Jörg Debatin, Vorsitzender des Wirtschaftsrats, fordert eine Allianz, um den Wissenschaftsstandort zu stärken

Hamburg. In die Debatte um eine Stärkung des Wissenschaftsstandorts Hamburg kommt Bewegung. Jörg Debatin, Vorsitzender des Wirtschaftsrats in Hamburg, fordert einen Wissenschaftspakt in der Hansestadt. Politik, Hochschulen, Handelskammer und Unternehmen müssten eine parteiübergreifende Allianz schmieden, um die Stärken des Wissenschaftsstandorts auszubauen und die Zukunftsfähigkeit der Stadt zu sichern. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) müsse sich „an die Spitze der Bewegung“ setzen.

Hamburger Abendblatt: Warum braucht Hamburg einen Wissenschaftspakt?
Jörg Debatin: Die Analysen der verschiedenen Rankings zeigen, dass Hamburg in der Ausrichtung auf die Wissenschaft einige Defizite hat. Es geht nicht darum, dass einzelne Institutionen schlecht sind. Es gibt in Hamburg auch sehr gute Wissenschaftseinrichtungen. Niemand sollte sich angegriffen oder in die Ecke gestellt fühlen. Aber: Im Vergleich zu anderen Metropolen macht Hamburg zu wenig aus seinem Potenzial. Das ist keine Entwicklung der vergangenen zwei Jahre, sondern das Resultat einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung. Lange Zeit mag das keine Rolle gespielt haben. Heute allerdings müssen wir alle miteinander erkennen, dass die Zukunft Hamburgs darin liegt, eine Wissensmetropole zu werden.

Wie kommen wir dahin?
Debatin: Man könnte davon träumen, dass Hamburg die gleiche Zahl von Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten bekommt wie München und der Wissenschaft in Hamburg so viel Geld zur Verfügung gestellt wird, wie es in Baden-Württemberg seit Jahren üblich ist. Angesichts des Schuldenstopps erscheint das aber wenig realistisch. Deshalb sollten wir im Rahmen der Möglichkeiten einen effizienten Weg finden, um Wissenschaft zu stärken. Daher begrüßt der Wirtschaftsrat den Vorschlag von Klaus von Dohnanyi, Wolfgang Peiner und Willfried Maier, die Wirtschaft mit einzubeziehen. Wir müssen uns vom Prinzip der Gießkanne verabschieden. Dafür brauchen wir einen Pakt.

Welchen Beitrag soll, kann und will die Wirtschaft leisten?
Debatin: Die vor mehr als zehn Jahren begonnene Clusterpolitik war ein sinnvoller Ansatz. Es ging darum, eigene Stärken zu identifizieren und diese konsequent auszubauen. Die Verbindung von wirtschaftlichem Erfolg in Wachstumsmärkten, in denen Hamburger Firmen die Nase vorn haben, mit akademischer Ausbildung und Spitzenwissenschaft hat gut funktioniert – beispielsweise in der Luftfahrt. Einige Fortschritte gab es auch beim Logistik-Cluster. Da würde ich wieder ansetzen. Wir sollten schauen, was Industrie und Handel brauchen und dann die notwendigen Brücken zur Wissenschaft bauen. Das derzeitige Dahinsiechen im Mittelmaß ist der schlechteste Weg: Alle bekommen jährlich 0,88 Prozent mehr Mittel – das ist zu viel, um zu sterben, aber nicht genug, um wirkliche Exzellenz zu schaffen.

Als Vorsitzender des Wirtschaftsrats fokussieren Sie sehr auf die Belange der Wirtschaft. Aber droht nicht die Gefahr, dass sich Forschung zu verwertungsorientiert an den Interessen der Wirtschaft ausrichtet?
Debatin: Uns geht es keineswegs darum, dass sich die ganze Wissenschaftslandschaft an den Interessen der Wirtschaft ausrichtet. Wissenschaft darf nicht nur verwertungsorientiert sein. Dann hätten wir vermutlich einige Studiengänge nicht mehr, die uns als Gesellschaft wichtig sein müssen. Außerdem lässt sich nicht immer vorhersagen, welche Bereiche morgen relevant sind – auch für die Wirtschaft. Aber wir müssen einen Weg finden, um effizient und schnell besser zu werden, um zu anderen Regionen aufzuschließen. Das ist im Übrigen eine Zweibahnstraße. Beim Luftfahrt-Cluster gab es sehr substanzielle Investitionen von Airbus in die Technische Universität Harburg. Da ist die Wirtschaft in Vorleistung gegangen. Wenn es um neue Cluster geht, wären ähnliche Erwartungen aus meiner Sicht berechtigt. Auf der anderen Seite sollte sich der Staat, der schon recht viel Geld in die Wissenschaft investiert, überlegen, wie man sinnvolle Schwerpunkte bilden kann. Es geht darum, sich finanzielle Flexibilität zu erarbeiten, die man zur Stärkung der Bereiche nutzt, die für die Entwicklung der Stadt als Ganzes zukunftsweisend sind.

Wie soll so ein Wissenschaftspakt konkret aussehen?
Debatin: Die führenden Repräsentanten dieser Stadt müssen sich an die Spitze der Bewegung setzen. Der Erste Bürgermeister muss sagen: Ja, ich will Hamburg zu der Wissensmetropole im Norden machen. Das darf nicht ein Thema unter vielen sein, sondern muss ein zentraler Fokus der Senatsarbeit werden. Neben dem Senat müssen sich auch die Handelskammer und der Industrieverband mit ganzer Kraft dahinterstellen. Ich würde mir wünschen, dass es eine Allianz gibt zwischen dem Bürgermeister, allen Fraktionsvorsitzenden, dem Präses der Handelskammer und dem Vorsitzenden des Industrieverbands.

Sie wünschen sich weniger Parteipolitik in dieser Sache.
Debatin: Das Projekt darf nicht im Parteienzank untergehen. Auch der Ansatz der Clusterpolitik war parteiübergreifend getragen – da müssen wir wieder hinkommen. Es geht nicht darum, die Wissenschaftssenatorin zu kritisieren, sondern darum, gemeinsam die Grundlagen für den zukünftigen Wohlstand unserer Stadt zu sichern. Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Dietrich Wersich, dem das Thema am Herzen liegt, wird sich in die Pflicht nehmen lassen. Voraussetzung ist aber, dass Bürgermeister Scholz dieses zu seinem Anliegen macht. Er muss begreifen, dass Hamburg ohne ein Mehr an Wissenschaft seine Zukunft aufs Spiel setzt.

Ist es nicht naiv zu glauben, dass dieses ausgerechnet im Wahlkampf parteiübergreifend gelingt?
Debatin: Es ist doch gar nicht schlecht, wenn im Wahlkampf über den richtigen Weg hin zu einer Wissensmetropole gerungen wird. Es gibt Wahlkampfthemen, die ich weniger wichtig finde. Entscheidend ist, einen Konsens darüber herzustellen, dass wir das Hamburger Wissenschaftsprofil deutlich stärken müssen.