Prominente Mitstreiter von „Wir wollen lernen“ ziehen sich zurück und erheben Vorwürfe

Hamburg. Das Elternbündnis „Wir wollen lernen“ (WWL), das vor vier Jahren per Volksentscheid die Einführung der sechsjährigen Primarschule verhindert hatte, steht vor dem Bruch. Aus Protest gegen die Parteinahme des WWL-Sprechers Walter Scheuerl für die G9-Volksinitiative ziehen sich nun mehrere prominente WWL-Mitglieder zurück und erheben heftige Vorwürfe gegen Scheuerl.

„Der parteilose Bürgerschaftsabgeordnete Walter Scheuerl betreibt eine aktive Spaltung des Elternnetzwerks ,Wir wollen lernen‘“, heißt es in einer Erklärung, die unter anderem Heike Heinemann, Ute Schürnpeck und Kaja Steffens unterzeichnet haben. Die ersten beiden gehörten zum engen Kreis der WWL-Verhandlungsdelegation, mit der der damalige schwarz-grüne Senat vergeblich um einen Kompromiss in Sachen Primarschule gerungen hatte.

Der Konflikt schwelt schon länger, das Netzwerk ist in der Frage der Schulzeitdauer am Gymnasium gespalten. Heinemann und Schürnpeck haben die Gruppe „Schulfrieden“ ins Leben gerufen, die sich für den Erhalt des Abiturs nach acht Jahren (G8) einsetzt. Diese Gruppe unterstützen auch Frank Solms Nebelung und Ulf Bertheau, enge Weggefährten von Scheuerl aus der Primarschulzeit. Scheuerl unterstützt dagegen die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ von WWL-Aktivistin Mareile Kirsch, die die Rückkehr zum neunjährigen Bildungsgang fordert und dafür derzeit im Rahmen eines Volksbegehrens Unterschriften sammelt.

Scheuerl nutzt schon länger den von ihm betriebenen Rundmail-Verteiler, um das Anliegen der G9-Initiative bekannt zu machen. Nun hat eine Rundmail, die Scheuerl am Donnerstag verschickt hatte, das Fass offensichtlich zum Überlaufen gebracht. Scheuerl präsentiert darin die Mitschrift einer etwas holprigen Antwort der Grünen-Schulexpertin Stefanie von Berg in einer Fernsehsendung auf die Frage nach dem zentralen pädagogischen Argument für G8. Von Berg falle „auf diese Frage kein Argument“ ein, so Scheuerl. Die Sequenz sei „interessant und für die bisherige Argumentation vieler G8-Befürworter anschaulich“. Mit anderen Worten: Wer für G8 eintritt, hat eben keine Argumente.

Dann lobt der WWL-Sprecher noch ein „Hamburger Bildungsrätsel“ aus, indem er die Leser seiner Mail aufruft, bessere Antworten zu liefern. Einer der Hauptpreise ist „eine Stunde Stand-up-Paddling mit Walter Scheuerl auf Elbe oder Alster (für das seelische Gleichgewicht)“. Aus Sicht seiner Kritiker treibt Scheuerl damit „einen weiteren Keil in unser Netzwerk“. Er mache sich „sogar mit dem Hamburger Bildungsrätsel lustig über diejenigen innerhalb des Netzwerks, die in einem G8 an den Gymnasien sehr wohl den richtigen Weg für unsere Schulen sehen“, heißt es in der Erklärung. Scheuerl sagt, dass das Bildungsrätsel ein humorvoller Angang an das Thema sein sollte. „Jetzt machen sich die Leute Gedanken.“ Es zeige sich, dass es kein pädagogisches Argument für G8 gebe. Und: „Stand-up-Paddling mache ich gern.“ Sein Bekenntnis zu G9 habe er nicht für das Netzwerk, sondern nur für sich abgegeben. „Das war schon immer so.“ Eine Gefahr, dass das WWL-Netzwerk auseinanderbrechen könnte, sehe er nicht. Die aktuelle Diskussion um seine Aktivitäten sei „ein kleiner Disput unter Freunden“. Von den 150 Weggefährten, die Scheuerl als „harten Kern“ bezeichnet, hätte lediglich eine Person ihren Austritt erklärt. „Gleichzeitig habe ich drei Nachfragen für Aufnahme in das Netzwerk bekommen“, so Scheuerl weiter.

Anna von Treuenfels, neben Scheuerl eine der bekanntesten Mitstreiterinnen des Netzwerks und schulpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, kritisiert Scheuerls Vorgehen und bedauert die Eskalation. „Scheuerl hat neutral zu sein und kann nicht immer derartige Alleingänge machen“, sagt die Bürgerschaftsabgeordnete. Scheuerl mache sich mit seinen Äußerungen zum Sprecher in einem Netzwerk, in dem ein großer Teil der Mitglieder eine andere Meinung habe. „Scheuerl spricht so, als ob er für alle Eltern sprechen würde. Das geht nicht.“ Sehr lange habe der fraktionslose Bürgerschaftsabgeordnete gewartet, sich in der G8/G9-Debatte auf eine Seite zu schlagen. „Und nun hat er sein Wahlkampfthema gefunden.“