Auch Höltigbaum im Gespräch. Dort erinnern Schüler heute an Schicksal der Hingerichteten

Rahlstedt . Das Urteil der Richter lautete: Tod durch Erschießen wegen „Fahnenflucht“ und „Wehrkraftzersetzung“. Im Schnellverfahren sind Hunderte von Wehrmachtssoldaten in Hamburg zum Tode verurteilt worden, weil sie desertiert waren. Im ganzen damaligen Deutschen Reich und den eroberten Gebieten wurden von 1939 bis 1945 rund 30.000 Deserteure hingerichtet. Auch auf dem Rahlstedter Höltigbaum, einst Standortübungsplatz, starben sie. Sogar zwei Monate vor Kriegsende mussten 85 Männer ihre Entscheidung mit dem Leben bezahlen.

Seit Jahrzehnten debattieren Politik und Gesellschaft darüber, wie der Opfer der NS-Militärjustiz angemessen gedacht werden kann. Nachdem der Senat im vergangenen Jahr grünes Licht für ein Denkmal gegeben hat, läuft gegenwärtig unter Federführung der Kulturbehörde ein Gestaltungswettbewerb für ein Mahnmal. Die Entwürfe können noch bis zum 30. April eingesandt werden.

„Am 4. Juni tagt das Preisgericht. Danach wird die Gewinnerin, beziehungsweise der Gewinner bekannt gegeben“, sagt Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde. Für Mitte Juni ist eine Ausstellung geplant, in der alle eingereichten Vorschläge zu sehen sein werden.

700.000 Euro stehen für ein Deserteurdenkmal zur Verfügung

Bislang erinnert lediglich eine schwarze Gedenktafel auf dem ehemaligen Schießplatz Höltigbaum an das Schicksal der zum Tode Verurteilten. Auf dem Übungsplatz, heißt es, wurden bis zum 28. April 1945 mindestens 330Wehrmachtsangehörige, aber auch Kriegsgefangene hingerichtet. Der Senat will mit einem Denkmal nicht nur Deserteure würdigen, sondern auch die anderen Opfer der NS-Wehrmachtsjustiz. Schließlich galt die Hansestadt mit 13 Gerichten in der NS-Zeit als exponierter Standort für die Militärjustiz. Die Wehrmachtsgerichte führten 65.000 bis 90.000 Verfahren durch.

Wie es in einer neuen Senatsdrucksache heißt, werde sich das geplante Denkmal an eine „breite und heterogene Öffentlichkeit und insbesondere auch an jüngere Menschen wenden“. Mit künstlerischen Mitteln solle dazu beigetragen werden, „Erinnerungsprozesse anzustoßen und die Erfahrungen aus der schwierigen Geschichte des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit ins Heute und in die Zukunft zu überführen.“ Rund 700.000 Euro stünden dafür bereit.

Nach Abendblatt-Informationen bleibt der Dammtordamm der von der Stadt favorisierte Standort für ein solches Denkmal. Es soll in der Nähe zu zwei anderen, bereits vorhandenen Werken errichtet werden: in der Nähe des sieben Meter hohen Kriegerdenkmals aus dem Jahr 1936, das an die gefallenen Kämpfer des Ersten Weltkrieges erinnert. Und beim Gegendenkmal von Alfred Hrdlicka aus den 1980er-Jahren.

Während die einen die mögliche Nachbarschaft zum „Kriegsklotz“ des Künstlers Richard Kuöhl – auch 76er-Denkmal genannt – als problematisch betrachten, hat sich der Bezirk Mitte ausdrücklich für diesen Standort ausgesprochen. Auch René Senenko von der Willi-Bredel-Gesellschaft, die sich seit Langem für ein Denkmal einsetzt, und das Bündnis für ein Hamburger Deserteurdenkmal betonen: „Kein Platz ist für ein Deserteurdenkmal geeigneter als am 76er-Kriegerdenkmal am Stephansplatz.“ Es war von Offizieren des Infanterie-Regiments 76 gestiftet worden.

Wie der Sprecher der Kulturbehörde Isermann sagte, soll der Gedenkort ein „sichtbarer, leicht erreichbarer und möglichst öffentlicher Ort sein“. Zwar werde der Dammtordamm favorisiert, aber auch der Höltigbaum zähle nach wie vor zu den möglichen Standorten für ein Deserteurdenkmal, betont Behördensprecher Isermann. „Der Dammtordamm bleibt unsere erste Wahl, aber erst die Entscheidung für einen der anderen neun Orte führt nicht zum Ausschluss.“

Wo einst Soldaten hingerichtet wurden, erinnern an diesem Sonnabend 22 Schülerinnen und Schüler aus der Klasse 10 des Gymnasiums Osterbek an das Schicksal der Deserteure. Im Haus der Wilden Weiden (Eichberg 63) auf dem Höltigbaum führen sie um 13 Uhr das Theaterstück des Künstlers Michael Batz auf. Unter dem Titel „Plötzlicher Herztod durch Erschießen“ wird aus Originaldokumenten zitiert. „Ihr Wortlaut ist erdrückend und schwer zu begreifen“, sagt Theaterlehrerin Yvonne Funck, Abteilungsleiterin der Unterstufe am Gymnasium Osterbek. Da ist zum Beispiel der Abschiedsbrief des Soldaten Robert Gauweiler, der am 11. Dezember 1944 auf dem Höltigbaum hingerichtet wurde. Der Vater von sechs Kindern schrieb an seine Frau: „Du brauchst dich wegen meiner Hinrichtung nicht zu schämen, denn du weißt wie ich, dass ich kein Verbrecher war, wohl ein Mensch, der eine Überzeugung hatte und nun für diese Überzeugung sterben muss.“