In der Küche ist Nappa Weger vom Manee Thai Perfektionistin. Mit Zahlen nimmt sie es aber nicht so genau, wie Jenny Bauer herausfand.

Nappa Weger glaubt, sie hat Ende November Geburtstag. Sie sei sich da ziemlich sicher, sagt die ihrer Meinung nach 71-Jährige. Genau weiß sie es aber nicht. Im Pass steht der 26. Mai als Datum. Ein Fehler. Wegers Mutter hatte es nach der Geburt ihres ältesten Kindes versäumt, gleich die entsprechenden Dokumente zu beantragen. Viele Monate nach der Geburt holte sie es nach. Und da sie den Mai so mochte, machte sie ihn kurzum zum Geburtsmonat ihrer Tochter.

In den meisten Fällen wäre diese Geschichte einfach nur eine nette kleine Anekdote, die jedes Jahr pünktlich zum Ehrentag bei Kaffee und Kuchen zur Erheiterung der Gäste dient. Bezogen auf Nappa Weger hingegen wird die Sache mit dem falschen Geburtsdatum zum Grundsatz. Die Lebensdaten der aus Thailand - sie sagt Siam - stammenden Gastronomin genau zu erfassen ist kompliziert. 64, 70, 85, 97 sprudeln die Jahreszahlen aus ihr heraus. Ihr Hochzeitstag? Irgendwann Anfang der 80er-Jahre. Die Eröffnung ihres Restaurants Manee Thai? 91. Nein, doch 92. "Nicht alles aufgeschrieben", sagt sie wie zur Entschuldigung. Nappa Wegers Herkunft schwingt sprachlich auch nach fast 50 Jahren in Deutschland noch in jedem Satz mit.

Jetzt könnte dieses Daten-Wirrwarr als Verschrobenheit und Vergesslichkeit gedeutet werden, aber so ist Nappa Weger nicht. Vielmehr kümmert sie sich schlicht nicht um Systeme und ihre Grenzen - nicht um solche, die das Leben in gestern, heute und morgen unterteilen, und auch nicht um die, die in thailändisch und deutsch oder buddhistisch und christlich unterscheiden. Nappa Weger ist einfach - irgendwo dazwischen. "Ich bin sehr zufrieden", sagt sie so, dass man es ihr glaubt.

Im Gegensatz zum Datum ist der Geburtsort der Gastronomin bekannt: Bangkok. Direkt an einem der vielen Khlongs - so werden die Kanäle der Stadt genannt - wuchs sie in einer Großfamilie auf. Vier ihrer fünf jüngeren Geschwister leben heute ebenfalls in Hamburg. Kein Zufall, schließlich stammte ihr Vater Rudolf Hampe selbst aus Deutschland. Nach seinem Studium der Kunst und Kunstgeschichte wanderte er 1933 nach Thailand aus. Er hat sich in die Tempelanlagen mit ihren Skulpturen, Ornamenten und Wandmalereien dort verguckt - und in Wegers Mutter.

Das Leben der Familie war stark deutsch geprägt. Zu Weihnachten wurde eine Kiefer geschmückt und Putenbraten gegessen. Die Tante aus Berlin schickte Schokolade zum Fest. "Das war ganz normal", sagt Nappa Weger. "Die Nachbarskinder kamen alle zum Gucken." Auch Ostern wurde gefeiert, die thailändischen Feste hingegen weniger. Obwohl Hampe selbst zum Buddhismus konvertiert war, besuchte seine Tochter eine katholische Schule in Bangkok und machte dort die mittlere Reife. Pünktlichkeit war eine wichtige Tugend. "Vater hat sehr darauf geachtet", sagt Nappa Weger. "In Thailand sagen die Leute zwei Uhr und kommen um drei." Von ihrem Vater hat sie zudem nach eigener Aussage ihren Sinn fürs Schöne geerbt. Als Schülerin unterstützte sie ihn gern und oft bei seinen Arbeiten in Tempelanlagen und seinem Atelier. Die Wände ihrer heutigen Wohnung direkt an der Elbe - wie in Bangkok lebt sie nah am Wasser - hängen voller Skizzen und Gemälde Hampes. Nappa Wegers Wohnung gleicht einem Museum ihres Lebens. Kante an Kante liegen viele etwa schreibtischplattengroße Teppiche auf dem Boden. Ein Flickenteppich im wahrsten Sinne des Wortes. In den wuchtigen dunklen Schränken mit Glasteil stapelt sich asiatisch anmutendes Porzellan mit Teetassen für Hunderte von Gästen. Buddhas stehen auf dem Tisch, ein Kronleuchter hängt von der Decke. "Das wird nie zu viel", sagt sie über das Sammelsurium.

Aber auch ihre Mutter entdeckt Nappa Weger in sich wieder. "Sie und Großmutter waren ganz sanft", sagt sie. "Und das Herz habe ich von Mutter geerbt." Sie meint damit ihren ihrer Meinung nach besten Charakterzug: Mitgefühl. "Ich will immer helfen und gebe gerne ab." Vielleicht habe das auch etwas mit Religion zu tun - besser mit den Religionen. Nappa Weger beschreibt sich als buddhistisch, katholisch und - seit sie in Hamburg lebt - evangelisch. Und welcher Nationalität gehört sie an? "Deutsch und thailändisch - genau das Gleiche", sagt sie.

1964 kommt Nappa Weger mithilfe von Kontakten ihres Vaters nach Deutschland, zunächst nach Bonn. Sie arbeitet als Au-pair-Mädchen im Haushalt des Geschäftsträgers der Regierung der Bundesrepublik Deutschland in Thailand und Laos, Johann Christian Lankes. Das junge Mädchen spricht trotz der bilingualen Eltern nur etwas Deutsch und soll die Sprache im Herkunftsland des Vaters lernen - dem Land, das für sie selbst zur Heimat werden sollte.

Nappa Weger hütet in Bonn nicht nur die Kinder, sondern bringt auch ihre Kochkünste ein. Von ihrer Mutter hatte sie in Bangkok die traditionelle Thai-Küche gelernt. Abendveranstaltungen im Haus der Lankes begleitet sie mit ihren exotischen Speisen. Ende der 60er-Jahre zieht sie nach Hamburg, da sie hier Verwandte und Bekannte hat. Sie gibt Kochkurse an der Gewerbeschule Pinneberg. Für ein paar Monate besucht sie ihre Tante Ella - die mit der Schokolade zu Weihnachten - und bringt den Berlinern im Hotel Kempinski die Thai-Küche näher. Zurück in Hamburg wohnt Nappa Weger bei Freunden in St. Georg. Dank ihres Wesens und ihrer Kochkünste ist sie ein gern gesehener Gast.

Oft kochte Nappa Weger für Dinner-Partys. Und oft war dort dieser Mann. Und oft sah der sie unentwegt an. Der Mann war Hugo Weger, damals Generaldirektor der Nordstern Versicherungen. Die beiden lernten sich kennen und lieben. "Er hatte ein sehr großes Herz", sagt Nappa Weger, die sich sonst bedeckt hält zum Thema Liebe. "Nappa, heirate mich. Du kriegst einen schönen Ring", soll er dann irgendwann gesagt haben. Anfang der 80er-Jahre heirateten die beiden. Das erhoffte Kinderglück blieb unerfüllt. Sie fand sich damit ab und ihre Zufriedenheit wieder. Nach gut zehn Jahren Ehe starb Hugo Weger. "Ich war so traurig", sagt seine Witwe. Ein Jahr habe sie Schwarz getragen. Bis heute geht sie einmal pro Woche an sein Grab und bringt Blumen.

1992 eröffnete Nappa Weger das Manee Thai in Blankenese. Sie nennt den Stadtteil ihre Heimat. "Die Leute haben gesagt, mach das, dann bist du beschäftigt." Mit Unterstützung zweier Köche aus dem berühmten Mandarin Oriental in Bangkok wurde das Restaurant zur Anlaufstelle für Thais und Hamburger, die sich nach "echter" Thai-Küche sehnen. Nach mehreren Umzügen ist das Restaurant ab Januar 2013 im Zippelhaus zu Hause.

Nappa Weger selbst bevorzugt die deutsche Küche. Grünkohl statt Tom Gai Gai. Restaurant statt Straßenküche. Und auch Hamburg bevorzugt sie gegenüber Bangkok. Die thailändische Stadt sei ihr zu voll, zu heiß und zu dreckig. Das oft graue Wetter an der Elbe hingegen findet sie romantisch. "Ich vermisse nichts", sagt Nappa Weger. Zweimal im Jahr fliegt sie nach Bangkok. Sie kauft Gewürze ein, holt sich im Mandarin Oriental Inspirationen und geht zum Schneider. Kleider in Form bayerischer Trachten lässt sie sich dann auf Maß anfertigen. "Die machen eine schöne Figur", sagt sie.

Ein in Bangkok geschneidertes dirndlartiges Kleid an einer Siamesin in Hamburg - das passt perfekt zusammen für Nappa Weger.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Nappa Weger bekam den Faden von Jörg Paura und gibt ihn weiter an Heung Min Son.