Herzschlag, Hirnströme, Beinbewegungen: Mit 16 Messdioden am Körper hat Reporterin Juliane Kmieciak eine Nacht im Schlaflabor verbracht.

Kennen Sie jemanden, der zum Einschlafen ernsthaft Schäfchen zählt? Eben. Ich denke immer daran, wie alle möglichen Leute jetzt auch im Bett liegen: Freunde, Promis, Kollegen, die Chefin. Auch die machen beim Schlafen bestimmt komische Dinge: röcheln, schnarchen, sich wälzen, sprechen, aus bösen Träumen hochschrecken. Seltsame Sache, dieses Schlafen. Etwa ein Drittel unseres Lebens verschlafen wir - ein Drittel, von dem die meisten von uns nicht viel wissen. Wie auch? Nur wer zu laut schnarcht, der hört mal was vom Partner. Singles also nicht mal das ...

Wer mehr herausfinden will über das Nacht-Ich, der muss ins Schlaflabor. Schlaflabor? Das klingt für die meisten wohl erst mal nach viel Labor und wenig Schlaf. Ich habe es eine Nacht ausprobiert - im Schlafmedizinischen Zentrum am Agaplesion Diakonieklinikum.

Vorweg: Mein Schlaf ist, glaube ich, ganz normal. Wenn er denn erst mal da ist. Mein Problem: einschlafen. Problemlos dagegen: ausschlafen. Schnarchen? Ich doch nicht. Wälzen? Schon eher. Und meine Beine sind schon immer etwas unruhig gewesen. "Zappelphilipp" hat die Oma immer gesagt. Ach ja, auf dem Rücken schlafen, das geht gar nicht. Eigentlich geht nur Bauch. Ob das mit den Kabeln hinhaut? Wenn die wollen, dass ich schlafe, muss es.

Die Widersprüche zwischen dem, was sie selbst wahrnahm, und dem, was die Computer aufzeichneten, haben sie dann doch völlig überrascht 


21.30 Uhr: Ankommen im Schlaflabor. Im Rucksack eine Jogginghose, ein T-Shirt, Kulturtasche, unterm Arm eine Wärmflasche. An der Tür empfängt mich eine junge Frau. Uta Knierim ist Medizinstudentin. Sie blickt auf meine Wärmflasche. Anerkennend: "Das hat noch nie jemand mitgebracht." Knierim wird in dieser Nacht keine Minute schlafen (jedenfalls soll sie es nicht). Sie schiebt hier Nachtschichten, lernt dabei fürs Examen. Mit ihren blonden Locken sieht sie ein bisschen aus wie ein Engel - ein müder Engel. Sie bringt mich auf mein Zimmer: schmales Holzbett, ein Nachttisch, ein Stuhl, ein Tisch, an der Wand ein Fernseher. Könnte auch das Zimmer eines einfachen Hotels sein. Doch über dem Fernseher blinkt der Unterschied: eine Kamera. Sie wird, vor allem wenn später das Licht aus ist, filmen, was ich tue, wenn ich schlafe.

Ich bin gerade bettfertig, als Knierim mit einem großen Kabelhaufen und einem Köfferchen zu mir ans Bett kommt. An den Enden all der Kabel und Gurte sitzen Elektroden und Sensoren. Mit denen werde ich jetzt verbunden. An Kopf, Stirn, Hals, Brust, Beinen, Bauch und am Finger - an 16 verschiedenen Stellen. Fühlt sich eher nach Intensivstation an. Über die Sensoren werden Daten an den Überwachungsraum geleitet: Sauerstoffgehalt im Blut, Hirnströme, Bein- und Augenbewegungen, Herzschlag. Damit die ganzen Elektroden und Gurte nicht verrutschen, werden sie mit Pflastern angeklebt. Nur auf dem Kopf, da benutzen sie eine Art Zement als Klebstoff. Von dem werde ich noch ein paar Tage was haben.

Nach einer halben Stunde sind wir fertig. Jetzt soll ich mich hinlegen. Kontrolldurchgang. Gucken, ob alle Kabel richtig sitzen. Darf ich auf dem Bauch schlafen? "Versuchen Sie es", sagt der Engel und zeigt auf den dicken Kasten vor meiner Brust, der die Kabel bündelt. Verstehe. Sie verlässt das Zimmer. Dann tönt die Gegensprechanlage über meinem Bett: "Alle Geräte sind angeschlossen und funktionieren. Alles okay. Sie können jetzt noch fernsehen. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie das Licht ausmachen. Gute Nacht." Jetzt bin ich allein. Ich fühle mich als Kabelsalatkern.

Mein Blick wandert zur Kamera. Irgendwie will ich reinwinken. Reinwinken? Wie bescheuert. Also Fernsehen. "NDR-Talkshow": Andrea Berg plaudert über ihr 20. Bühnenjubiläum. Wann schlafen, wenn nicht jetzt?

23.40 Uhr: Licht aus. Erst mal Seitenlage. Hoffentlich muss ich nicht auf die Toilette in der Nacht. Dann müsste ich klingeln, abgekabelt werden. Unangenehm. Gut sieben Stunden liegen ab jetzt vor mir. Gute Nacht.

Ein ganz normaler Mensch hat im Alter von 75 Jahren etwa 216.000 Stunden Schlaf hinter sich. 216.000 Stunden Berg-und-Tal-Fahrt, immer zwischen Tief- und Leichtschlafphasen hin und her. Das Einschlafen ist das häufigste Problem. Wenn es regelmäßig länger als 30 Minuten dauert, sprechen Mediziner von einer Einschlafstörung.

1 Uhr: 80 Minuten wach. Im Nebenzimmer geht die Gegensprechanlage an. Frauenstimme: "Können Sie mich abkabeln? Ich muss auf die Toilette." Schritte, Stimmen, Rascheln, Tür auf, Tür zu, Tür auf, wieder Rascheln. Nach 15 Minuten endlich Ruhe. Meine Bettschwere ist dahin. Ich. Bin. Nicht. Müde. Noch mal Fernseher an? Unsinn. Andrea Berg ... Projekt: auf den Bauch legen. Der Kabelkasten drückt. Bisschen ungemütlich. Geht aber. Für den Moment zumindest. Stille.

Schätzungsweise 20 Prozent aller Menschen klagen zumindest zeitweise über Schlafprobleme. Fünf bis zehn Prozent davon sind chronisch und behandlungsbedürftig. Die häufigsten schlafbezogenen Erkrankungen sind: Ein- und Durchschlafstörungen, krankhaftes Schnarchen mit Atemaussetzern, sowie Bewegungsstörungen, wie zum Beispiel das Restless-Legs-Snydrom (unruhige Beine). Insgesamt gibt es 88 diagnostizierte verschiedene Schlafstörungen.

1.20 Uhr: Ich schrecke hoch. Plötzlich ist es hell im Zimmer. Habe ich geschlafen? Glaube nicht. Knierim, die mal mein Engel war, tapst zu meinem Bett. Der Fingerklipp, der den Sauerstoffgehalt im Blut misst, hatte sich gelöst. Sie klebt ihn wieder an. Licht aus. Jetzt schnell wieder müde werden.

1.40 Uhr: Wach. Ich bin wach. Wach, wacher, hellwach. Nicht müde. Wieso eigentlich nicht? Die vergangene Nacht hatte ich extra wenig geschlafen, um das Rumgewälze hier zu vermeiden. Alles richtig gemacht. Nur mit der Nachbarschaft habe ich nicht gerechnet - alles Schnarchpatienten. Schön, dass Ihr wenigstens schlafen könnt. Ganz, ganz großartig.

Wie viel Schlaf ein Menschen braucht, ist individuell unterschiedlich. Napoleon sollen fünf Stunden gereicht haben, Edison sogar nur zwei; Einstein brauchte zehn. Sich künstlich mit einem bestimmten Schlafmaß unter Druck zu setzen, ist nicht förderlich. Genauso individuell wie die benötigte Schlafdauer ist die Zeit, wann man müde wird. Es gibt Eulen und Lerchen - Spätinsbettgeher und Frühaufsteher also. Sich dagegen zu sträuben, ist leider zwecklos.

2 Uhr: Prima Zeit für ein Erinnerungsfoto. Mit dem Handy mache ich ein Selbstporträt. Wäre ich nicht angekabelt, würde ich vor Schreck aus dem Bett fallen: irgendwas zwischen "ihr bleiben nur noch wenige Wochen" und "so schlafen Astronauten".

2.15 Uhr: Bauch geht nicht mehr, Kasten drückt. Ich versuche die linke Seite. Geht nicht. Dann die rechte Seite. Also Premiere: Rücken. Kein Applaus. Also doch wieder Bauch. Bei jeder Umdrehung muss der Kabelsalat mit. Wer hatte eigentlich diese grandiose Idee, in ein Schlaflabor zu gehen?

Gedanken kreisen, Beine kribbeln. Vielleicht hätte ich vor dem Zubettgehen ein Glas Wein trinken sollen. Oder zwei. Ob der Engel welchen hat?

Wer Alkohol trinkt, schläft zwar zügig ein. Der Schlaf an sich ist dann aber weniger erholsam, oft zerstückelt. Tiefschlaf und Traumphasen werden unterdrückt. Bessere Einschlafhilfen sind leichte Bewegung, wie ein Spaziergang vor dem Zubettgehen oder beruhigende Rituale wie eine Tasse Tee. Zwar eher anregend, im Ergebnis aber auch ein Müdemacher: Sex.

2.40 Uhr: Ich liege in einer tiefen Kuhle. Habe ich Kuhle gesagt? Ein tiefes Tal trifft es besser. Was rede ich, in einer Schlucht. Ausgeformt von den 150-Kilo-Schnarchpatienten, die hier vor mir gelegen haben müssen.

3 Uhr: Wie viel Schlaf brauchen die wohl, damit die irgendwas Brauchbares messen können? Zehn Minuten? Zwei Stunden? Könnte knapp werden ...

Ein Teil der Einschlafprobleme ist schlicht psychologisch erklärbar. Wer sich sagt, er "werde heute Nacht bestimmt wie immer ganz schlecht schlafen", der wird es vermutlich auch tun. Die selbst erfüllende Prophezeiung tritt ein. Manchmal hilft ein Wechsel vom Bett aufs Sofa oder die Schlafcouch, weil der eigene Schlafplatz mit unguten Gefühlen behaftet ist.

3.10 Uhr: Hinsetzen. Nachdenken. Beine unruhig. Ob die Knierim da jetzt im Überwachungsraum mit ihrem Kollegen sitzt und mich beobachtet? Weggucken. Sofort! Juliane, jetzt nicht sauer werden. Ich muss mir was Schönes vorstellen, was zum Träumen. Zumindest davon würden die Sensoren nichts übermitteln, hatte man mir versichert.

Menschen, die nie träumen, gibt es nicht. Nur ist es individuell unterschiedlich, wie gut man sich daran erinnern kann. Träumen ist lebensnotwendig. Ein Versuch mit Ratten hat das gezeigt. Sie wurden Nacht für Nacht aus der Traumphase (REM-Phase) geweckt. Nach ein paar Tagen sind sie gestorben - die meisten an Infektionskrankheiten. Träumen hat neben der Gedächtnisbildung auch Einfluss auf das Immunsystem.

6.10 Uhr: Ich glaub, ich hab geschlafen. Aber jetzt tut sich was im Nebenzimmer. Da wird gesprochen. Da war mir das Schnarchen lieber. Drüben wird jetzt abgekabelt. Die Dame scheint putzmunter zu sein. Plappern kann sie wenigstens schon ganz gut. Jetzt kommen die gleich bestimmt auch zu mir. Bitte noch nicht. Lasst mir noch eine Stunde. Ich bin doch gerade erst eingeschlafen. Glaube ich jedenfalls.

Schlaf ist ein höchst aktiver Vorgang, der für die körperliche und seelische Erholung unabdingbar ist. Während des Schlafs sinkt die Körpertemperatur um etwa ein Grad ab. Das Stresshormon Cortisol wird runtergefahren. Auch Atemfrequenz, Blutdruck und Puls nehmen ab. Das Gehirn dagegen arbeitet auf Hochtouren, besonders in den Traumphasen.

6.30 Uhr: Licht an, Mist. "Guten Morgen. Gut geschlafen?" Das müsst Ihr doch wissen, denke ich. Was soll's: hinsetzen. Ein junger Mann beginnt, mich abzukabeln. Er zieht Pflaster für Pflaster ab. Aua für Aua. Auf meinem Kopf kleben vier graue, steinharte Brocken, so groß wie Zwei-Euro-Stücke. Als Letztes kommt der Brustgurt mit dem Kasten ab. Freiheit.

6.45 Uhr: Kaffee, Rührei, Croissant, Orangensaft - gibt es natürlich nicht. Dafür ein Taxi. Die Fahrerin fragt: "Kommen Sie von der Arbeit? Sie sehen kaputt aus." Da hat sie verdammt noch mal recht. Nach Hause bitte, in mein Bett. Die Klamotten dafür hab ich eh noch an.

11 Uhr: Aufwachen. Zum zweiten Mal an diesem Tag. Oder zum vierten? Jetzt fühl ich mich erholter. Die Nacht im Schlaflabor, das war doch gestern. Ich gehe alles noch einmal durch, überschlage die Schlafzeit: zwei Stunden. Maximal. Von vier bis sechs ungefähr. Irgendwie ist mir das peinlich. Ich, der Schlafversager.

Nachgespräch: Doktor Jörg Putensen betrachtet den Zettel mit bunten Kurven und Linien drauf. Die wichtigsten Daten meiner Nacht passen auf eine DIN-A4-Seite. Die "Schnarchnase vom Dienst", wie sich der stellvertretende Leiter des Schlaflabors mit einem Augenzwinkern nennt, spricht von einer "schlechten Schlafeffizienz": 52 Prozent. Normalerweise sollte die bei mehr als 80 Prozent liegen. Übersetzt: miserabel gepennt. So viel wusste ich ja vorher auch schon. Und doch gibt es eine Überraschung: Ich habe zwar schlecht, aber immerhin fast doppelt so lange geschlafen, wie ich dachte. 3,7 Stunden. Gegen eins das erste Mal, für etwa 20 Minuten. Das hab ich verpennt. Ab 3.20 Uhr mit kleineren Unterbrechungen durchgeschlafen, mit Tiefschlafphasen und einem ordentlichen Traumschlaf. Dass die Gesamtzeit trotzdem nicht gerade viel ist, sei aber kein Wunder. "Das kommt im Schlaflabor häufig vor", sagt Putensen. Andere Umgebung, andere Matratze, Geräusche, Gerüche. "First Night Effect", nennt er das. Beim Schlaf lieben wir die Gewohnheit.

Aber wie kann es sein, dass ich mich so vertue bei der Schlafzeit? "Weil Schlaf für unser Wohlbefinden so wichtig ist, nehmen wir ihn sehr ernst und bewerten Störungen häufig über", sagt Putensen. "Da können wach gelegene Minuten schon mal zu Stunden werden." Weitere wichtige Information: Die Kurve, die Atemaussetzer (Apnoe) sichtbar machen würde, ist eine Linie. Das ist doch mal was. Denn, wenn man sie hat, diese Schlafapnoe, dann merkt man in der Regel nichts davon. Nur am Tag ist man müde, unkonzentriert und schlapp, weil das Gehirn nicht genug Sauerstoff bekommen hat. In stark ausgeprägten Formen können die Aussetzer sogar lebensbedrohliche Auswirkungen haben. Kommen wir zu meinen, sagen wir, Findungsschwierigkeiten, was die angenehme Schlafposition angeht. Das Ergebnis ist hier eindeutig: Das, was die Messdaten meiner Beine zeigen, würde bei anderen als Gymnastik durchgehen. Was soll's? Mach ich den Sport halt nachts, so nebenbei. Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf.

Oder moderner ausgedrückt: Das ist "Schlaf-Effizienz".