Dirk Lau, Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs Hamburg, kämpft für Tempo 30 und autofreie Zonen in der Stadt. Alexander Schuller porträtiert einen Dickkopf, der überzeugt ist, keinen Helm zu brauchen.

Gäbe es in Hamburg so etwas wie einen Vorzeigeradfahrer, Dirk Lau wäre einer. Obwohl das Sprachrohr des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs e.V. (ADFC) sich mit seinem italienischen Rennrad doch glatt ohne Helm auf die Straße traut, wohin Radfahrer laut Deutscher Straßenverkehrsordnung übrigens auch gehörten, wie er sagt. „Vom Helm tragen bekomme ich Kopfschmerzen“, behauptet er. Und dass die Forderung nach einer Helmpflicht für Radfahrer bloß falsche Propaganda sei. „Helme schützen nicht vor Unfällen. Davor schützen nur bessere Verkehrsbedingungen. Wer eine Helmpflicht fordert, kann auch gleich verlangen, im Ganzkörperpanzer durch Hamburg zu fahren. Dabei soll Radfahren doch auch Spaß machen.“ Er ist nicht allein, 90 Prozent radeln hierzulande ohne Kopfschutz. Vor wenigen Tagen erst hat er für den ADFC das Urteil des Schleswiger Oberlandesgerichts kritisch kommentiert, das einer bei einem Unfall schwer verletzten Radfahrerin eine 20-prozentige Mitschuld attestierte, weil sie keinen Helm getragen hatte, obwohl es unzweifelhaft sei, dass ein Helm vor Kopfverletzungen schütze, und auch die Anschaffung sei wirtschaftlich zumutbar.

„Hier wird das Verursacherprinzip ad absurdum geführt“, sagt Lau, „so soll eine Helmpflicht durch die Hintertür eingeführt werden. Die Hürde, das Verkehrsmittel Fahrrad zu benutzen, sollte aber nicht noch weiter erhöht werden.“ Denn das Fahrrad sei nun mal das Stadtgefährt der Zukunft, da seien sich nicht nur alle Stadtentwicklungsexperten einig, auch die Menschen spürten bereits mehr und mehr, dass die verkehrspolitische und praktische Bedeutung des Fahrrads zunehme. Etwa eine Million Radler gibt es nach Schätzung des ADFC in Hamburg, von denen rund ein Viertel als sogenannte „Alltagsradler“ gelten, die das Rad jeden Tag für ihre Wege nutzen.

Studien zeigen, dass Radfahrer auf der Straße sicherer sind als auf Radwegen

Lau selbst wurde schon zweimal in der Stadt von Autofahrern „abgeräumt“: Während ein Sturz über eine geöffnete Autotür noch glimpflich ablief, wurde beim zweiten Unfall sein rechter Ellenbogen zertrümmert; er wird seither von Titanplatten zusammengehalten. Was die Helm-Debatte angeht, vertraut er zum einen auf die Unfallstatistik, die relativ wenige Kopfverletzungen nach Fahrradunfällen aufweist, zum anderen auf seinen Betonschädel, in dem die für den ADFC geltende Parole: „Ab auf die Straße“ offenbar einzementiert ist. So lautete der Titel „unserer richtig erfolgreichen Kampagne“ (Lau) des Fahrradclubs im Jahre 2011. „Alle Untersuchungen zeigen, dass die Radfahrer auf der Straße sicherer unterwegs sind als auf den Fahrradwegen.“

Besonders die kombinierten Rad- und Gehwege wie zum Beispiel die Wandsbeker Markstraße, wo der Radweg in den breiten Bürgersteig integriert ist, auf dem die Fußgänger kreuz und quer laufen, stellten eine permanente Unfallquelle dar. „Die Radfahrstreifen, die jetzt auf einigen Hauptverkehrsstraßen angelegt werden: Das ist eine Maßnahme, die schon mal in die richtige Richtung zeigt.“ Nur wachse das Bewusstsein hierfür in den Behörden nur langsam. Dabei seien solche Streifen doch sowieso viel kostengünstiger als der Bau von neuen Radwegen abseits der Fahrbahn. „Und nur wenn eine erhöhte Gefahrenlage für den Fahrradfahrer besteht, kann die Ausnahmeregelung gelten, Radwege benutzen zu müssen. Kinder mit acht Jahren müssen auf dem Gehweg fahren, Kinder bis zehn dürfen auf dem Gehweg fahren. Danach dürfen sie wie Erwachsene auf die Straße.“

Einschränkend fügt das Vorstandsmitglied des Fahrradclubs aber auch hinzu, dass dieses Konzept nur schwer zu vermitteln sei: Zunächst müssten die Fahrradfahrer das Fahren auf der Straße verinnerlichen, um sich nicht ausgeliefert zu fühlen. Andererseits bekämen die meisten Autofahrer das korrekte Überholen nicht richtig hin, das Überholen mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand: „Im Prinzip muss der Autofahrer rüber auf die andere Spur, und wenn das nicht geht, darf er nicht überholen, sondern muss sich ein paar Sekunden gedulden.“

Doch wenn dann der 48 Jahre alte Redakteur, der im Hauptberuf als freier Mitarbeiter mehrerer großer deutscher Verlage Bücher produziert, mit leiser Stimme dezidiert über sein Lieblingsthema spricht, blitzt plötzlich der besonnene Überzeugungstäter und Visionär auf, der sich weder als Feindfigur des Autofahrers verstanden sehen will noch sich auf einen Kuschelkurs à la „wir sind doch alle Partner im Verkehr!“ einlassen möchte. Lieber als einer, der das Stadtleben lebenswerter (mit-)gestalten möchte.

Lau wuchs in Tonndorf auf, wo seine Eltern beim Landesstudio des ZDF arbeiteten. Mit zehn Jahren bekam er sein erstes Rennrad. Er sei aber nie Rennen gefahren, nur gegen sich selbst. Auch als er in seiner Jugend vorübergehend in ein Kaff bei Mainz umziehen musste und der tägliche Schulweg plötzlich knapp 20 Kilometer betrug (eine Strecke!), fuhr Dirk Lau fast immer mit dem Rad. Vermutlich war es eine Hassliebe, gerade wenn es regnete und der Wind mal wieder von vorne kam, aber irgendwie sei er dabei geblieben, bis heute. Also radelt er selbstverständlich aus Blankenese, wo er wohnt, nach St. Georg zum Büro des Landesverbandes. Erst vor viereinhalb Jahren ist Dirk Lau eingetreten, als man per Zeitungsanzeige einen Vorstand suchte. Nicht, dass er sich um einen Posten beworben habe, er wollte nur etwas Sinnvolles für die Stadtmenschen tun, doch dann sei er gewählt worden in das neue Team, das seitdem gemeinsam mit rund 120 ehrenamtlichen, aktiven Mitgliedern sowie einigen wenigen hauptamtlichen Mitarbeitern den Verein formt. Wöchentlich investiert Lau dafür zehn bis 15 Stunden. Insgesamt hat der Club, der schon seit 1981 existiert, knapp 6800 Mitglieder.

Lau leitet den Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit, aber dass der ADFC sein Nischendasein inzwischen längst hinter sich gelassen habe, sei eine Leistung des gesamten Teams. Betont er. Doch wer Diskussionen entfachen will, muss ab und zu das Schutzblech klappern lassen. Heißt: polarisieren.

Nur wenn die Rede aufs Private kommt, dann werden seine Lippen schmaler als die Reifen seines Rennrads. Ja, er sei verheiratet. Nein, sie hätten keine Kinder, neuerdings aber zwei Katzen. Und, ja, sie besäßen auch ein Auto, einen alten Lancia, aber der erhöhe seit Längerem nur noch den „Parkdruck“ in Blankenese und werde bald verschrottet. Offenbar ist es ihm unangenehm zuzugeben, noch ein Kfz zu besitzen. Dirk Lau lacht: „Es gibt ja auch keine schönen Autos. Es gibt schöne Räder. Moderne Autos sind hässlich. Früher vielleicht, da gab es noch schön geformte Karosserien!“

Die größten Feinde der Radfahrer seien auch nicht die Autofahrer, sondern die Politik und die Lobby der Autoindustrie, sagt er. Die sorge nach wie vor dafür, dass keine Tempolimits eingeführt werden. Denn zum sicheren Radeln auf der Straße bedürfe es zweier weiterer verkehrspolitischer Maßnahmen: „Wir wollen die Regelgeschwindigkeit umdrehen. Tempo 30 reduziert Emissionen, Lärm und senkt die Unfallhäufigkeit. Tempo 50 muss zur Ausnahme werden. Und wir brauchen flächendeckend autofreie Zonen in der Innenstadt. Die Menschen würden die Vorteile schnell merken.“ Dagegen entspreche die jüngste Sieben-Millionen-Euro-Investition in die Verkehrsleitzentrale anachronistischem Denken. Der Kraftfahrzeug-Verkehr müsse nicht besser fließen, sondern reduziert werden: „Aber so lange wir einen Bürgermeister haben, der einen Motorradgottesdienst besucht...“

So etwas wie das Bergedorfer Fahrradparkhaus oder die Fahrradstation auf dem Hamburger Unigelände: das seien vernünftige Projekte, schwärmt Lau, von denen es noch viel mehr geben müsse.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten. Dirk Lau bekam den Faden von Xiomara Tortoza und gibt ihn an Hermann Reichenspurner weiter.