Rabe unterstützt den Beschluss zum Anspruch auf Halbtagsunterricht. Bürgerschaft debattiert Ausbau der Ganztagsschulen.

Altstadt. Die Leidenschaft, mit der die Bürgerschaft über die Schulpolitik streitet, verstellt bisweilen den Blick für die Gemeinsamkeiten. Dass immer mehr Schulen auf Ganztagsbetrieb umstellen, findet breite Unterstützung in allen fünf Fraktionen. Dass die Aktuelle Stunde des Parlaments trotzdem zu einer temperamentvollen Redeschlacht wurde, lag vor allem an einem: Schulsenator Ties Rabe (SPD).

Rabe hatte am Wochenende mit der Ankündigung überrascht, dass die SPD einer Änderung des Schulgesetzes zustimmen wolle, mit der die Wahlfreiheit der Eltern zwischen Halbtags- und Ganztagsunterricht festgeschrieben wird. Der Antrag kam von der oppositionellen FDP, bildungspolitisch sonst nicht eben auf einer Linie mit der SPD.

"Senator Rabe und die SPD handeln opportunistisch", sagte die Grünen-Schulexpertin Stefanie von Berg. "In Wahrheit hat die SPD Angst vor einem neuen Volksentscheid", setzte von Berg nach. Tatsächlich hatte Walter Scheuerl (CDU-Fraktion), der vor zwei Jahren maßgeblich am erfolgreichen Volksentscheid gegen die Primarschule beteiligt war, mit einem erneuten Plebiszit in Sachen Ganztagsschule gedroht. Scheuerl setzt sich dafür ein, dass Eltern auch weiterhin die Halbtagsschule für ihre Kinder wählen können. "Scheuerl rasselt einmal mit dem Säbel, und schon springt der Senat", giftete von Berg. Scheuerl gefiel die Attacke der Grünen - er klatschte kräftig Beifall.

+++ Walter Scheuerl droht mit Volksentscheid +++

Die Heftigkeit der Kritik an Rabe erklärt sich auch daraus, dass sowohl SPD als auch Grüne eigentlich für den drastischen Ganztagsschul-Ausbau sind. Die SPD hatte es zuvor nicht für erforderlich gehalten, die Wahlfreiheit ins Schulgesetz zu schreiben.

Der CDU-Bildungspolitiker Robert Heinemann kritisierte die Kehrtwende der SPD als "doppelten Rittberger". Der SPD-Abgeordnete Lars Holster verstand die Aufregung nicht. "Das Konzept Ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen ist freiwillig - es gibt keine Zwangs-Ganztagsschule", sagte der SPD-Politiker. "Deswegen nehmen wir den FDP-Antrag an."

"Wir wollen alle die Ganztagsschule", betonte die FDP-Politikerin Anna von Treuenfels. "Es gibt aber eine Minderheit, die sagt, dass sie ihre Kinder nachmittags selbst betreuen will." Deswegen bedürfe es einer entsprechenden Klarstellung im Schulgesetz.

Rabe hatte eine feinsinnige Erklärung für seine Position parat. Es gebe im Schulgesetz bislang eine "demagogische Lücke", weil es nur den Anspruch auf den Besuch einer Ganztagsschule festschreibt. "Das klingt so, als hätten wir einen Masterplan", sagte der Senator. Er meinte einen "Masterplan" zur Umwandlung aller Schulen in gebundene Ganztagsschulen. "Mir ist jedes Mittel recht, um diese Lücke zu schließen."

Rabe wies darauf hin, dass nur der kleinere Teil der Ganztagsschulen verpflichtende Nachmittagsangebote macht. Beim weitaus größeren Teil der Schulen ist die Betreuung nach 13 Uhr freiwillig. "Ich halte überhaupt nichts von Zwangsmissionierung", sagte der Senator. Im Übrigen sei Zwang überflüssig, weil die Eltern sich freiwillig zunehmend für Ganztagsangebote entschieden.

Rund 50 Prozent der Kinder würden an den Schulen mit freiwilligen Nachmittagsangeboten bereits daran teilnehmen. "Für 10 000 Kinder gibt es aber derzeit keinen Ganztagsschulplatz, obwohl die Eltern es wünschen", sagte Rabe. Das sei ein "Skandal", dem die SPD mit dem massiven Ausbauprogramm begegnen will. Bis zum Schuljahr 2013/14 werden zum Beispiel 197 der 204 Grundschulen Angebote zur Nachmittagsbetreuung einführen.

Am Abend stimmte die Bürgerschaft mit den Stimmen von SPD, CDU und FDP für die Änderung des Schulgesetzes, die aus einem Satz besteht: "Die Behörde stellt sicher, dass ein regional ausgewogenes Angebot an Halbtagsbeschulung in zumutbarer Entfernung zum Wohnort besteht."

Beschlossen wurde auch das umstrittene SPD-Konzept zur Inklusion, die allen Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf das Recht auf den Besuch einer allgemeinbildenden Schule zuspricht. Das Konzept regelt unter anderem die Finanzierung der inklusiven Bildung. Für jedes Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache und emotionale Entwicklung (LSE) soll es 3,5 Wochenstunden Förderunterricht geben, wobei ein Anteil der LSE-Kinder an der Gesamtschülerzahl von acht Prozent zugrunde gelegt wird. Die Kritik an dem Konzept entzündet sich unter anderem daran, dass der Anteil der LSE-Kinder an vielen Schulen höher ist.