Zähes Ringen um mehr Personal: Wie die Kita-Lobby die SPD zum Einlenken in Sachen Betreuungsqualität bewegte

Politik ist ja mitunter ein sehr durchschaubares Geschäft. Da protestieren Ende Oktober 4000 Eltern und Kita-Mitarbeiter laut und öffentlich gegen die aus ihrer Sicht unzureichende Betreuungsqualität, und keine drei Wochen später legt die SPD-Fraktion am Montag dieser Woche einen Antrag für eine Verbesserung der Betreuungsqualität vor. Das ganze drei Monate vor der Wahl. Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Hinter vorgehaltener Hand bekennen die Sozialdemokraten, dass die Ausmaße der Proteste, zu denen auch ein Brandbrief von mehr als 500 Kita-Leitungen und Flashmobs von Mitarbeitern gehörten, sie beeindruckt haben. „Wir gehen ja mit offenen Augen durch die Stadt“, sagt ein Genosse. Die Nachricht, dass der Betreuungsschlüssel für die bis zu 18 Monate alten Krippenkinder um zehn Prozent verbessert wird und weitere Verbesserungen folgen sollen, kam natürlich nicht ganz zufällig eine Woche vor einer öffentlichen Anhörung der Bürgerschaft am kommenden Dienstag, bei der vermutlich viele Eltern und Kita-Mitarbeiter ihren Ärger zum Ausdruck bringen werden.

So betrachtet handelt es sich also um eine recht simple Folge von Aktion und Reaktion. Doch der Vorgang hat eine sehr lange Vorgeschichte, und die relativiert die Rollenverteilung etwas.

Am 24. Januar 2011 unterzeichnete der SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz eine schriftliche Vereinbarung mit dem Landeselternausschuss (LEA), der die Interessen der Eltern von Kita-Kindern vertritt: Darin verpflichteten sich der damalige Bürgermeisterkandidat und die beiden SPD-Familienpolitiker Carola Veit (heute Bürgerschaftspräsidentin) und Thomas Böwer für den Fall der Regierungsübernahme zu einer ganzen Reihe von Maßnahmen: Die von CDU und Grünen beschlossene massive Erhöhung der Elternbeiträge sollte umgehend zurückgenommen und das Essengeld abgeschafft werden, der Rechtsanspruch auf einen Hortplatz wieder bis zum 14. Lebensjahr gelten, und – als Sahnehäubchen – versprachen die Sozialdemokraten auch, die fünfstündige Grundbetreuung komplett beitragsfrei anzubieten. Im Gegenzug verpflichtete sich der LEA, für den Fall der Einlösung aller Versprechen seine Volksinitiative mit noch weitergehenden Forderungen zu stoppen.

Dass Scholz so einen „Vertrag“ schloss, noch bevor er überhaupt Bürgermeister wurde, trug ihm von Oppositionsseite den Vorwurf der Hybris ein. Es war aber auch ein Hinweis auf die politische Strategie und das ausgeprägte Selbstbewusstsein des Mannes, der dann wenige Woche später tatsächlich Bürgermeister wurde. Kern dieser Strategie ist es, wenige Versprechungen zu machen, die aber zu halten.

Bis Sommer 2014 wurden daher alle Vereinbarungen umgesetzt, die Ausgaben für den Kita-Bereich wuchsen von gut 400 auf aktuell etwa 550 Millionen Euro jährlich an. Dass es zwischen SPD, LEA und weiteren Akteuren der Kita-Branche dennoch zu handfesten atmosphärischen Störungen kam, lag an zwei weiteren, weniger beachteten Punkten der 2011 getroffenen Vereinbarung.

Der Elternvertretung war extrem wichtig, dass die Erleichterungen bei den Beiträgen „nicht auf Kosten der Qualität“ in den Kitas gehen darf. Scholz und Genossen wiederum bestanden darauf, dass der LEA keine weitergehenden Veränderungen der Kitas „mit den Mitteln der direkten Demokratie“ fordern darf, also: keine Volksinitiative mehr. Aus Sicht der Eltern und auch vieler Kita-Mitarbeiter ging der schnelle Ausbau des Systems aber sehr wohl zulasten der Betreuungsqualität. Schon im Oktober 2013 erinnerte der LEA daher in einem Brief an Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) an diesen Passus der Vereinbarung, regte sogar an, lieber die Beitragsfreiheit noch einmal zu verschieben und dafür in die Qualität zu investieren. Das lehnte Scheele jedoch kategorisch ab – ein Versprechen nicht zu halten komme für diesen Senat nicht infrage.

Gespräche darüber fanden jedoch weiterhin statt. Nachdem eine Studie der Bertelsmann Stiftung im Sommer 2014 einer Betreuer-Kind-Relation im Krippenbereich von eins zu drei empfohlen hatte (die Realität in Hamburg ist etwa 1:6), ließ auch SPD-Familienexpertin Melanie Leonhard durchblicken, dass man dort Handlungsbedarf sehe. Allerdings war die Botschaft am Ende aller Gespräche immer: Wir würden gern, aber für diese Wahlperiode geht finanziell einfach nicht mehr.

Die Kritik des LEA und anderer Standesorganisationen wurde nun immer heftiger: Anfang Oktober warnte das neu gegründete Kita-Netzwerk in einem von 521 Kita-Leitungen unterzeichneten Brandbrief an den Senat vor „unhaltbaren Rahmenbedingungen“ in Hamburg. 25 Prozent mehr Personal sei nötig. Die Antwort von Sozialsenator Scheele: „Wir können nicht alles auf einmal machen.“

Vor der Großdemonstration gingen bei der SPD die roten Lampen an

Vor der Großdemonstration am 31.Oktober giftete der LEA-Vorstand schließlich, der Senat würde sein Versprechen „brechen“, wenn er nicht weitere Mittel für die Kitas bereitstelle. Spätestens jetzt gingen bei den Sozialdemokraten die roten Lampen an. Einige, wie Carola Veit, zeigten sich auf dem SPD-Parteitag Anfang November sichtlich erbost über den LEA. Während die Regierung ihre Versprechen einhalte, hielten sich die Eltern ihrerseits nicht an die Zusage, keine weiteren Forderungen zu erheben. Fraktionschef Andreas Dressel und Familienexpertin Leonhard deuteten dagegen zaghaft an, dass man angesichts der massiven Proteste wohl noch etwas tun müsse, und nahmen den Gesprächsfaden wieder auf – auch Veit und Ex-Ver.di-Chef Wolfgang Rose schalteten sich mit ein. Es galt zu sondieren, wie die aufgebrachten Eltern und Kita-Leitungen zu besänftigen sind.

Der Durchbruch gelang schließlich vorige Woche bei einem Treffen im SPD-Fraktionsbüro im Rathaus: Dressel und Leonhard präsentierten dem LEA-Vorstand ihren Antrag für eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels – zwar nur für einen Teil des Krippenbereichs und nur um zehn Prozent, dafür aber mit der Zusicherung, weitere Schritte zu unternehmen. Begeisterung kam bei den Eltern zwar nicht auf. „Wenn wir jetzt zur CDU gehen, bekommen wir einen Betreuungsschlüssel von 1:4 angeboten“, hieß es. Was die beiden Sozialdemokraten aber nicht beeindruckte: Die CDU müsse ihre Ankündigungen ja auch nicht einlösen. Die SPD verspreche weniger, halte das aber auch ein. Schließlich einigte man sich auf die Sprachregelung: „Ein kleiner Schritt, aber in die richtige Richtung.“

Als weitere vertrauensbildende Maßnahme setzte sich Dressel am Freitag bei einem Treffen aller SPD-Länderfraktionschefs in Hamburg dafür ein, die Forderung nach mehr Geld vom Bund für die Kita-Qualität in eine „Hamburger Erklärung“ zu gießen. Klingt gut, kostet nichts und gibt den Kita-Eltern das Signal: Wir haben verstanden. Manchmal ist Politik halt sehr durchschaubar.