Wanderkino Flexibles Flimmern feiert fünfjähriges Bestehen und will Konzept, Filme in passender Umgebung zu zeigen, aufs Land tragen.

Hamburg. "In Zweierreihen aufstellen", sagt der Mann im schwarzen Talar mit strenger Stimme. "Die Knaben hier, die Mädels dort." Die längst der Schulbank entwachsenen Gäste, die sich als Einstimmung auf den Film "Die Feuerzangenbowle" einem "kaiserlichen Unterricht" im Hamburger Schulmuseum unterziehen, gehorchen. Kurze Zeit später sitzen die "Buben und Mädels" auf harten Holzbänken und lauschen dem despotischen "Lehrer", Schauspieler Gerd Schwaiger. Schulunterricht wie zu Kaisers Zeiten - mit Stock und allem, was dazugehört.

Die Vorführung des Filmklassikers vergangene Woche war der Höhepunkt des diesjährigen Programms "Flexibles Flimmern". Seit 2006 bespielt Holger Kraus unter diesem Namen mit einer Art Wanderkino verschiedene Orte der Hansestadt. Immer geht es darum, den Film in der perfekt zu ihm passenden Umgebung zu zeigen - inklusiver passender Dekoration, Düfte und Speisen. Verknüpfungen von Kino und Realität gefallen Kraus. Sei es "Casino" in der Spielbank Hamburg oder "Die Liebenden von Pont-Neuf" unter der Kersten-Miles-Brücke - die Spielorte haben immer einen Bezug zum gezeigten Film.

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"Man kann Menschen so die eigene Stadt aufschließen", sagt Kraus. Ein Konzept, das so erfolgreich ist, dass es nun auf das Hamburger Umland ausgeweitet wird. "In diesem Jahr habe ich mir einen Bus gekauft, mit dem ich mein Projekt auch in ländliche Gegenden bringen kann", sagt Kraus. Schließlich gebe es noch mehr als nur die Großstadt.

Mit 16 Jahren hat Holger Kraus begonnen, Filme zu sammeln "wie andere Leute Platten", so der 43-Jährige. "Auf Video, das war das Medium der Zeit." Als Student in Göttingen richtete er ein Hauskino ein. Prägend war für ihn aber vor allem die Zeit in einem Filmklub. "Wir waren so rund 30 Leute im Dunstkreis dieses Klubs, und man traf sich immer zum Filmeschauen", sagt Kraus. "Ganz unverkrampft und nicht besonders intellektuell. Das fand ich gut."

Er habe in dieser Zeit viel über Filme gelernt und es später vermisst, Filme zu sehen und im Anschluss noch vor Ort beieinanderzusitzen und über das Gesehene zu sprechen. "Das war halt nicht wie im Kino, wo man gleich nach dem Abspann wieder aus dem Saal muss, damit die nächsten mit ihren Popcorntüten hineinströmen können", sagt Kraus. Stattdessen konnte man sich die Zeit nehmen, allmählich wieder aus der Fiktion herauszukommen.

"Film war immer mein Ding. Da lag es nahe, etwas in der Richtung zu machen." Ganz wie damals ist das Flexible Flimmern eine Art Filmklub geworden, nur mit mehr Leuten. "Mit 150 habe ich angefangen, mittlerweile sind etwa 8500 Adressen in meinem Verteiler", sagt Kraus. Dennoch herrscht eine persönliche Atmosphäre, wenn der Veranstalter seine Gäste zu einem neuen Kinoerlebnis einlädt. Man duzt sich, und jeder Einzelne wird vom Kinomacher am Einlass persönlich begrüßt. Idee, Planung, Organisation, Dekoration, Gästebetreuung und sogar wie an diesem Abend Feuerzangenbowle inklusive Häppchen - alles macht Kraus selber.

"Eigentlich ist das selbstausbeuterisch", sagt er. Trotzdem kann er von seinem Kinogeschäft einigermaßen leben. "Weil ich es so mische, dass was übrig bleibt", sagt Kraus. Zum Beispiel veranstalte er auch Filmabende für Firmen, meist aus der Kreativwirtschaft.

Der jeweilige Kooperationspartner für das Flexible Flimmern - wie gerade das Schulmuseum - profitiere in der Regel von seiner Veranstaltung, sagt Kraus. "Ich bringe ein Publikum mit, das konsumintelligent ist", sagt er. Früher habe er häufiger den Fehler gemacht, ein wenig wie ein Klinkenputzer daherzukommen. Heute sei er da selbstbewusster, schließlich verschaffe er den Spielorten auch neue Kundschaft und Umsatz. Viele seiner bunt gemischten Gäste kommen regelmäßig zu seinen Vorführungen, was Kraus besonders freut. Oliver etwa war mittlerweile schon achtmal dabei. "Der macht das richtig super, der Holger", sagt er.

Erlebbares Kino, das hat die Filmindustrie schon öfter versucht. Sei es mit Geruchskärtchen, die man während des Films als Erlebnisverstärker aufrubbeln sollte oder mit 3-D-Effekten. Bei Holger Kraus geht das anders. Während die Herrenrunde auf der Leinwand über ihrer heiß dampfenden Bowle auf die Idee kommt, Heinz Rühmann wieder auf die Schulbank zu schicken, dampft auch im Schulmuseum an der Seilerstraße die Bowle im Topf. Die großen Fenster des Saales sind mittlerweile beschlagen und die Stimmung gehoben. Viele der "Kurzzeitpennäler" werden bestimmt auch im nächsten Jahr wieder dabei sein, wenn "der Holger" zu einem seiner Filmerlebnisse einlädt.

Infos: www.flexiblesflimmern.de .