Es gab diesen einen Moment in der zweiten Zeugenbefragung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zum gewaltsamen Tod des Mädchens Yagmur, der nahezu alle anwesenden Bürgerschaftsabgeordneten sichtbar fassungslos machte. Es war die Aussage der Staatsanwältin Christiane Wüllner, die vor einem Jahr die Ermittlungen gegen die Eltern von Yagmur sowie deren Pflegemutter geführt hatte, nachdem das Kind mit lebensgefährlichen Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert worden war. „Was würden Sie heute anders machen“, fragte der PUA-Vorsitzende André Trepoll die Ermittlerin. „Mir würde nichts einfallen“, antwortete sie nach kurzem Überlegen am späten Donnerstagabend im Kaisersaal des Rathauses. Nur wenige Wochen, nachdem Wüllner das Verfahren im November 2013 erfolglos eingestellt hatte, wurde das dreieinhalb Jahre alte Mädchen zu Tode geprügelt.

Es waren Aussagen wie „nicht meine Aufgabe“, „ich hatte keine Kompetenz“, „keine Ermittlungsansätze“, die von einer zutiefst bürokratischen und juristischen Annäherung Wüllners an den Fall zeugten. „Das war schon schwer auszuhalten“, sagt eine Bürgerschaftsabgeordnete am Tag nach der Zeugenvernehmung. „Es lag ein schweres Verbrechen vor. Da muss man doch alle Hebel in Bewegung setzen und kann anschließend nicht sagen, man habe nichts falsch gemacht.“

Es ging um die Frage, ob es eine Möglichkeit gab, das Leben der kleinen Yagmur noch zu retten. Hat Wüllner also einen Fehler gemacht? Wäre es so, Wüllner hätte es wohl nicht zugeben können. Das hätte womöglich ein Verfahren gegen sie nach sich gezogen. Und an dieser Stelle stößt ein PUA mit seinem Anspruch, politisch aufzuklären zu wollen, an seine Grenzen.

Gut möglich, dass Wüllner auch beeindruckt war von der Kritik, der sich Klaus Püschel, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, eine Woche zuvor ausgesetzt sah. Püschel, der aufgrund der lebensgefährlichen Verletzungen im Februar 2013 Anzeige gestellt und damit das Verfahren erst in Gang gebracht hatte, räumte bei seiner Befragung Versäumnisse ein. Sinngemäß sagte er, dass man nach dem Tod des Mädchens nicht sagen könne, es sei nichts falsch gelaufen. Zu dieser Erkenntnis ließ sich die Staatsanwältin also nicht bewegen.

„Hier hat augenscheinlich jeder Dienst nach Vorschrift gemacht “, sagt Christiane Blömeke (Grüne). Sie prangert an, dass Wüllner darauf verzichtet hatte, die leibliche Mutter Yagmurs vorzuladen. Diesen Vorwurf gibt es nicht erst, seit die Staatsanwaltschaft in der vergangenen Woche Mordanklage gegen die Frau erhoben hat. Dieser Vorwurf ist bereits kurz nach dem Tod des Kindes im Dezember 2013 erhoben worden. Christiane Wüllner begründete ihren Verzicht damit, dass ein Geständnis der Mutter nicht zu erwarten gewesen wäre.

„Es hat in sieben Monaten nur zwei Befragungen gegeben“, beklagt eine andere Abgeordnete. Man sei der Frage, wer so brutal gegenüber dem Kind gewesen sei, nicht richtig nachgegangen. Und so kehrt sich die Aussagetaktik der Staatsanwältin zu ihrem Nachteil um – weil die Abgeordneten nun umso schonungsloser die Staatsanwaltschaft kritisieren. „Die Zeugenbefragung wirft kein gutes Licht auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft“, sagt etwa Christoph de Vries (CDU). Umfang und Intensität der Ermittlungen hält er für „keineswegs angemessen“. Blömeke warf Staatsanwaltschaft und Polizei vor, „nicht über den Tellerrand“ geschaut zu haben, Verantwortung für das Kindeswohl sei dem Jugendamt zugeschoben worden. „Es ist erschreckend deutlich geworden, dass der Kinderschutz bei den Ermittlungen nicht im Vordergrund stand“, sagt Melanie Leonhard (SPD).

Auch wenn es nach der zweiten Zeugenbefragung noch zu früh für ein Fazit ist, so zeichnen sich bereits einige Punkte ab, die im Abschlussbericht des Ausschusses stehen könnten. Die Verfasser des Berichts werden dem Vernehmen nach die Forderung aufstellen, dass bei Kindesmisshandlungen künftig zwingend alle Tatverdächtigen eine Aussage machen müssen.

Schon jetzt steht klar fest, dass es zum Teil eklatante Informationsverluste und Kommunikationsprobleme zwischen den Institutionen gegeben hat. „Man stelle sich nur vor, allein die wenigen Zeugen, die wir bislang befragt haben, hätten vor einem Jahr an einem Tisch gesessen. Das Schicksal von Yagmur wäre möglicherweise ganz anders verlaufen“, sagt ein Abgeordneter. Finn Ole Ritter (FDP) spricht von „grundlegenden Strukturproblemen“ und fordert „ein auf Kinderschutz spezialisiertes Fachkommissariat bei der Polizei“, wie es etwa in Berlin eines gibt.

„Die Einsetzung des Untersuchungsausschusses hat sich schon jetzt gelohnt“, sagt Christiane Blömeke mit Blick auf die Probleme bei den Schnittstellen zwischen Ermittlungsbehörden und Jugendämtern. „Ja, es ist richtig, diesen Fall politisch und nicht nur strafrechtlich aufzuarbeiten“, sagt der PUA-Vorsitzende André Trepoll. Ausdrücklich lobt er das „Engagement“ der Abgeordneten von SPD und Linken. Diese hatten nicht für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses gestimmt.

An diesem Punkt herrscht weiterhin Dissens zwischen den Fraktionen. „Dass es Probleme an den Schnittstellen gibt, war doch schon vorher klar“, sagt Melanie Leonhard. Eine Enquetekommission, wie von der SPD und den Linken gefordert, hätte aus ihrer Sicht gleich den Blick in die Zukunft gerichtet und so Zeit gespart.

Unterdessen zeigten sich Mitarbeiter des Arbeitsstabes überrascht vom Fleiß aller PUA-Mitglieder. Einige der Verwaltungsleute haben gute Vergleichsmöglichkeiten zu anderen Untersuchungsausschüssen. Es heißt, gerade die SPD lege eine hohe Aktivität an den Tag. Dies sei bei der CDU im PUA Elbphilharmonie dagegen nicht immer der Fall gewesen.