Linke und Grüne sehen offene Fragen zum Neonazi-Mord in Hamburg. Auch Opferfamilie fordert mehr Aufklärung

Hamburg. Es war eine Zeugenaussage, die bis nach Hamburg hallte. Im Gerichtsprozess gegen den rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in München sagte ein früherer V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes aus, er sei in der fränkischen Neonazi-Szene „Gauleiter“ in der Organisation eines bekannten Hamburger Neonazis gewesen. Später habe der Ex-Spitzel dann an Treffen des „Thüringer Heimatschutzes“ teilgenommen – die Neonazi-Gruppe, in der die späteren NSU-Mitglieder aktiv waren. Die Bundesanwaltschaft wirft dem NSU zehn Morde vor. Die Verbindungen zwischen dem V-Mann, Hamburger Neonazi-Kadern und dem NSU sind teilweise ungeklärt. Immer wieder tauchen neue Fragen durch Zeugenaussagen wie diese auf.

Die Linksfraktion in der Bürgerschaft, die Türkische Gemeinde, die Anwälte der Hamburger Opferfamilie sowie Abgeordnete der Grünen fordern daher einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum NSU in Hamburg. „Gerade hier ist noch viel aufzuklären“, sagt Linken-Politikerin Christiane Schneider. Hamburg sei über Jahrzehnte ein Zentrum der militanten Neonazi-Szene gewesen. Sie sieht „direkte Verbindungen“ zum engen Kreis des NSU. Auch der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke meint, dass für die Radikalisierung der Szene in Ostdeutschland auch Neonazi-Größen aus Hamburg maßgeblich waren. Konkrete Belege für eine Unterstützung des NSU durch Rechtsextremisten im Norden gibt es bisher nicht.

Auch die Grünen-Innenexpertin Antje Möller spricht sich für einen PUA in Hamburg aus. „Die Aufarbeitung der polizeilichen Ermittlungen nach dem Mord an Süleyman Tasköprü im Juni 2001 ist lückenhaft.“ Im Sommer hatte der Senat eine fast 100 Seiten lange Drucksache vorgelegt. Darin geht er auf einigen Seiten auf die Ermittlungen der Beamten in den Jahren nach 2001 ein und erklärt sich zu den Vorwürfen gegen Hamburger Behörden, die andere Untersuchungsausschüsse zutage gefördert haben. Möller moniert jedoch, dass „wir keine Klarheit darüber gewinnen, warum welche Ermittlungsansätze mit welcher Intensität verfolgt und andere verworfen wurden“.

Der Untersuchungsausschuss ist das schärfste Kontrollgremium im Parlament, Zeugen müssen wie vor Gericht aussagen, Abgeordnete können die Akten der Behörden einsehen. Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg sind die einzigen Bundesländer, in denen der NSU mordete, die keinen PUA beschlossen haben. Ein Grund dafür: Nach bisherigen Kenntnissen war Hamburg weder Schwerpunkt der Szene, aus der sich der NSU entwickelte, noch Mittelpunkt der Fehler und Verstrickung der Behörden.

SPD, CDU und FDP führen zudem an, dass sich der Innenausschuss der Bürgerschaft in sieben Sitzungen mit der Aufarbeitung des NSU-Mordes in Hamburg befasst habe. Kein Thema sei ähnlich ausführlich debattiert worden. „Sollte es neue Erkenntnisse geben, wird sich die Bürgerschaft – wie schon in der Vergangenheit – mit der Thematik weiter befassen“, sagt SPD-Abgeordneter Kazim Abaci.

Die Drucksache des Senats geht zudem auf die beschlossenen und geplanten Konsequenzen ein: Austausch der Informationen zwischen den Ämtern soll verbessert werden, die Führung von V-Leuten schärferen Regeln unterliegen, mehr Menschen mit ausländischen Wurzeln sollen bei Polizei und Geheimdienst arbeiten. Auch Integrationsstaatsministerin und SPD-Politikerin Aydan Özoguz lobt die Arbeit der Bürgerschaft. Sie habe die Aufarbeitung „gut vorangebracht“. Dennoch seien nicht alle Fragen „restlos geklärt, und deshalb ist es wichtig, dass die Arbeit weitergeht und alles auf den Tisch kommt“. Insbesondere müssten neue Erkenntnisse „mit der gleichen Intensität und Sorgfalt untersucht werden, mit der seit 2011 allen Hinweisen nachgegangen wird“, sagte Özoguz. Ob die Bürgerschaft einen Untersuchungsausschuss für notwendig hält, müssten die Abgeordneten entscheiden.

Der Türkischen Gemeinde in Hamburg reicht das nicht. „Es wurden Fehler gemacht, aber die Konsequenzen gehen nicht weit genug“, sagt die Vorsitzende Nebahat Güclü. Sie fordert wie die Anwältin der Familie des Opfers, Gül Pinar, einen PUA für Hamburg. „Es treibt die Menschen um, dass noch nicht alle Fragen ausreichend geklärt sind. Ein Untersuchungsausschuss kann verlorenes Vertrauen wieder herstellen“, sagt Güclü.

Doch damit ein PUA eingesetzt wird, müssen mindestens ein Viertel der Abgeordneten dafür stimmen. Davon ist die Linke weit entfernt. Weder CDU noch SPD haben sich dafür ausgesprochen. Kai Voet van Vormizeele (CDU) sieht keinen Erkenntnisgewinn durch einen PUA. Strukturelles Versagen der Behörden habe es weder hier noch in anderen Bundesländern gegeben, so Voet van Vormizeele.