Abendblatt-Serie, Teil 3: Um die Auswirkungen der riesigen Pfosten auf das Stadtbild tobt ein heftiger Streit.

Hamburg. Auswärtige, die sich Hamburg zum Beispiel über die A7 nähern, werden das Problem vielleicht gar nicht verstehen. Wer von der Südseite des Elbtunnels in Richtung Innenstadt blickt, sieht außer Containern, Kränen und Schiffen vor allem Hochhäuser. Neuer Astraturm (68 Meter), Hotel Empire Riverside (75 Meter), Atlantic-Haus (88 Meter) und Tanzende Türme (75 und 85 Meter) dominieren aus diesem Blickwinkel das Stadtbild. Die schlanken Kirchtürme verschwinden dahinter geradezu. Wer von Osten in die Stadt kommt, erlebt es ähnlich, er sieht das rund 90 Meter hohe Berliner Tor Center. Und von Nordosten steht mit dem Mundsburg Tower gar ein rund 100 Meter hohes Appartementhaus dem Blick auf die City im Weg. Vom 280 Meter hohen Fernsehturm „Telemichel“ ganz zu schweigen, den sieht man in Hamburg von fast überall.

Doch es gibt sie noch, die historischen Sichtachsen, die den Eindruck vermitteln, dass aus Hamburgs Innenstadt nur Kirchtürme und das Rathaus herausragen und sonst nichts. Wer vom Alsterufer Richtung Süden blickt, sieht die imposanten Türme von St. Michaelis (132 Meter), St. Nikolai (147), St. Petri (132), St. Jacobi (125) und St. Katharinen (116) wie an einer Perlenkette aufgereiht über der Stadt thronen. Auch von Süden her gibt es diese Blickwinkel noch. Dieses über Jahrhunderte gepflegte Stadtbild, in das einzig die 110 Meter hohe Elbphilharmonie einbrechen durfte, gilt vielen Hamburgern als unantastbar, offiziell auch dem Senat. Nicht umsonst steht in seinem Entwurf für das „Innenstadtkonzept Hamburg 2014“, der erst im Juni vorgestellt wurde, ausdrücklich: „Das Einhalten der Höhenentwicklung und der Schutz der stadtprägenden Silhouette sind bei allem Veränderungsdruck die oberste Leitlinie der Gestaltung.“ Die Kirchtürme müssten immer „erkennbar“ bleiben. „Alle neuen Entwicklungen und Gebäude müssen sich in das bisherige Stadtbild einfügen.“

Entsprechend emotional wird daher seit Monaten die Frage diskutiert, ob dieses Stadtbild zwei Pfosten für eine Seilbahn verträgt, von denen der eine 92 Meter und der andere sogar 129Meter in die Höhe ragt. Sündenfall in der Stadtentwicklung oder ein vertretbarer Eingriff? Fest steht: Wenn die rund 200.000 Wahlberechtigten im Bezirk Hamburg-Mitte sich im Rahmen des Bürgerentscheids, den die Seilbahnunterstützer initiiert haben und der am kommenden Sonntag endet, mehrheitlich gegen das Projekt aussprechen, hat sich das Thema ohnehin erledigt. Sollten sie sich dafür entscheiden, müssten mehrere Fragen zum Einfluss auf das Stadtbild auf wiederum unterschiedlichen Ebenen diskutiert werden:

Wie würden die Pfosten überhaupt aussehen und wie hoch wären sie?

Die Seilbahn würde an der Glacischaussee auf St.Pauli starten und rasch ansteigen. Dafür würde im Alten Elbpark unterhalb des Bismarck-Denkmals der erste Pylon errichtet. Er soll 92Meter hoch sein und wie sein Pendant auf der anderen Elbseite aus einer Stahlstruktur mit vier Beinen bestehen. Deren Füße wären zwar „nur“ 1,22 Meter im Quadrat groß, die gesamte Grundfläche für den Pylon wäre aber in etwa so groß wie der Sockel des Bismarck-Denkmals. Vom Alten Elbpark aus ginge es in gut 80 Meter Höhe in einem Stück schräg über die Elbe, wo direkt am Ufer nahe der Musicalzelte der zweite Pylon stehen würde. Da das Seil inklusive der Gondeln, die bis zu 20 Personen befördern können, durchhängt, müsste dieser Pfosten 129 Meter hoch sein. Dahinter fiele das Seil steil ab bis zu einem landeinwärts gelegenen Ausstiegsgebäude. Diese Daten nennen die österreichische Firma Doppelmayr, die die Bahn errichten würde, und der Musical-Betreiber Stage Entertainment („König der Löwen“) als Investor und Betreiber der Seilbahn.

Wer entscheidet letztlich, ob das Stadtbild geändert wird?

Da es sich bei der Seilbahn in erster Linie um ein Verkehrsmittel handelt, reicht kein einfacher Bauantrag an das Bezirksamt Mitte, sondern es muss ein Planfeststellungsverfahren her, das in der Verantwortung der Behörde für Wirtschaft und Verkehr (BWVI) liegt. Sie müsste alle relevanten Institutionen und Betroffenen einbinden – von der Deutschen Flugsicherung über die Wasserschutzpolizei, die Feuerwehr, die örtlichen Behörden bis hin zum Oberbaudirektor und dem Denkmalschutzamt. Zu erwarten ist, dass es höchst unterschiedliche Stellungnahmen zu dem Projekt gibt – welches Votum dann letztlich wie die Entscheidung beeinflusst, liegt im Ermessen der Wirtschaftsbehörde. In jedem Fall gilt: Sollte sie einen Planfeststellungsbeschluss erlassen, also quasi die Baugenehmigung erteilen, könnte gegen diesen geklagt werden, was in diesem umstrittenen Fall erwartbar wäre.

Wer hat welche Position im Streit über das Hamburger Stadtbild?

Die Initiatoren Stage und Doppelmayr betonen, dass der Pfosten an der Helgoländer Allee mit 92 Metern „wesentlich niedriger als der Michel“ sei: „Diese Stütze steht in der Abdeckung der dort stehenden Hochhäuser. Sie stört keine der möglichen Sichtachsen auf den Michel“, so die Investoren.

Inoffizielle Unterstützung erhalten sie von Oberbaudirektor Jörn Walter. Er betrachte die Seilbahn als „charmanten Weg, zu den Musicals zu gelangen“, heißt es aus der Stadtentwicklungsbehörde. Walter selbst ist derzeit im Urlaub. Der Oberbaudirektor sehe keinen negativen Einfluss auf die entscheidenden Sichtachsen, heißt es aus seinem Umfeld. Zumal die Investoren ja versprochen hätten, die Bahn auf Wunsch der Stadt nach zehn Jahren auf eigene Kosten wieder abzubauen.

Ähnlich verhält es sich mit dem gigantischen Pylon auf der südlichen Elbseite. Auch den würde der Oberbaudirektor temporär dulden, da es ja kein massives Hochhaus sei, sondern eine vergleichsweise filigrane Konstruktion. Diese Haltung überrascht insofern, als im von Walter maßgeblich miterarbeiteten Innenstadtkonzept mehrfach auf den nötigen „Schutz der stadtprägenden Silhouette“ verwiesen wird. Für die HafenCity wird dort explizit ausgeführt, dass nur Gebäude bis 60 bis 70 Meter Höhe die Silhouette nicht stören. „Darüber hinaus werden sie als Einzelbauwerke deutlich sichtbar und wirken sich auf die Stadtsilhouette aus.“

Wie sich diese Haltung mit einem fast 130 Meter hohen Pfosten unmittelbar südlich der HafenCity vereinbaren lässt, ist den Kritikern der Seilbahn schleierhaft. Der Bezirk Mitte, dessen politische Mehrheit aus SPD und Grünen sich ebenso gegen das Projekt ausspricht wie Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD), verweist daher auch auf seine „Leitsätze für die bauliche Gestaltung der Innenstadt“.

Eine der acht Regeln lautet: „Neubauten und Aufstockungen sollen sich in ihrer Höhenentwicklung an die vorhandene Umgebung so anpassen, dass ein verträgliches Gesamtbild erhalten bleibt oder neu entsteht.“ Der Bezirk würde sicher auf die Einhaltung dieser Regeln pochen.

Einen offenen Konflikt gibt es bereits mit dem Denkmalschutzamt. Es habe „Bedenken geäußert, dass das Bismarck-Denkmal, der Alte Elbpark und die Stadtsilhouette insgesamt beeinträchtigt werden könnten“, bestätigt die zuständige Kulturbehörde. Denn laut Gesetz dürfen Baumaßnahmen „in der Umgebung von Denkmälern diese nicht wesentlich beeinträchtigen“, so die Behörde. Einen 92-Meter-Pfosten direkt vor der Nase des alten Bismarck kann das Amt schwerlich dulden.

Auch der Denkmalverein Hamburg lehnt die Seilbahn ab. „Damit wird brutal in die Stadtsilhouette eingegriffen“, heißt es in einer Stellungnahme. „Denkmäler wie St. Michaelis, Bismarck, Hamburg Museum, Millerntorwache, Kersten-Miles-Brücke, Landungsbrücken, Planten un Blomen sowie der Stintfang würden tangiert. Und dieser zerstörerische Eingriff geschieht nur, damit Musicalbesucher schneller auf die andere Elbseite gelangen können.“

Scharf kritisiert auch der renommierte Architekt Volkwin Marg (Gerkan, Marg und Partner) das Projekt. „Es kann nicht sein, dass man die Aussichtsplattform des Michel, den Wallring und die künftige Plaza der Elbphilharmonie auf diese Weise entwertet“, schimpft der 77-Jährige. Hamburg habe mit der Kirchensilhouette und mit dem Hafen zwei unverwechselbare Profile. „Das sind gewachsene Identitäten, die es zu erhalten und zu schärfen gilt“, sagte Marg dem Abendblatt. Man sollte lieber den für das Stadtbild typischen Fährverkehr stärken, als ihm Konkurrenz durch eine Seilbahn zu machen. „Damit kann man vielleicht Koblenz aufwerten, aber nicht Hamburg. Wir sind doch nicht Dubai oder Las Vegas, die solche Attraktionen nötig haben.“

Lesen Sie morgen Teil 4: Die Initiatoren und die Gegner des Projekts