Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Caren Miosga, “Tagesthemen“-Moderatorin

Diese Frau ist trittsicher. Schon als sie schnellen Schritts den Anleger Teufelsbrück runterkommt ohne hängen zu bleiben. Und so trittsicher will sie auch am Sonntagabend sein. Bei der Wahlberichterstattung im Ersten. Vor dem Steckenbleiben in den Zwischenräumen der hölzernen Planken schützen sie ihre breiten Absätze. Vorm Hängenbleiben in der Wahlnacht ihre akribische Vorbereitung und ihre fast zwanzigjährige Fernseherfahrung. Caren Miosga, "Tagesthemen"-Moderatorin, die am Wahlabend ab 17 Uhr im Wechsel mit Ulrich Deppendorf und Jörg Schönenborn im Einsatz ist.

Die beiden sind zwei sturmerprobte "Fernsehhasen" bei Bundestagswahlen. Für Caren Miosga ist es die erste Wahlberichterstattung. Und deshalb geht sie schon mal ein paar Tage vorher nach Berlin. Es liege ihr einfach nicht, irgendwo so reinzuspringen, sagt sie. Nach dem Motto: Ich mach es halt und guck mal, was so läuft. Vorbereiten oder vorausplanen lasse sich ohnehin nur die erste Stunde bis zur ersten Hochrechnung. Danach gebe es nur noch ei-nen festen Programmpunkt, die Runde der Fraktionsvorsitzenden, alles andere sei freies Spiel, freies Glück. Ja, sagt sie lachend, eigentlich muss man auf alles gefasst sein. Außer dass die Linke mit der CDU zusammengeht. Und wenn die SPD plötzlich bei 40 Prozent liegt, ja, das würde sie sprachlos machen. Aber höchstens für zwei Sekunden.

Wir sitzen im Restaurant Engel auf dem Anleger Teufelsbrück. Mit Blick auf das Lotsenboot, das gerade anlegt. Und die Hadag-Fähre "Max Brauer", die den Ponton leicht zum Schwanken bringt. Kein gutes Gefühl, sagt Caren Miosga. Sie sei nicht schwindelfrei und seetauglich auch nicht. Und ja, natürlich habe sie früher auch mal diese berühmte Mutprobe im Schwimmbad abgelegt. Aber nicht vom Zehner. Vom Fünfer sei sie gesprungen. Und mit einem Bauchklatscher gelandet, der ihr noch Jahre später zu schaffen machte. Und das war es denn auch. Mit dieser Art von Mutproben.

Ansonsten scheint sie furchtlos und unerschrocken. Hat sich 2007 als Nachfolgerin von Anne Will bei den "Tagesthemen" auf völlig neues Terrain gewagt. Weg von der Kultursendungsecke, bei der eine eigene subjektive Meinung dazugehörte. Hin zu der Moderation trockner Nachrichten. Trocken, das haben Sie jetzt gesagt, sagt sie. Also für sie habe das nur eine andere Farbe. Weniger bunt vielleicht. Neutral und wertfrei, oder wie einer ihrer Vorgänger, Hanns Joachim Friedrichs, sagte, ohne sich mit einer Sache gemein zu machen. Da muss man erst mal reinwachsen, sagt sie. Freut sich, dass ihr Vertrag gerade bis 2013 verlängert wurde. Es sei einfach keine Sendung, in die man so rein- und wieder raushopsen könne. Man müsse lernen, sich selber zurückzunehmen. Das Tagesgeschehen einordnen gerade noch. Nur nicht kommentieren. Eine Gratwanderung sei das. Anchorman oder -woman werden sie auch manchmal genannt, diese Moderatoren und Moderatorinnen der Nachrichtensendungen. Das klinge für sie so beeindruckend, so glamourös. Ein Anchorman, das sei für sie immer noch der vor Kurzem verstorbene CBS-Nachrichtensprecher Walter Cronkite. Der sich so unglaublich viel Respekt in der Medienwelt verschafft habe. Der Mann, der bei der Berichterstattung 1963 über das John-F.-Kennedy-Attentat die Tränen fließen ließ. Das, sagt Caren Miosga, finde sie beispielhaft. Sich erlauben zu können, die eigene Persönlichkeit zu zeigen, die eigenen Gefühle. Und das sei was anderes, als dieses Betroffenheitsfernsehen mit traurigem Schattenblick, das sie unerträglich finde.

Sie sei schon sehr um Neutralität bemüht, sagt Caren Miosga nach einer kleinen Pause. Bloß manchmal stoße man eben an seine Grenzen. Wie damals, als sie ein längeres Stück über tödlich verlaufende Kindesmisshandlungen und -vernachlässigungen anmoderieren musste. Da sei der erste Reflex gewesen, es besonders nachrichtlich zu machen. Zurückgenommen. Nicht zu zeigen, wie sehr ihr das Thema unter die Haut ging. Aber dann habe sie sich entschlossen, dass auch einer Nachrichtenfrau mal die Worte fehlen können angesichts unfassbarer Grausamkeiten. Und es auch zu sagen.

Caren Miosga ist eine selbstbewusste junge Frau, mit klaren Gesichtszügen, tiefgründigen braunen Augen und immer ein bisschen auf der Hut, ja nicht zu viel Privates preiszugeben. Also hangeln wir uns ein bisschen drum herum. Bleiben an einem ihrer Lieblingssätze hängen. Von dem Aktionskünstler Nam June Paik: "When too perfect, lieber Gott böse." Sie mag ihn, diesen leicht schrägen US-Künstler, der auf einer Ausstellung in New York als Notlösung in letzter Minute vor eine leere Wand einen dicken Buddha zum Fernsehzuschauer umfunktionierte. Muss man als TV-Zuschauer eigentlich auch die Gelassenheit eines Buddhas haben? Oh ja, sagt sie lachend und erleichtert fast, dass sie weiter übers Fernsehen reden kann. Manchmal brauche man schon ein leidensfähiges Gemüt. Sie habe sich früher mit einer Studentengruppe einen Spaß draus gemacht, "Dallas" zu gucken und dann später die ersten Folgen von "Deutschland sucht den Superstar". Aber jetzt könnte sie sich so was nicht mehr antun. Außerdem sei sie schon beruflich so intensiv mit dem Fernsehen beschäftigt, dass sie zur Entspannung das nicht auch noch brauche. Lieber lese sie, wie jetzt gerade "Der heilige Eddy" von Jakob Arjouni. Renne auch mal an der Elbe entlang, um sich den Kopf frei pusten zu lassen oder gehe tanzen. Nein, keine klassische Tanzschule. Modern Dance in freien Klassen.

Caren Miosga fühlt sich geerdet durch ihren Mann, einen in der Krebsforschung tätigen Mediziner. Ein Wissenschaftler, sagt sie, dem es schnell langweilig wird, Personalquerelen im öffentlich-rechtlichen zu diskutieren. Und das sei auch gut so und hole einen runter.

Und dann sind wir auch schon bei dieser missliebigen Frage: Kinder oder Karriere. Ganz schön blöd sei die, sagt Caren Miosga. Und lacht dann. Immer werde sie nur den Frauen gestellt. Und natürlich ihr als Mutter einer dreijährigen Tochter. Wie neulich wieder bei einer Podiumsdiskussion mit zwei männlichen Kollegen. Die seien auch beide Väter gewesen. Darüber wurde kein Ton verloren.

Der Salat kommt. Und lenkt sie ab von ihrem Zorn. Ein klitzekleiner Salat wirklich nur, der kaum den Teller füllt. Wehe, sagt sie, wenn Sie jetzt schreiben, ich würde wie ein Vögelchen essen. Sie habe heute gut gefrühstückt. Es sei ihre freie Woche, und sie werde später wieder gut essen. Mache sich nichts aus Süßigkeiten. Und aus Runterhungern schon gar nichts. Das habe sie ein einziges Mal in ihrem Leben gemacht. Sei unerträglich gewesen und nur schlecht gelaunt. Vergiss es, sagt sie.

Aber, sagt sie dann, um noch einmal auf dieses Thema zurückzukommen. Sie fühle sich schon privilegiert. Könne alle Unwägbarkeiten, die es nun mal mit Kindern gebe, wenn man von morgens um elf bis nachts um halb eins in der Redaktion sei, abfangen durch eine Haushaltshilfe. Und es gehe ja auch nur, weil sie im Zweiwochenrhythmus mit Tom Buhrow im Einsatz sei. Aber irgendwie, sagt sie, seien wir bei diesem Thema immer noch nicht im Jahr 2000 angekommen. Denken noch in veralteten Klischees. Die hasse sie genauso wie Worthülsen, abgelatschte Floskeln und Kollegen, die diesen Beruf allzu sehr unter dem Wichtigkeitsaspekt sähen, dem Glamoureffekt, dem Erfolgserlebnis.

Sie selbst ist da in dieser schwierigen Phase der Wegfindung nach dem Abi-tur reingekommen. Wollte eigentlich Schauspielerin werden. Angestachelt von der Theater-AG in der Schule. Bewarb sich zweimal, wurde zweimal abgelehnt. Einfach untalentiert, sagt sie nüchtern. Sie studierte Ostslawistik, schrieb während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Moskau Beiträge für den Radiosender RSH und blieb dabei. Russisch lesen so wie früher den ganzen Schiwago könne sie wohl nicht mehr, auch wenn sie noch regelmäßig ein russisches Magazin lese, um nicht ganz rauszukommen. Zu gern würde sie mal eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn machen. Bretterklasse und mit vielen Zwischenstopps. Zukunftsmusik, sagt sie schnell. Genauso wie der Traum von einem Haus im Grünen. Am liebsten in der Nähe von Neuklosters in Mecklenburg.

Die "Max Brauer" legt schon wieder an. Zum wievielten Mal nur?! Die Zeit ist uns weggelaufen. Caren Miosga muss los. Nur das noch. Hanns Joachim Friedrichs kam ihr immer vor wie eine Schrankwand. Immer da, immer verlässlich. Und was wäre sie gern in den deutschen Wohnzimmern? Ach, sagt sie. Da sei immer alles so fest betoniert. Sie würde lieber ein Bild sein. In dem man immer wieder was Neues entdecken könne. Ohne sich zu langweilen. Und dann schafft sie es wieder die bei Ebbe so steile Brücke rauf. Ohne auch nur einmal hängen zu bleiben.