Vor 25 Jahren eskalierte der Kampf um besetzte Häuser. Jan-Eric Lindner schildert, wie es zum Vertrag zwischen Senat und linker Szene kam.

Auf dem Flugblatt, mit dem Bewohner der Hafenstraßenhäuser Freunde und Neugierige, Sympathisanten und Weggefährten zum Jubiläumsfest "25 Jahre Barrikadentage an der Hafenstraße" vor wenigen Tagen luden, war ein Vermummter abgebildet, der anstelle eines Wackersteins bunte Blumen wirft. Ein schönes Bild. Es trifft die Situation. Mit ironischer Brechung, noch immer existentem Kampfes- und Diskurswillen sowie reichlich Arbeit und kreativem Geist haben es die Bewohner der bunten Blocks zwischen Fischmarkt und Kiez geschafft, den Mythos der Trutzburg zu erhalten - und dennoch weit in Richtung Gesellschaftsmitte zu rücken. Der Grundstein für den heutigen Frieden am Hafenrand ist an jenen Barrikadentagen im November 1987 gelegt worden. In Tagen, in denen nicht nur Deutschland auf die Hansestadt blickte. Vorangegangen waren die gewalttätigsten Auseinandersetzungen, die die Stadt seit dem Krieg erleben musste - und das Ehrenwort eines Bürgermeisters, der für einen Vertrag mit den "Chaoten" und die Lösung des Konflikts sein Amt verpfändete.

Die Stimmung war aufgeheizt, Mitte der 80er: Bildungsminister Jürgen Möllemann (FDP) hatte die Hafenstraße zum "gefährlichen Symbol für die Hilflosigkeit des Staates" erklärt, CSU-Staatssekretär Peter Gauweiler sah in ihr "eines der Hauptgefahrenpotenziale der Bundesrepublik". Dabei hatte alles ganz unspektakulär angefangen: Im Oktober 1981 beziehen Punks, Anarchos, Autonome und Obdachlose erste Wohnungen in den acht verfallenden Gründerzeithäusern, die der Stadt gehören und unter der Verwaltung der Saga stehen. Die Stadt plant, die Wohnblocks abzureißen und Bürogebäude zu errichten. Noch gilt es aber, einige letzte Altmieter loszuwerden. Die Besetzung findet zunächst still und unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dennoch sind im Herbst alle Wohnungen belegt. "Das lief über Mund-zu-Mund-Propaganda", erinnert sich ein damaliger Besetzer. Lange bevor der Begriff der Gentrifizierung geboren ist, wehren sich aufsässige Hamburger gegen Verschnöselung und Mieterhöhungen, und das nicht nur am Hafenrand. In der Stadt brodelt ein Konflikt, der heute erneut schwelt: Günstiger urbaner Wohnraum ist knapp, das Vertrauen in die Versprechen der Politik, dies ändern zu wollen, wenig ausgeprägt.

Die Gewalt zieht im März 1983 an der Hafenstraße ein. Nach Polizeieinsätzen kommt es zu Krawallen und einer Art Häuserkampf, in dem die Bewohner mit schmutzigen Tricks versuchen, die Ordnungsmacht am Betreten der besetzten Wohnungen zu hindern. Die SPD, seit Ende 1982 im Besitz der absoluten Mehrheit im Rathaus, ist gespalten. Vor allem der konservative Flügel will die Häuser räumen. Dennoch erhalten etwa 100 Mieter zum Jahresende Mietverträge zu Konditionen, zu denen sonst kein Elbblick zu bekommen ist. Indes: So schön die Lage der Häuser auch ist, so sehr spitzt sich die politische Lage zu. 1985 erklärt der damalige Verfassungsschutz-Chef Christian Lochte, dass in den Häusern Sympathisanten der RAF wohnten. Die Autonomen reagieren auf ihre Weise: Mal rammen sie eine Axt in die Bürotür des Bausenators Eugen Wagner, mal brennen Barrikaden.

Die Zeit scheint allerdings für sie zu sprechen: Im Dezember 1986 gehen fast 10 000 Menschen für einen Erhalt der bunt bemalten Bauten auf die Straße. Die Hafenstraße ist zum Symbol geworden, die "Volxküche" Zentrum einer weit verzweigten linken Szene. Befeuert von viel Unterstützung auf der einen und verständnisloser Ablehnung auf der anderen Seite eskaliert die Gewalt. Deren Höhepunkt ist vor 25 Jahren erreicht, im Sommer und Herbst 1987. Ein Vermittlungsversuch des Mäzens Jan Philipp Reemtsma scheitert, die Bewohner weigern sich, die vom Senat präsentierten Verträge zu unterschreiben. Mit ihnen sollte der Polizei ein freier Zugang zu den mittlerweile festungsgleich gesicherten Häusern garantiert werden. Die Bewohner hatten ihre Häuser - die ein Sinnbild für Freiheit hätten sein sollen - mit Stacheldraht, Gittern und Falltüren nachgerüstet.

Bürgermeister von Dohnanyi sah sich in einem Dilemma: Eine Zwangsräumung würde bürgerkriegsähnliche Zustände provozieren, das war klar. Gleichzeitig drohte auch das letzte Fünkchen Verständnis für die abwartende Haltung des Senates abhandenzukommen. Dohnanyi muss sich vorwerfen lassen, zum Spielball der Autonomen geworden zu sein.

Dann kündigt er an, sein Bürgermeisterbüro zu räumen, wenn die Hafenstraßenleute dies nicht ihrerseits mit den Barrikaden tun, die sie auf den Straßen aufgeschichtet haben. Im Gegenzug verspricht er neue Verträge und den Erhalt der Häuser. Was kaum einer für möglich gehalten hat, passiert in der Nacht zum 19. November 1987: Menschenketten bilden sich, Steine, Paletten, ausgebrannte Autos, Möbel und Metall werden entwirrt und abgetragen. Das "Wunder von St. Pauli" ist geschafft. Senatoren und Besetzer unterzeichnen einen Pachtvertrag. Zwar endet die Gewalt nicht und Dohnanyi erklärt sechs Monate später seinen Rücktritt, doch ist mit dem Ende der Barrikadentage ein Grundstein für den Erhalt des symbolträchtigen Blocks gelegt. Das Thema der Aufständischen von damals, die inzwischen Familien gegründet haben und in Frieden ihren Elbblick genießen, ist indes drängender denn je.

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