Der Landesvorsitzende Marcus Weinberg erzählt im Interview, dass er die CDU öffnen will, was ihn persönlich antreibt und warum er sich ein „dickes Fell“ zulegte

Altona-Altstadt. Zum Gespräch über politisches Engagement möchte sich Marcus Weinberg gern auf einem Bolzplatz an der Königstraße treffen. In der Nähe ist der CDU-Landesvorsitzende aufgewachsen, und als er als ganz junger zugewählter Bürger in der Bezirksversammlung Altona saß, ging es darum, dass eine Grünfläche neu gestaltet werden sollte. Weinberg, der aus eigener Erfahrung vor Augen hatte, dass die Kinder des Viertels dringend einen Platz zum Spielen und Fußballkicken brauchten, beantragte im Grünausschuss den Bolzplatz und setzte ihn durch. So wurde der Platz für den 46-jährigen Bundestagsabgeordneten zum Symbol dafür, warum er Politik macht. Immer wenn er mit seinem Motorroller daran vorbeifährt, freut er sich.

Hamburger Abendblatt:

Sie wollten sich hier auf dem Bolzplatz treffen. Er scheint für Sie wichtig zu sein.

Marcus Weinberg:

Dieser Bolzplatz, das mag komisch klingen, war für mich ein Grund dafür, dass ich mich entschieden habe, langfristig aktiv Politik zu machen. Wenn man sich in der Kommunalpolitik engagiert, sind es zunächst die kleinen Dinge des Lebens, die man bewegen kann. Aber das zählt. Weil ich diesen Platz beantragt habe, können ihn seit Jahren viele Kinder und Jugendliche täglich benutzen. Das soll nicht großspurig klingen. Aber es motiviert.

Oft sind die Ergebnisse von Politik allerdings nicht so sichtbar.

Weinberg:

Das stimmt. In der Kommunalpolitik kann man am konkretesten vor Ort die Verkehrspolitik, Jugendhilfe, Entwicklung von Grün- oder Sportanlagen gestalten. In der Landes- und Bundespolitik wird es abstrakter – aber nicht weniger bedeutsam. Ich habe mit dazu beigetragen, die Kinderkuren zu retten, das Recht auf eine fünfte Kindergartenstunde am Tag einzuführen, die Einsparungen in der Jugendhilfe zurückzunehmen, den Krippenausbau durchzusetzen und das Elterngeld einzuführen. Das klingt vielleicht nicht so konkret. Aber für die Betroffenen ist es das und wirkt.

Politik bedeutet auch viel Arbeit, lange Sitzungen am Abend und Veranstaltungen am Wochenende. Trotzdem schimpfen viele Bürger über „die Politiker“. Wie viel Idealismus braucht man, um das zu machen?

Weinberg:

Es stimmt: Wenn ich über Wochen jeden Tag von morgens bis abends Termine habe, kann das schon physisch und psychisch anstrengend sein. Aber sollte ich keine Lust mehr dazu haben, kann ich morgen dem Bundestagspräsidenten schreiben und mein Mandat mit sofortiger Wirkung zurückgeben. Wir müssen uns vor Augen führen: Man macht das alles freiwillig, weil man etwas Gutes tun will.

Aus Idealismus?

Weinberg:

Schon. Allerdings spielt der politische dogmatische Idealismus nicht mehr eine so große Rolle wie vor 30, 40 oder 50 Jahren, als es um die großen Grundsatzfragen ging: Freiheit statt Sozialismus, Arbeit versus Kapital, Ökologie versus Ökonomie. Das hat sich relativiert. Doch man wird in der täglichen politischen Arbeit weiterhin getragen von Grundüberzeugungen und Werten. Ich will ein Mehr an Freiheit, ein Mehr an Gerechtigkeit und ein Mehr an Solidarität in der Gesellschaft.

Sie sagen, Sie können jederzeit aufhören. Aber wenn man über lange Zeit Berufspolitiker war, stimmt das doch nicht so ganz.

Weinberg:

Auf manche trifft das zu. Aber wer in die Politik geht, um dort gezielt Karriere zu machen und womöglich schon in jungen Jahren alles genau plant, wird scheitern. Weil die Authentizität verloren geht. Das merken die Menschen. Im Übrigen finde ich, dass politische Verantwortung befristet sein muss. Ich selbst will auch mal irgendwann was ganz anderes machen, vielleicht auch wieder als Lehrer unterrichten – auch wenn ich noch nicht weiß, wann. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ich nicht in 20 Jahren noch Politik in Berlin machen möchte. Alles hat seine Zeit.

Ist es schwerer geworden, Menschen für die Politik zu gewinnen? Finden sich noch genug Aktive in den Ortsverbänden, die mit diskutieren und Plakate kleben wollen?

Weinberg:

Es ist schwieriger geworden, aber nicht unmöglich. Die großen Konfliktthemen, die Menschen mobilisieren, gibt es wie gesagt nicht mehr. Heute gibt es drei Gründe, sich politisch zu engagieren: Vorbilder oder Menschen, die etwas Besonderes geleistet haben wie Adenauer, Schmidt oder Kohl und große Themen, die politisieren wie beispielsweise Atomkraft, Nachrüstung oder die Wiedervereinigung. Das Dritte sind Grundüberzeugungen, für die man eintreten will, etwa Werte des christlichen Menschenbildes, die europäische Integration oder Freiheit, Solidarität. Dass es grundsätzlich an Engagement nicht fehlt, sieht man an den vielen Menschen, die beim Bundesfreiwilligendienst mitmachen. Und auch an unseren jungen Leuten in der Jungen Union, die sehr aktiv ist.

Es gibt zwar in den meisten Parteien aktive Junge und dann wieder Ältere, die sich schon lange engagieren. Aber der Mittelbau fehlt, weil sich viele Menschen in einem bestimmten Alter vordringlich um ihre Karriere, die Familie und Kindererziehung kümmern. Wie ist das in der CDU?

Weinberg:

Ja, es gibt die besondere Phase zwischen „jugendlicher Unvernunft“ und der Motivation, der Gesellschaft „in älteren Jahren“ etwas zurückzugeben. In dieser Zeit sind viele Menschen eher mit sich selbst beschäftigt und es fehlt an Zeit für das Politische.

Muss und darf eine Partei wie die CDU talentierten, ehrgeizigen Aspiranten, die sich engagieren wollen, die jahrelange Ochsentour ersparen und schneller beispielsweise einen Platz in der Bürgerschaft in Aussicht stellen?

Weinberg:

Die traditionelle Ochsentour wie vor 30 Jahren gibt es bei uns nicht mehr. Das politische Geschäft ist schneller geworden. Wir suchen und fördern Talente. Man kann bei der CDU relativ schnell in Verantwortung kommen. Allerdings muss man dafür auch den Beweis antreten, dass man etwas kann. Dazu gehört es nicht nur, einen klugen Beitrag in einer Diskussionsveranstaltung zu äußern, sondern auch, diese Diskussion womöglich vorbereitet und die Plakate geklebt zu haben. Bodenständigkeit und Basisarbeit bleiben wichtig. Mir selbst macht das Spaß. Das Parteileben besteht zudem nicht nur aus Politik, sondern auch aus Geselligkeit und Kultur. Doch im Kern haben wir einen politischen Auftrag. Nur Kegelabende reichen nicht, doch einer im Jahr verbindet auch die Menschen.

Forscher glauben, dass sich Parteien öffnen müssen.

Weinberg:

Dem stimme ich zu. Wir müssen uns verändern, kreativer und inspirierender sein und neue Formen von Veranstaltungen und Diskussionen anbieten, die offener sind und den Generationen und ihren Gewohnheiten entsprechen. Soziale Netzwerke sind heute wichtig; auch Sachverstand von außen einzubeziehen ist interessant und bereichert das Parteienleben. Parteien müssen gesellschaftliche Themen frühzeitig aufgreifen und keine Angst vor neuen Herausforderungen haben.

Aber ersetzt nicht heute oft das Engagement für eine bestimmte Sache, zum Beispiel in einer Volksinitiative, die dauerhafte Mitgliedschaft in einer Partei?

Weinberg:

Ja, es gibt den Wunsch bei vielen Bürgern, sich punktuell bei bestimmten Themen oder temporär für gewisse Zeit zu beteiligen. Für diese Menschen wollen wir uns als Partei öffnen. Allerdings können nur Mitglieder an innerparteilichen Wahlen teilnehmen und so Einfluss ausüben. Wichtig ist, dass es weiterhin einen Anreiz oder Mehrwert gibt, Mitglied zu werden. Schließlich sind wir nicht zuletzt bei unserer politischen Arbeit auch auf die Mitgliedsbeiträge angewiesen.

Welchen Anreiz hatten Sie, 2011 den Landesvorsitz zu übernahmen? Schließlich lag die CDU nach zehn guten Jahren darnieder – ohne Aussicht, in absehbarer Zeit wieder an die Regierung zu kommen.

Weinberg:

Ich hatte mich vorher über das ein oder andere in meiner Partei geärgert, ohne das aber zu artikulieren oder einzugreifen. Nach der Wahlniederlage habe ich mir deshalb gesagt: Jetzt ist die Möglichkeit gekommen, selbst Verantwortung zu übernehmen und zu handeln.

Brauchen Neulinge in der CDU ein dickes Fell? Schließlich sagt man der Partei einen Hang zu internen Kungeleien nach; wichtige Entscheidungen würden vorzugsweise im Hinterzimmer gefällt.

Weinberg:

Dickes Fell und Durchsetzungskraft braucht man. Man muss das System kennen. Und man muss sich auch intern inhaltliche Ziele setzen. Ich habe mir zum Beispiel vorgenommen, die Partei zu öffnen, Entscheidungen transparenter zu gestalten, die Kultur der Diskussion zu verändern. Ich will um beste Lösungen mit und in der Partei streiten – im positiven Sinne. Aber die Dinge kann ich nur im System verändern, wenn ich Verantwortung übernehme.