer war sie dabei. Immer eher im Hintergrund oder als Zweitbesetzung. Und nun doch noch mal eine tragende Rolle. "Es ist schön, zu wissen, dass man es auch in einem so großen Haus zu einer Hauptrolle schaffen kann", sagt die Ottensenerin.

Hatte sie schon nicht mehr an eine solche Chance geglaubt? Sie weicht aus. Es gehe ihr ja nicht darum, in der ersten Reihe zu stehen. "Mir ist es nur wichtig, diesen Beruf bis ans Ende meines Lebens ausüben zu können", sagt sie. "Und davon meinen Sohn und mich versorgen zu können." Avenells Kind ist elf Jahre alt. Gerade wegen ihm ist es ihr wichtig, dass sie in Hamburg bleiben kann. Er braucht ein sicheres Umfeld.

Die Musical-Branche ist keine einfache - besonders nicht für eine alleinerziehende Mutter. Oft werden nur Jahresverträge vergeben. Nach zwölf Monaten heißt es also immer wieder bangen. "Ich hoffe, dass wenn ich gute Arbeit abliefere, es keinen Grund gibt, mich nicht weiter zu beschäftigen." Aber Sicherheit gebe es nie.

Trotzdem hat sich Avenell bewusst und ohne Naivität für ein Leben auf der Musicalbühne entschieden. "Es macht mich einfach glücklich", sagt sie. Mehr Worte braucht sie nicht. Eine kurze Erklärung, aber trotzdem eine gute.

Wenn es nach ihr geht, möchte sie für immer im Operettenhaus bleiben. "Es hat die perfekte Größe", sagt sie. "Nicht zu klein und nicht zu groß." Sie kann sich noch genau an das erste Mal erinnern, als sie sich hier nach der Aufführung vor dem Publikum verbeugte. "Ich konnte jedes Gesicht im Publikum sehen." Hinzu kommt die Atmosphäre des Traditionshauses, dessen Grundbau Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Später brannte es ab, wurde aber wieder aufgebaut. Avenell spürt einen Unterschied gegenüber Neubauten wie der Neuen Flora. "Auf eine besondere Art warm und einladend", nennt sie es. "Die Geschichte und all die Erinnerungen sind immer präsent." Avenell hatte bereits Angebote für andere Musicals - dann aber auch in anderen Städten. Sie lehnte ab. Sie bleibt hier - zumindest solange es möglich ist. "Wenn es nach mir geht, bis ich alt und grau bin und nur noch an der Pforte arbeiten kann."

Die Rolle der Gloria liegt ihr besonders am Herzen. Im Film spielt Gloria nur eine untergeordnete Rolle, die für das Musical erweitert wurde und damit viel Raum für eine eigene Kreation der Figur lässt. Avenell empfindet das gleichzeitig als Freiheit und Herausforderung. Zu Beginn der Proben bekam sie die Anweisung "Spiel sie nicht, sei sie!" Avenell sagt, sie sei Gloria sehr ähnlich. Aber genau in dieser Nähe liege auch die Schwierigkeit. So musste sie erst lernen, die Figur nicht zu "überspielen". "Gloria ist eine starke, extrovertierte Frau, die hart gearbeitet hat, um da zu sein, wo sie jetzt ist", beschreibt Avenell sie und damit ein wenig auch sich selbst.