Die Zahl der Kleinen Anfragen nimmt zu – und die Themen werden immer spezieller und skurriler. Ein Politikwissenschaftler erklärt das Phänomen

Hamburg. Es war ein lauschiges Plätzchen, das sich die Nachtigall zum Nisten ausgesucht hatte, dort, in einer Baumkrone nahe der Grundschule Lutterothstraße. Doch plötzlich wurde es ungemütlich. Ein Baukran mit einer beleuchteten Werbetafel illuminierte auch das Nest der Nachtigall, die daraufhin das Brüten einstellte.

Und wer hat sich mit dem Fall zuletzt beschäftigt? Der Naturschutzbund? Eine Stadtteilinitiative? Das Bezirksamt? Weit gefehlt. Tatsächlich landete die Nachtigall im Senat. Martin Bill und Stefanie von Berg von den Grünen stellten Ende August eine Kleine Anfrage. Titel: „Lichtverschmutzung – Störpotenzial für Mensch und Natur“.

Die Anfragen, mit denen zumeist Oppositionspolitiker an den Senat herantreten, werden immer mehr, immer kleinteiliger und bisweilen auch skurriler. Kleine Anfragen sind das Kontrollmittel der Opposition schlechthin. Das Prozedere ist klar geregelt: Mitglieder der Bürgerschaft sind berechtigt, zu öffentlichen Angelegenheiten Kleine Anfragen an den Senat zu richten. Diese werden schriftlich in der Bürgerschaftskanzlei eingereicht, dort an den Senat übermittelt und sind innerhalb von acht Tagen schriftlich zu beantworten. Anders als Große Anfragen werden sie zwar nicht auf die Tagesordnung der Bürgerschaft gesetzt, jedoch als Drucksache für jedermann einsehbar veröffentlicht.

In der Legislaturperiode von 2008 bis 2011 sind so insgesamt 6356 parlamentarische Anfragen zusammengekommen, von 2011 bis Mitte 2014 unter der SPD-Alleinregierung waren es bereits 8721. Daran gemessen, dass das Parlament derzeit aus fünf Fraktionen besteht – vorher waren es zeitweise nur vier – ist das allein vielleicht noch keine Überraschung. Dass sich die Senatsbehörden derzeit häufig mit sehr kleinteiligen Themen befassen, könnte nach Einschätzung von Politikwissenschaftler Prof. Elmar Wiesendahl aber auch an etwas anderem liegen: dem neuen Wahlrecht. Hierdurch seien seit 2011 Abgeordnete, ob in der Bürgerschaft oder in den Bezirksversammlungen, von ihren Wählerinnen und Wählern viel stärker abhängig geworden.

„Die entscheiden nämlich mit ihren jeweils fünf Stimmen sowohl für die Bewerber auf den Parteilisten als auch für die Direktkandidaten in den Wahlkreisen darüber, wer gewählt wird und wie gut oder schlecht man mit seiner Stimmenzahl gegenüber den anderen Mandatsträgern abschneidet. Je nach dem Häufeln der Stimmen auf einem Wahlschein (Kumulieren) können Kandidaten einen Sprung nach oben machen, oder aber abstürzen“, sagt Wiesendahl. Der Druck auf die Politiker, die Bekanntheit in ihrem Wahlkreis zu steigern und sich selbst für kleinteilige Anliegen starkzumachen, habe sich deshalb stark erhöht. Hinzu kommt die Entwicklung, dass für Bürger der „unmittelbar erfahrbare, lebensweltliche Nahbereich“ bedeutsamer werde.

Beispiele sind in der Parlamentsdatenbank leicht zu finden. Im Juni etwa wollten die SPD-Abgeordneten Lars Pochnicht und Ole Thorben Buschhüter wissen, wie es mit dem Toilettenhäuschen am U-Bahnhof Berne weitergeht. Abriss? Sanierung? Oder doch lieber eine Abstellanlage für Fahrräder?

Im November fragte Robert Bläsing von der FDP zum Thema „Flora und Fauna in städtischen Dienststellen“. Darin Fragen wie: Welche Vorschriften bezüglich der Einrichtung mit Pflanzen bestehen jeweils in den Dienststellen der Freien und Hansestadt Hamburg? Wie viele Fälle von allergischen Reaktionen wurden gezählt? Zu Bekanntheit brachten es auch zwei Anfragen des CDU-Abgeordneten Andreas C. Wankum zu den Themen „Aggro-Biker“ und „Aggro-Jogger“ mit Fragen wie „Gab es bei den durch ‚Aggro-Biker‘ verursachten Unfällen Einlieferungen von Bürgerinnen und Bürgern in ein Krankenhaus?“

Zeit und Kosten, die durch Bearbeitung entstehen, sind teilweise erheblich. Im Falle der Nachtigall an der Lutterothstraße hat sich der Aufwand aber wohl in Grenzen gehalten. Am Ende ging es dann auch mehr um das mögliche übergeordnete Problem der „Lichtverschmutzung“ durch Leuchtreklamen in der Stadt. Der Nachtigall dürfte es aber inzwischen ohnehin wieder besser gehen. Der Kran war bereits abgebaut, als die Antwort auf die Kleine Anfrage veröffentlicht wurde.