Seit 30 Jahren lädt der Senat Verfolgte des Nazi-Regimes ein. Maria S. Rost war sieben Jahre alt, als ihre Familie 1938 Hamburg verlassen musste.

Hamburg. Ihre Erinnerung riecht nach Gips. "Mein Vater hat damit gearbeitet, als er aus seiner Arztpraxis rausmusste und sich bei uns eingerichtet hat", sagt Maria S. Rost. Mehr als 70 Jahre ist das her, doch die innere Stimme ist nun wieder laut. "Nie außerhalb des Hauses über Hitler sprechen!", wieder und wieder hätten ihre Eltern das gesagt. Damals, als die jüdische Familie in dem Backsteinhaus an der Heilwigstraße in Harvestehude wohnte. Maria S. Rost war sieben Jahre alt, als ihre Familie 1938 Hamburg verlassen musste. Es sei ein Abenteuer gewesen, nach Amerika zu fahren, sie habe noch nicht gewusst, dass sie ihre Heimat so lange nicht wiedersehen würde, sagt sie auf Deutsch, mit amerikanischem Akzent.

Diesen Monat kam sie über das Senatsprogramm für von den Nazis verfolgte ehemalige Bürgerinnen nach Hamburg zurück. Seit 30 Jahren lädt die Stadt Besuchergruppen ein. 5400 ehemalige Hamburger, teils mit Ehepartnern und Verwandten, haben bisher teilgenommen. Die langjährige Organisatorin Carola Meinhardt sagte einmal: "Das Programm hat mit Wiedergutmachung nichts zu tun. Es geht um das Akzeptieren dessen, was passiert ist."

Zum Jahrestag ist die Magisterarbeit von Lina Nikou "Zwischen Imagepflege, moralischer Verantwortung und Erinnerungen" (Dölling und Galitz Verlag) erschienen - die vom Senat geförderte Forschung erweist sich als unabhängig-kritisch und lesenswert. Die Autorin analysiert Phasen der Erinnerungskultur und der Auseinandersetzung mit der Schuld. Von der "Zone des Schweigens" in der Nachkriegszeit bis zur zunehmend aktiven Rolle der Eingeladenen ab den 90er-Jahren. Auch politische Motivationen werden hinterfragt - etwa der Konkurrenzdruck der Initiativen anderer Städte auf Hamburgs Regierung. Langjährige Unterstützerin des Projekts ist die heutige Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD).

Viele Zeitzeugen leben nicht mehr, jetzt kommen ihre Kinder nach Hamburg. "Mein Vater hat nie etwas erzählt", sagt der 54-jährige Nitay Yaakov Guggenheim. Mit seiner Frau und vier Kindern lebt er in der schwedischen Stadt Varberg, geboren wurde er in Israel. Hamburg, das war weit weg für ihn. Sein Vater habe nicht erzählt, dass er aus einer Kaufmannsfamilie mit Villa an der Rothenbaumchaussee stammte, dass eine deutsche Familie ihn zwei Jahre lang versteckte. "Er konnte darüber nicht sprechen", sagt Guggenheim. "Auch weil er sich immer schuldig gefühlt hat, dass er überlebte und andere in den Gaskammern von Auschwitz starben."