Es gibt in der sehr regierungserfahrenen SPD ein paar Gesetzmäßigkeiten, die sich über die Jahrzehnte erhalten haben. Zu diesen festen Leitplanken der Selbstorganisation, die nicht zuletzt der Austarierung der parteiinternen Kräfteverhältnisse dienen und Flügelkämpfen vorbeugen sollen, zählen die Regeln, nach denen die Landesliste für die Bürgerschaftswahl aufgestellt wird.

An der Spitze ist ein üblicherweise unantastbares Triumvirat gesetzt: Platz eins übernimmt in den meisten Fällen der Bürgermeister, also jetzt Olaf Scholz. In den selteneren Fällen, in denen die SPD auf der Oppositionsbank sitzt, ist es der Bürgermeisterkandidat, zuletzt 2011 also wiederum Olaf Scholz. Auf Platz zwei folgt die Politikerin, die das protokollarisch höchste Amt bekleidet, das der Stadtstaat zu vergeben hat: Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit.

Listenplatz drei steht traditionell dem Fraktionsvorsitzenden zu: Dieses zweitmächtigste Amt hat seit 2011 Andreas Dressel inne. Und genau hier gerät die sozialdemokratische Kleiderordnung in Schwingung. Denn Dressel hat gegenüber Parteifreunden seine Bereitschaft erklärt, auf die Top-Platzierung zu verzichten und stattdessen in seinem Wahlkreis Alstertal/Walddörfer direkt zu kandidieren. Nun ist der Volksdorfer zwar ein sehr freundlicher Mann, aber keinesfalls ein politischer Altruist und erst recht kein Hasardeur. Mit anderen Worten: Hinter Dressels Bereitschaft steht politisches Kalkül.

Zum einen ist Dressel im Nordosten politisch sehr verankert, er hat das Direktmandat im Wahlkreis 13 bereits 2011 gewonnen. Das Risiko ist also zu vernachlässigen. Zum anderen nimmt der Fraktionschef im Falle eines Verzichts auf den Listenplatz erheblichen Druck aus dem Nominierungskessel. Zurzeit gibt es hinter den Kulissen ein heftiges Gerangel um die attraktivsten Plätze, die etwa bis Nummer 20 reichen. Wenn Dressel zur Problemlinderung beiträgt, dann steht ihm und seinen Mitstreitern aus dem mitgliederstärksten Kreisverband Wandsbek nach üblicher Parteilogik Kompensation zu.

Das aktuelle Szenario sieht vor, dass auf dem dritten Platz Dorothee Stapelfeldt landen wird. An der Zweiten Bürgermeisterin, die als Wissenschaftssenatorin zuletzt sehr umstritten war, führt innerparteilich kein Weg vorbei. Mit Stapelfeldt und Veit hätte die SPD ganz vorn auf dem Wahlzettel zwei Frauen, dahinter wird es doch recht männlich. Und: Diese Variante löst ein Problem der Eimsbütteler SPD. Weil der Kreisvorsitzende Milan Pein fest entschlossen ist, diesmal für die Bürgerschaft zu kandidieren und zwar auf dem ersten Eimsbüttel zustehenden Listenplatz, wäre es für Stapelfeldt, die aus Eimsbüttel kommt, eng geworden.

Die fein austarierte Machtarchitektur der SPD-Liste sieht vor, dass beinahe alle Plätze nach dem Proporz der Kreisverbände vergeben werden. Auf den Plätzen vier bis zehn ist jeder der sieben Kreise mit einem Kandidaten vertreten. Danach geht es nach Mitgliederstärke: dem großen Wandsbek stehen vergleichsweise viele, dem kleinen Bergedorf wenig Plätze zu. Es gibt nur eine Ausnahme: den sogenannten Kasten. Das sind die Positionen eins bis drei sowie elf bis 13 und möglicherweise 21. Diese aussichtsreichen Plätze werden auf Vorschlag des Landesvorstands besetzt. Traditionell kann hier der Spitzenkandidat eigene Akzente setzen.

Olaf Scholz hat das 2011 auch getan, indem er überraschend den Reeder Erck Rickmers für die SPD gewann, der dann auf Listenplatz 13 auch tatsächlich in die Bürgerschaft einzog. Aber der Kasten eignet sich auch, um „Probleme“ zu lösen. Soll heißen: Hier können verdiente oder wichtige Genossen untergebracht werden, die manchmal keine Chance haben, von ihren Kreisverbänden aufgestellt zu werden.

Das Problem der SPD ist, dass es zu viele Probleme gibt. Es gibt mehr Aspiranten als Plätze im Kasten verbleiben. Klar ist, dass Ex-Ver.di-Chef Wolfgang Rose als einziger prominenter Gewerkschafter einen Kastenplatz bekommen soll. Und Isabella Vértes-Schütter, die Intendantin des Ernst-Deutsch-Theaters, sehen viele als geeignet für einen weiteren Platz an. Vértes-Schütter, die 2011 von Platz 60 aus gar nicht mit einem Mandat gerechnet hatte, ist einer der Shootingstars bei der SPD. Und als sicher gilt, dass etwa mit Kazim Abaci auch wieder ein SPD-Politiker mit Migrationshintergrund auf einem herausgehobenen Platz kandidiert.

Damit nicht genug: Die von Olaf Scholz geführte SPD braucht dringend wirtschaftspolitische Kompetenz. Nach dem Rückzug von Erck Rickmers hat auch der wirtschaftspolitische Sprecher Jan Balcke angekündigt, nicht wieder zu kandidieren. Das könnte die Stunde für Joachim Seeler sein, den die Wandsbeker gern auf einem der Kastenplätze sehen würden. Seeler ist Vorstandsmitglied des Lloyd Fonds und verfügt als Sohn des langjährigen Senators Hans-Joachim Seeler gewissermaßen über einen sozialdemokratischen Stammbaum. Der Manager, der früher bei der HSH Real Estate tätig war, bringt reichlich Wirtschaftsexpertise mit.

Wer wollte den an anderer Stelle generösen Wandsbekern den Wunsch nun abschlagen? Was ist aber dann mit Ex-Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber, der in dieser Woche sein Interesse an einer Bürgerschaftskandidatur im Abendblatt angemeldet hat und auch in Richtung Kasten strebt? Der bekannte Schreiber kann ein Zugpferd sein. Auch für den profilierten Haushaltspolitiker Jan Quast, der sich in seinem Kreisverband durchsetzen muss, gibt es noch keine Lösung.

Ein paar Namen kann der Landesvorsitzende Olaf Scholz allerdings auch von seiner Liste unterzubringender Parteifreunde schon streichen. Eine Überraschung ist dabei, dass Innensenator und Ex-Fraktionschef Michael Neumann offensichtlich nicht wieder für die Bürgerschaft kandidieren will. Neumann würde danach entweder wieder in den Senat gehen oder die Politik an den Nagel hängen. Auch die Senatoren Detlef Scheele (Soziales), Jana Schiedek (Justiz) und Jutta Blankau (Stadtentwicklung) streben kein Mandat an. Noch bleiben Scholz sechs Wochen zur Problemlösung , am 1. November stellt der Parteitag die Liste auf.