Im „Kreuzverhör“ von Hamburg 1 und Hamburger Abendblatt lehnt Linken-Spitzenkandidatin Dora Heyenn jede Regierungsbeteiligung ab

Hamburg. Dora Heyenn, Fraktionschefin der Linken in der Bürgerschaft und Spitzenkandidatin für die Wahl am 15. Februar, stellt sich dem Kreuzverhör von Hamburg 1 und Hamburger Abendblatt. Hamburg 1 sendet das Gespräch heute von 20.15 Uhr an. Das Abendblatt dokumentiert die zentralen Passagen.

Frau Heyenn, Ihre Spitzenkandidatur ist doch eigentlich die bequemste. Die Linke muss nicht um den Einzug in die Bürgerschaft zittern. Und Sie werden weiterhin in der selbst gewählten Opposition verharren. Mit anderen Worten: Sie können so weitermachen wie bisher. Ist das nicht ein bisschen langweilig?
Dora Heyenn: Erst einmal haben wir den Anspruch, dass wir mehr Abgeordnete werden als wir jetzt sind. Nur acht Abgeordnete für 17 Ausschüsse – das ist eine echte Herausforderung. Alle sind am Limit. Als Zweites muss man gegen den Mainstream in der Stadt, dass angeblich alles prima ist, deutlich machen, was alles schief läuft und welche Menschen vergessen werden. Das ist durchaus anstrengend. Und man muss sagen, dass der Zuspruch auch ständig steigt.

Aber ist es nicht doch ein bisschen wenig Herausforderung, so in der Oppositionsecke zu verharren?
Heyenn: Es ist ja nicht so, dass die Linke generell auf Oppositionskurs ist. Wir können uns auch vorstellen, in Hamburg mal mit in die Regierung zu gehen. Nur zur Zeit sehen wir an keinem Punkt, dass die SPD sich wirklich durchringen könnte, einen Kurswechsel vorzunehmen. Das ist weder in der Flüchtlingspolitik so noch in der Schulpolitik, nicht in der Armutsbekämpfung oder der sozialen Gerechtigkeit.

In anderen Bundesländern stellt die Linke mittlerweile den Ministerpräsidenten, aber hier ist man von einer Regierungsbeteiligung so weit weg, dass es nur heißen kann: Fundi-Hochburg Hamburg.
Heyenn: Nein, Ministerpräsident Bodo Ramelow in Thüringen hat eine CDU/SPD-Regierung abgelöst. Der hat einen Politikwechsel eingeleitet.

Eine absolute Mehrheit der SPD muss man aus Sicht der Linken also nicht ablösen ...
Heyenn: Ramelows erste Maßnahme war ein Abschiebestopp für Flüchtlinge im Winter. Die SPD in Hamburg ist dazu nicht bereit. Gerade im November und Dezember sind sehr viele Roma-Familien abgeschoben worden.

Dann mischen Sie sich hier ein und ändern das.
Heyenn: Wir haben uns eingemischt, wir haben Anträge gestellt und in einigen Anträgen ist uns die SPD auch gefolgt. Aber sie ist in ganz bestimmten Punkten nicht bereit, uns zu folgen. Und es gibt noch einen ganz anderen wesentlichen Punkt: Wir haben jetzt das zehnte Jahr der Agenda 2010. Sie ist der Sündenfall der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Für uns ist Hartz IV Armut per Gesetz. Ich habe den Bürgermeister schon zwei Mal öffentlich aufgefordert, sich dafür zu entschuldigen.

Es bleibt der Eindruck: Es ist die Angst vor der Verantwortung.
Heyenn:
Sie müssen sich mal erinnern, wie das in Ihrem Staatsbürgerunterricht war. Die Demokratie lebt davon, dass es Regierung und Opposition gibt. Und die Opposition hat verfassungsrechtlich eine sehr wichtige Aufgabe.

Für Sie ist Opposition Nicht-Regierung im Wartestand.
Heyenn: Nein, das ist Kontrolle der Regierung. Das haben wir an vielen Punkten auch gemacht. Und es ist Alternative. Es sind zwar nicht alle unsere Anträge angenommen worden, aber wir haben an bestimmten Punkten auch das ganze Parlament für unsere Anträge gewinnen können. Wir können einen Bürgermeister Olaf Scholz nicht wählen als Linke, und wir können auf keinen Fall mit ihm koalieren. Er ist Architekt der Agenda 2010, und das ist für uns ein No-Go.

Die Linke fordert von allem immer etwas mehr. Das geht durch das gesamte Wahlprogramm. Ein bisschen mehr Wohnungen, eine bessere Ausstattung der Kitas, noch mehr Lehrer, den Rückkauf der ehemals städtischen Krankenhäuser. Haben Sie eigentlich mal ausgerechnet, wie teuer das alles wäre
Heyenn: Wir fordern ja nicht nur mehr, sondern wir sagen auch, an welchen Punkten wir wollen, dass es weniger gibt. Wir haben zum Beispiel gefordert, dass die Inklusion zu der klassischen Doppelbesetzung durch Lehrer in Klassen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zurückkehrt. Wir haben vorgeschlagen, dass 20 Millionen Euro bei den Privatschulen eingespart werden. Ole von Beust hat die Förderung der Privatschulen auf 85 Prozent des Schülerkostensatzes hochgeschraubt. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 70 Prozent. Den wollen wir wieder haben. Und wir wollen die Schulinspektion, die bereits Schleswig-Holstein wegen Ineffektivität wieder abgeschafft hat, ebenfalls abschaffen. Das bringt weitere sieben Millionen Euro. Und damit könnte man die Doppelbesetzung in der Inklusion finanzieren.

Die Linke ist die einzige Fraktion, die die Einführung der Schuldenbremse abgelehnt hat. Das heißt nach landläufiger Meinung, dass die Schulden von heute künftigen Generationen aufgeladen werden. Welches Gesellschaftsverständnis steht eigentlich bei Ihnen dahinter?
Heyenn: Der Fehler ist ja, dass eine Schuldenbremse verordnet wird, ohne sich um die Einnahmeseite zu kümmern. Wir haben in Hamburg die höchste Millionärsdichte und wir haben in Hamburg den deutschlandweit schlechtesten Steuervollzug für die hohen Einkommen. Die SPD hat in der Opposition 200 neue Steuerprüfer gefordert, wir haben 150 neue Steuerprüfer gefordert. Jeder Steuerprüfer bringt über den Daumen eine Million Euro mehr Steuereinnahmen im Jahr ein. Rausgekommen sind bei der SPD sechs statt 200. Wenn man die Schuldenbremse einführt, ohne auf die Einnahmenseite zu gucken, dann wird überall gekürzt. So kann man eine Gesellschaft nicht aufrechterhalten. Wir wollen auch nicht, dass die Schulden steigen. Wir wollen sie auch langsam abbauen, aber nicht mit diesem Crash-Kurs, der immer zu Lasten der Schwachen geht.

In der Flüchtlingspolitik fordern Sie ein Bleiberecht für alle. Gibt es für Sie nie einen Grund, einen Flüchtling nicht aufzunehmen?
Heyenn: Vom Grundsatz her nicht. Ich möchte nur daran erinnern, dass es viele Deutsche gab, die unser Land verlassen mussten. Im Dritten Reich sowieso. Aber wenn wir ins Auswanderermuseum Ballinstadt gehen, dann stellen wir fest, dass um 1900 herum viele Menschen in Deutschland keine Perspektive sahen und nach Amerika ausgewandert sind. Das waren auch Flüchtlinge. Es waren Wirtschaftsflüchtlinge. Und vom Grundsatz her finde ich, dass man Menschen gewähren lassen muss, wenn sie versuchen, woanders ihr Glück zu machen.

Sind auch Wirtschaftsflüchtlinge uneingeschränkt willkommen?
Heyenn: Was meinen Sie mit Wirtschaftsflüchtling? Wenn jemand droht zu verhungern und über mehrere Stationen nach Europa flüchtet, dann ist es sehr unmenschlich zu sagen, der ist nur ein Wirtschaftsflüchtling und muss wieder zurück. Das lehnen wir ab. Wenn Straftaten begangen werden, müssen die natürlich verfolgt und geahndet werden.

Wo wollen Sie die dann noch einmal viel höhere Zahl von Flüchtlingen in der Stadt unterbringen?
Heyenn: Der Senat hat es versäumt, rechtzeitig zu reagieren. Wir wissen seit 2011, dass die Flüchtlingswelle nach Europa größer wird. Wir wollen, dass der soziale Wohnungsbau verstärkt wird und zehn Prozent der Sozialwohnungen für Flüchtlinge bereitgestellt werden. Massenunterkünfte können nur eine Übergangsregelung sein, weil sie zu sozialen Konflikten führen.

Nach unserem Eindruck spielt die Linke eine eher passive Rolle, wenn es in einem Stadtteil konkret Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen gibt.
Heyenn: Ob in Rahlstedt oder in Harvestehude beim Streit um das ehemalige Kreiswehrersatzamt: Überall sind Mitglieder von uns an den runden Tischen beteiligt und helfen vor Ort. Aber wir halten nicht immer die Fahne hoch und sagen, wir sind dabei.

Stichwort Olympia: Die Linke ist die einzige Partei, die zu 100 Prozent den Hamburgern die Spiele nicht gönnt.
Heyenn: (lacht) Wir möchten den Hamburgern ersparen, dass sie nach 16 Tagen Olympische Spiele einen Haufen Schulden haben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass in anderen Ländern nach Olympia ein Riesenberg an Schulden da war. Und Rathaus-Staatsrat Christoph Krupp hat gesagt, dass er bis September nicht einmal annähernd sagen kann, wie teuer diese blöden Spiele werden. So geht es nicht. Die Elbphilharmonie sollte zuerst den Staat nichts kosten, nun sind wir bei einer Milliarde.

Muss man nicht auch mal ein gewisses Risiko eingehen, wenn man die Stadt nach vorn bringen will? In der Geschichte Hamburgs findet man Beispiele von riskanten Entscheidungen, bei denen der Ausgang nicht immer so klar war.
Heyenn: Hamburg ist eine Stadt mit einer so tiefen sozialen Spaltung, in der jedes vierte Kind in Armut lebt und immer mehr ältere Menschen drei Mal pro Woche zur Tafel gehen müssen, um nicht zu verhungern. Da noch ein finanzielles Risiko in Milliardenhöhe einzugehen, was zu Lasten der Ärmsten ginge, das geht überhaupt nicht.

Sie sind das Gesicht der Linken, wie man auf vielen großen Plakaten sehen kann. Aber Sie sind nur mit 55 Prozent Zustimmung zur Spitzenkandidatin gewählt worden. Wie konnte das passieren?
Heyenn: Ich bin noch nie Everybody’s Darling gewesen. Everybody’s Darling ist Everybody’s Depp. Ich sage immer ziemlich deutlich, was ich denke. Und in sieben Jahren als Fraktionsvorsitzende bin ich auch dem einen oder anderen auf die Füße getreten. Ich war erst sehr entsetzt und wollte die Wahl nicht annehmen. Aber ich bin überzeugt worden, dass ich eine besondere Verantwortung für das Projekt Die Linke habe. Das war ein reinigendes Gewitter, und jetzt sind wir dabei, mit großer Solidarität intensiv Wahlkampf zu machen.

Wenn fast die Hälfte der Linken-Mitglieder Ihnen nicht traut, wie sollen es dann die Hamburger insgesamt?
Heyenn: Ich weiß nicht, ob die Parteifreunde mir nicht getraut haben. Vielleicht wollten sie mir ja auch nur einen Denkzettel erteilen. So etwas gibt es ja in Parteien. Damit muss ich leben.

Vielleicht haben Sie einfach zu viel mit den Linksradikalen der Liste Links zusammen gemacht.
Heyenn: Das ist nur die eine Seite. Für die einen war ich die Sozialdemokratin, für die anderen die mit der Liste Links, für die Dritten war ich zu autoritär und für die Vierten hatte ich zu wenig Führung. Ich lebe damit.

Frau Heyenn, Sie haben angekündigt, dass Sie darüber nachdenken, vielleicht nicht die volle Legislaturperiode als Fraktionschefin zur Verfügung zu stehen. Offensichtlich ist schon hinter den Kulissen ausgemauschelt, dass Sie wieder Fraktionschefin werden.
Heyenn: Aber es ist doch Tradition, dass die Spitzenkandidatin erst einmal Zugriffsrecht auf den Fraktionsvorsitz hat. Alles andere wäre schon sehr merkwürdig. Aber in fünf Jahren bin ich 70 Jahre alt. Da wäre es unvernünftig, noch Fraktionsvorsitzende zu sein.

15. Februar, der Tag der Bürgerschaftswahl: Ab welcher Prozentzahl werden Sie abends sagen, dass die Linke ihr Wahlziel nicht erreicht hat?
Heyenn: Wenn wir nicht in die Bürgerschaft kommen.

Das ist bescheiden.
Heyenn: Ich bin immer bescheiden.

Wer wird den nächsten Senat stellen?
Heyenn: Das wird eine Große Koalition, darauf wette ich. Olaf Scholz hat gesagt, dass er zuerst mit den Grünen redet. Da ist doch die Frage berechtigt, mit wem er als Zweites redet. SPD und Grüne beharken sich ohne Ende.