Vor 30 Jahren erlebte Hamburg die erste Herztransplantation. Matthias Iken über eine Sensation, die beinahe unterging

Manchmal ist es einfach Pech. Die erste Herztransplantation in Eppendorf am 10. Februar 1984 hätte zum Medienereignis werden können – doch dann starb am selben Tag in Moskau der sowjetische Staats- und Parteichef Juri Andropow. Eine Weltnachricht in Zeiten des Kalten Krieges, die folgerichtig jede Titelseite am Tag darauf dominierte. Auch die des Hamburger Abendblatts: Die Sensation aus Eppendorf schrumpfte auf 20 Zeilen.

Fürs UKE war sie dennoch ein Meilenstein: „Von dieser Operation ist Strahlkraft für die Klinik ausgegangen“, sagt Prof. Niels Bleese, der damals das Skalpell führte. Nach dem Deutschen Herzzentrum in München und der Medizinischen Hochschule Hannover waren die Hamburger erst die dritte Klinik, die sich an die gefährliche Operation heranwagte. Als Pionier bei Herztransplantationen gilt der Südafrikaner Christiaan Barnard, der 1967 in Kapstadt ein Herz verpflanzte – doch sein Patient überlebte nur 18 Tage. Bleese hielt die Operation in den 60er-Jahren für verrückt. Damals gab es kaum geeignete Medikamente, um eine Abstoßung des Organs zu verhindern; ein Großteil der Patienten starb rasch. „Barnard hätte das 1967 noch nicht machen dürfen, da steckte viel Eitelkeit und Geltungssucht dahinter“, sagt Bleese. „Aber er hat der Transplantationsmedizin einen Riesenschub verliehen.“ Während Barnard die Schlagzeilen bekam, transplantierte Norman Shumway an der Stanford University wenige Wochen später erfolgreich ein Herz – der US-Mediziner hingegen scheute die Öffentlichkeit und ließ sich nach der Operation versteckt in einem Wäschesack an den Reportern vorbeitransportieren. Shumway wurde später zum Lehrmeister Bleeses. 1980 wechselte der damals 39-jährige Professor aus Hamburg für ein Forschungssemester nach Stanford. Dort versuchte er sich erstmals an Herz-Lungen-Transplantationen am Affen. „Die Monate in Stanford haben mein ganzes weiteres Leben positiv beeinflusst.“ Die Amerikaner hätten ihn gern an der Eliteuniversität in Kalifornien gehalten, seiner Frau zuliebe aber entschied er sich für eine Rückkehr nach Hamburg.

Die Empfängerin stärkte den Ärzten bei ihrer Premiere demonstrativ den Rücken

Und arbeitete hier – unterstützt vom UKE-Direktor Prof. Georg Rodewald – weiter an der Transplantationstechnik. Bald war klar: Die Hamburger trauten sich den Eingriff zu. Um das größte Problem, die Abstoßung des eingepflanzten Organs, beim Empfänger zu verhindern, waren spezielle Medikamente wie Antithymocytglobulin (ATG) notwendig. „Allein das ATG durch den Zoll zu bekommen war ein heißes Manöver“, erinnert sich Bleese. Mit Lisa Trapp aus Langenhorn fand das UKE schnell eine Patientin, die nach einem schweren Infarkt auf ein Spenderorgan angewiesen war. „Ein halbes Jahr stand sie auf der Liste – und dann hatten wir plötzlich ein Spenderorgan.“ Es kam aus der eigenen Unfallchirurgie. Aber Bleese und sein Team fragten nicht groß nach der Herkunft. „Wir wollten das nicht wissen“, sagt Bleese. Die 51-jährige Empfängerin stärkte den Ärzten demonstrativ den Rücken, obwohl sie wusste, dass sie die Patientin einer Premiere war: „Wenn Sie das zum ersten Mal machen, werden sie sich ja auch besondere Mühe geben“, sagte die ehemalige Leiterin einer Kantine lapidar.

Bleese selbst nennt die Transplantationstechnik mit seiner Erfahrung von 50 bis 60 Operationen inzwischen „eher einfach“. Es gehe darum, die vier großen Verbindungen anzuschließen, die Haupt- und Lungenschlagader sowie die Körper- und Lungenvene. 1984 drängelten sich zur dreieinhalbstündigen Premiere insgesamt 20 Mediziner und Schwestern im Operationssaal. Heute liest sich die Besetzung des 10. Februar 1984 wie ein Who’s who der Kardiologie. Unter den Ärzten war Bleeses späterer Nachfolger am Albertinen-Krankenhaus, Prof. Friedrich-Christian Rieß; indirekt hatte auch UKE-Klinikdirektor Prof. Hermann Reichenspurner mit seiner Forschung in München zum Erfolg der Herztransplantation beigetragen.

Der Wissenschaftssenator schickte einen Blumenstrauß. Hat Bleese sich am Abend ein Glas Schampus gegönnt? „Ich weiß es nicht mehr“, sagt der heute 73-Jährige. „Ich war lange in der Klinik und habe selber die Blutproben ins Labor gebracht.“ Die Tage nach der Operation prägte eine Mischung aus „Euphorie und Angst“. Euphorie, weil nicht nur der Eingriff gut funktionierte, sondern sich die Patientin erstaunlich schnell erholte, Angst aber, weil die Abstoßungsreaktionen erst später einsetzen. Bei Lisa Trapp ging alles gut. Schon einen Tag nach dem Eingriff konnte sie aufstehen, nach einer Woche wagte sie sich aufs Fahrrad und konnte das Krankenhaus bald verlassen. Später traf sich die dreifache Mutter immer wieder mit ihren Transplantationsärzten und lebte 24 Jahre mit dem fremden Herzen. „Das war schon ein kleines medizinisches Wunder, das nur durch eine gute Nachbehandlung möglich wurde“, sagt Bleese.

Für ihn und sein Team am UKE wurden Herztransplantationen bald zur Routine. Mehrfach flogen sie auf Noteinsätzen durch das Land, um Unfallopfern das Herz zu entnehmen und nach Hamburg zu bringen. „Wenn Sie das Herz herausoperiert haben, tickt die Uhr. Man hat nur drei Stunden, das Herz von A nach B zu transportieren.“ Mitunter flog der Chirurg mit dem Learjet beispielsweise nach Wien, entnahm das Herz, brachte es dann mit Taxi und Hubschrauber zum Flughafen und flog nach Fuhlsbüttel, um im Krankenwagen zum UKE zu rasen. Zweifel am Aufwand und dem Sinn der Transplantationsmedizin teilt Bleese nicht. „Wer nicht transplantiert, verliert den Anschluss. Wer transplantiert, schenkt hingegen einem Todkranken ein neues Leben.“