Weil Innensenator Michael Neumann (SPD) zurzeit im Urlaub ist, vertritt ihn Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). Scheele ist also bis Anfang August Sozial- und Innensenator in einer Person.

Es ist gewissermaßen eine Laune des Terminkalenders, versehen mit einem Schuss Ironie des Schicksals: Weil Innensenator Michael Neumann (SPD)zurzeit im Urlaub ist, vertritt ihn Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). Scheele ist also bis Anfang August Sozial- und Innensenator in einer Person – und das gerade jetzt, wo die Lage in den Flüchtlingsunterkünften immer dramatischer wird, weil viel mehr Menschen kommen, als Plätze vorhanden sind.

Das Kuriose: Scheele kann als Innensenator, der für die Erstaufnahme von Flüchtlingen (drei Monate nach ihrer Ankunft) zuständig ist, auf den Sozialsenator Scheele sauer sein, weil der es nicht schafft, genug Wohncontainer aufzustellen, um die Menschen für die Dauer ihrer Verfahren (Folgeunterkunft) unterzubringen. Dass die Sache politisch unter den Nägeln brennt, hat sich diese Woche gezeigt. In der Nähe der Zentralen Erstaufnahme im Postgebäude am Harburger Bahnhof sollen jetzt schnell und unbürokratisch drei Zelte für bis zu 100 Menschen aufgestellt werden, damit sie wenigstens ein Stoffdach über dem Kopf haben. Zelte sind eigentlich eines der Mittel letzter Wahl bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Hamburg, weil die Privatsphäre sehr eingeschränkt ist.

Doch das Problem ist längst viel größer: An den vier Standorten der Erstaufnahme warten derzeit insgesamt rund 700 Flüchtlinge in großer Enge darauf, endlich einen eigenen Raum unter halbwegs akzeptablen Bedingungen zugewiesen zu bekommen. Und es werden immer mehr: Täglich melden sich 50 bis 80 Flüchtlinge in der Harburger Einrichtung, in der die Erstregistrierung erfolgt. Weil die Mitarbeiter überlastet sind, müssen die neu Ankommenden manchmal tagelang warten, bis sie diese erste bürokratische Hürde des Rechtsstaats genommen haben. Ein Teil der Flüchtlinge wird nach dem Königsteiner Schlüssel, der sich an der Einwohnerzahl der Bundesländer orientiert, auf andere Länder verteilt. Für alle Übrigen müssen hier Unterkünfte geschaffen werden.

Es wird zunehmend schwieriger, im dicht besiedelten Raum der Metropole Hamburg mit ihren konkurrierenden Nutzungsinteressen geeignete Flächen oder Gebäude zu finden. Ein Beispiel: Im Februar hatte die Innenbehörde angekündigt, auf einer Freifläche an der Niendorfer Straße Wohncontainer für 300 Menschen zur Erstaufnahme aufstellen zu wollen. Inzwischen klagen Anwohner dagegen, weil auf dem Areal eigentlich Kleingärten vorgesehen sind. Dass die Behörde die Container nur für zwei Jahre dort nutzen will, führte nicht zur Entspannung der Lage. Es ist offen, wann das Verwaltungsgericht den Streitfall entscheidet.

Scheele kann man nicht mangelnde Fantasie vorwerfen, wenn es darum geht, nach kreativen Lösungen abseits der üblichen Pfade zu suchen. Aber nicht nur Anwohner legen bisweilen den Planungen Steine in den Weg. Manchmal ziehen auch andere Behörden oder Staatsbetriebe nicht mit. Das Thema Flüchtlingsunterbringung fassen viele lieber mit spitzen Fingern an.

Bereits Mitte Juni hatte das öffentliche Unternehmen fördern + wohnen, das die Folgeunterkünfte für Flüchtlinge betreibt, auf Bitten Scheeles eine Liste von 300 Familien zusammengestellt. Diese 1300 Frauen, Männer und Kinder gelten als vergleichsweise gut integriert und haben als Asylbewerber mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine dauerhafte Bleibeperspektive, weil sie aus sogenannten unsicheren Staaten kommen.

Scheele schickte die Liste seiner Kollegin, Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD), mit der Bitte, sie möge bei Wohnungsunternehmen wie der Saga GWG nach freien Wohnungen für die Menschen fahnden lassen. Das wäre eine große Entlastung für die Flüchtlingsunterkünfte. Jetzt stellt sich heraus, dass Blankaus Baustaatsrat Michael Sachs erst vergangene Woche – also drei Wochen später – die Liste an die Verbände der Wohnungswirtschaft weitergeleitet hat. Rückmeldung: bislang Fehlanzeige. Viel wird vermutlich auch während der Sommerpause nicht mehr passieren.

Noch krasser ist ein anderer Fall: Schon Anfang des Jahres hatte der Sozialsenator die Hamburg Port Authority (HPA) gebeten, geeignete Liegeplätze für Wohnschiffe im Hafen zu benennen und zu prüfen, wo solche schwimmenden Hotels anzumieten sind. Sehr lange tat sich gar nichts. Schließlich fragte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) Scheele, ob er vielleicht einmal bei der HPA nachfragen solle „Schaden kann es nicht. Mach mal“, befand Scheele.

Zufall oder nicht: In der Sitzung der Lenkungsgruppe zur Flüchtlingsunterbringung vor einer Woche berichtete ein HPA-Mitarbeiter zur allgemeinen Verblüffung, man habe etliche geeignete Liegeplätze gefunden. Nun rückt die Unterbringung von Flüchtlingen auf Wohnschiffen wieder näher, 20 Jahre nachdem das letzte Schiff dieser Art die Stadt verlassen hat. Eigentlich sind die Schiffe wegen der schlechten Erfahrungen auch nur ein Mittel letzter Wahl. Aber der Senat kann angesichts der Notlage nicht mehr wählerisch sein.

Scheele, der auch Koordinator der SPD-regierten Länder für die Bereiche Arbeit, Soziales und Integration ist, will das Thema bundesweit anschieben. Der Sozialdemokrat sieht die Stadtstaaten wegen ihrer geringen Flächenressourcen gegenüber den Flächenländern beim Königsteiner Schlüssel benachteiligt. Er hat seine Länderminister-Kollegen gefragt, ob sie bereit seien, Flüchtlinge aus Hamburg aufzunehmen. Es gab nur eine Reaktion, die war aber immerhin positiv: aus Sachsen-Anhalt.

Unter Umgehung aller Hierarchien versuchte Scheele auch, mit dem Staatssekretär im Verteidigungsministerium direkt in Kontakt zu kommen. Von ihm wollte er wissen, ob es nicht doch möglich ist, Flüchtlinge in leer stehenden Kasernen unterzubringen. Bislang müssen die Länder immer erst die Liegenschaften kaufen.

Gelöst ist das Problem also nicht, und die Zeit drängt. „Wir haben keine Plätze. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, fest angelehnt“, hatte Scheele vor einem Monat drastisch formuliert. Beim nächsten Treffen der Lenkungsgruppe konterte Innenstaatsrat Volker Schiek wegen der prekären Lage bei der Erstaufnahme mit einem Anflug von Galgenhumor: „Wenn ihr an der Wand steht, sind wir schon mittendrin.“