Der Kenner liebt es, im Herbst in gemütlicher Runde am Kamin zu sitzen und zu versuchen, die Aromen-Vielfalt edler Tropfen in Worte zu fassen. Marcus Stäbler gibt schon mal ein paar putzige Kostproben

Ein grau melierter Herr im gut geschnittenen Anzug hält sein Glas gegen das Licht. Verzückt betrachtet er die Flüssigkeit. Bewundert ihre ölige Schwere, den warmen Mahagonifarbton. Er schnuppert, vollführt kleine Kreisbewegungen, schnuppert noch mal, spitzt die Lippen und lässt den edlen Tropfen in den Mund rinnen. Schließt die Augen. Schluckt. Und schwärmt. „Wunderbar rauchig. Wie ein Kaminfeuer mit Tannenholz.“ Die junge Frau neben ihm – Dreadlocks, gepiercte Nase, Springerstiefel – nickt. „Aber eine Prise Fahrradschlauch ist auch dabei, oder?“

Dieser Dialog, belauscht bei der Messe „Hanse Spirit“, spricht Bände. Denn der Genuss eines Whiskys – dessen Name vom gälischen Wort „uisge beatha“ für „Wasser des Lebens“ stammt – ist auch in Deutschland längst kein Geheimtipp mehr, sondern kulinarisches Allgemeingut, quer durch (fast) alle Gesellschaftsschichten. 2012 wurden in Deutschland 68 Millionen Flaschen verkauft, Tendenz steigend.

Die geschmackliche Komplexität sorgt für eine kontinuierlich wachsende Fangemeinde. Zu der gehört auch Niklaus Kaiser, Geschäftsführer beim Baseler Hof. Er ist durch eine kleine Filiale seines Hotels im britischen Norfolk auf den Geschmack gekommen, wie er selber sagt: „Ganz in der Nähe liegt dort die St. George’s Distillery, die einzige Brennerei Englands. Seit wir die entdeckt haben, sind wir immer auf der Suche nach neuen, interessanten Tropfen für unsere Gäste.“ Der Whisky-Genuss ist für Kaiser nicht bloß ein geschmackliches Erlebnis, sondern hat auch eine wichtige atmosphärische Dimension, gerade im Herbst: „In gemütlicher Runde am Kamin über Whisky oder Wein plaudern – was gibt es Schöneres in der dunklen Jahreszeit?“.

Genau. Auch deshalb bietet das Hamburger Abendblatt seinen Abonnenten eine Whisky-Verkostung in Kleinhuis’ Bistro & Weinhandel im Hotel Baseler Hof an (siehe Text unten rechts). Eine schöne Gelegenheit, den Aromen nachzuspüren und mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Das ist beim Whisky besonders leicht. Weil der verbalen Annäherung an das Geschmackserlebnis keine Grenzen gesetzt sind. Die Metaphernwelt der Whiskyfans quillt förmlich über vor Fantasie und putzigen Assoziationen.

In ihrem aktuellen Herbstnewsletter fühlt sich etwa die Scotch Malt Whisky Society von einem 25-jährigen Mortlach an eine „vornehme Dame in einem Klavierladen“ erinnert, die ihre parfümierte Lederhandtasche öffnet, „um Rumtrüffel und Kirschlikör-Pralinen herauszukramen“. Ein achtjähriger Ledaig wird als „Erste-Hilfe-Kasten im Maschinenraum eines alten Dampfschiffs“ verortet. Und ein Schlückchen Bowmore lässt die Verkoster von „teerigen Schiffstauen und einem Hauch Schießpulver“ träumen. Yummie!

Die aromatische Vielfalt des Whiskys (oder Whiskeys, wenn er aus Irland oder den USA stammt) erwächst aus einer erstaunlich kleinen Anzahl an Zutaten: Wasser, Getreide, Hefe. Und: viel Zeit. Mindestens drei Jahre muss das Destillat im Eichenfass gereift sein, bis es Whisky genannt werden darf, noch besser sind zehn oder mehr Jahre – weil das Getränk erst dann, im Austausch mit dem Holz, seinen unverwechselbaren Charakter entfalten kann.

Welchen Einfluss die einzelnen Stoffe wie Tamine auf den Geschmack haben, erforschen Wissenschaftler, die die verschiedenen Anteile bis aufs billionste Teilchen genau bemessen können. Doch auch ohne Reagenzglas sind ein paar Faustregeln zu erkennen: Der amerikanische Bourbon schmeckt wegen seines hohen Mais-Anteils relativ süß, der irische Whiskey durch den dreifachen Brennvorgang eher mild.

Die größte Bandbreite hat jedoch der meist zweifach gebrannte Whisky aus Schottland mit seinen über 100 Destillerien. Deshalb schwärmen viele Fans vor allem für den schottischen Single Malt, also einen Whisky, der – im Gegensatz zum Blended Whisky – aus einer einzigen Brennerei stammt und für dessen Herstellung ausschließlich gemälzte Gerste verwendet wurde.

Besonders beliebt sind die Single Malts von der Hebriden-Insel Islay vor der rauen Westküste Schottlands. Weil die für Whisky verwendete Gerste dort über torfbeheizten Feuerstellen getrocknet wird, verströmen Islay-Whiskys wie Ardbeg, Lagavullin oder Laphroaig ein besonderes Rauch-Aroma. „Torf liegt auch heute weiter im Trend“, sagt Uwe Lühmann von der Weinquelle Lühmann in Hohenfelde, einem der angesehensten Fachgeschäfte für Spirituosen in Deutschland. Dessen Auswahl umfasst eine Preisspanne vom zehnjährigen Laphroaig zum Flaschenpreis von etwa 30 Euro bis hin zu limitierten Sonderausgaben für das Zehn- und 20-Fache.

In den letzten Jahren, so Lühmann, seien Whiskys aus Japan und Deutschland stark im Kommen. Außerdem setze sich die Tendenz fort, Whisky zum Ende hin noch in Fässern nachreifen zu lassen, die vorher bereits ein anderes Getränk beherbergt haben. „Sehr beliebt ist etwa das Finish in Sherry-Fässern; ausgefallener sind die Finishs in ehemaligen Madeira- oder Rumfässern“, erklärt Uwe Lühmann.

Diese finale Lagerungsphase verleiht dem Aroma ein paar zusätzliche Noten. Die erkundet man am besten bei Zimmertemperatur mit einem tulpenförmigen Nosing-Glas. Viele Kenner geben dabei mit einer Pipette noch ein paar Tropfen Wasser dazu. Allerdings: Eiswürfel gehen gar nicht – weil deren Kühle die Geschmacksnerven betäubt. Und das wäre schade, schließlich gibt’s beim Whisky unendlich viel zu entdecken. Ganz egal, ob man nun Anzug oder Piercings trägt.