508 “besondere Vorkommnisse“ wurden der Sozialbehörde gemeldet. Es geht um Misshandlungen und weitere Delikte. Experten führen den langfristigen Anstieg der Meldungen im Wesentlichen auf zwei Ursachen zurück.

Hamburg. Die nackten Zahlen sind besorgniserregend: Im vergangenen Jahr haben die Mitarbeiter und Betreiber von Jugendwohnungen, Kinderheimen und anderen öffentlichen Einrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche untergebracht sind, 508 sogenannte „besondere Vorkommnisse“ an die Sozialbehörde gemeldet. Das teilte der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Mathias Petersen mit.

Im Jahr 2008 lag die Zahl besonderer Vorkommnisse noch bei 290, vor zehn Jahren bei 207 und 2001 sogar nur bei 155. Unter besondere Vorkommnisse fallen Todesfälle, Körperverletzungen, Misshandlungen, Vernachlässigungen, Suizidversuche, Übergriffe auf Betreuer, Sachbeschädigungen, Bedrohungen sowie weitere Delikte.

Experten führen den langfristigen Anstieg der Meldungen im Wesentlichen auf zwei Ursachen zurück. „Zum einen ist die Zahl der Jugendlichen angestiegen, die in öffentlichen Einrichtungen untergebracht sind“, sagt Marcel Schweitzer, der Sprecher der Sozialbehörde. Zum anderen sei die Sensibilität der in der Jugendhilfe tätigen Mitarbeiter deutlich gestiegen.

Nach Angaben der Sozialbehörde wurden 2008 genau 3089 Kinder und Jugendliche in Hamburg öffentlich betreut. Seitdem verzeichnet die Statistik einen deutlichen Zuwachs: 2009 waren es 3324 Jungen und Mädchen, 2010 schon 3663 und 2011 dann 3908 Minderjährige. Im Jahr 2012 kletterte die Zahl öffentlich betreuter junger Menschen erstmals über die 4000-Marke (4128). Im vergangenen Jahr wurde erneut ein leichter Anstieg auf 4156 Jungen und Mädchen verzeichnet. Das ist ein Plus um rund 25 Prozent gegenüber 2008, während im gleichen Zeitraum die Zahl der gemeldeten besonderen Vorkommnisse um 43 Prozent anstieg.

Zwar gibt es klare Vorgaben, nach denen Vorfälle in den öffentlichen Einrichtungen gemeldet werden müssen, doch Mitarbeiter gehen offensichtlich auch zum eigenen Schutz zunehmend dazu über, im Zweifel Vorgänge lieber zu melden, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, etwas vertuschen zu wollen. „Manche handeln nach der Maxime: Wir melden alles und jedes“, sagt Behördensprecher Schweitzer.

Das Beispiel der Körperverletzungen und Misshandlungen zeigt den Unterschied: 79 Fälle in diesem Deliktfeld wurden der Sozialbehörde im vergangenen Jahr gemeldet. Dagegen kommt die Behörde aufgrund eigener Recherchen sowie polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass nur 52 Kinder in staatlicher Obhut oder Betreuung wirklich Opfer von Körperverletzungen oder Misshandlungen geworden sind. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 wurden 49 Körperverletzungen und Misshandlungen in diesem Sinne „ermittelt“.

In 22 der 52 Fälle schlug ein Jugendlicher zum Beispiel in einer Jugendwohnung auf einen Mitbewohner ein oder trat ihn. In seltenen Fällen kam es zu körperlichen Übergriffen der Mutter, des Vaters oder Stiefvaters des betreuten Jugendlichen. Einmal soll ein Betreuer einen 15 Jahre alten Jungen körperlich attackiert haben. Zwölf Fälle sexueller Übergriffe oder Belästigungen wurden ermittelt. Dreimal waren Kinder im Alter von sechs, sieben und zwölf Jahren betroffen.

Zwei Taten ragen aus der anonymisierten Statistik heraus: Ein 13 Jahre altes Kind soll im Bereich des Jugendamtes Eimsbüttel von „Bekannten“ vergewaltigt worden sein. Ein fünf Jahre altes Kind soll im Bereich des Jugendamtes Bergedorf vom Bekannten seiner Mutter sexuell missbraucht worden sein.

Der Senat listet fünf Todesfälle auf. Ein drei und ein sieben Jahre altes Kind sind an den Folgen ihrer Schwerstbehinderung gestorben. Ein 17-Jähriger ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ein drei Monate alter Säugling erlitt den plötzlichen Kindstod. Auch der Fall der dreijährigen Yagmur Y., die im Dezember mutmaßlich von ihrem Vater erschlagen worden war, taucht in der traurigen Statistik auf.

Rund 60 Suizidversuche und Selbstverletzungen gemeldet

Mitarbeiter öffentlicher Jugendeinrichtungen und Betreuer meldeten im vergangenen Jahr 60 Suizidversuche oder Selbstverletzungen als besondere Vorkommnisse. In 22 Fällen soll es zu tätlichen Übergriffen Jugendlicher auf Betreuer gekommen sein. Allein 99 Jugendliche sollen ihre Einrichtung unerlaubt verlassen haben oder ihr unabgemeldet ferngeblieben sein.

„Die Anzahl der gemeldeten Vorfälle ist beunruhigend“, sagt der SPD-Politiker Petersen. Sicherlich müssten die Vorgänge „in dem einen oder anderen Fall hinterfragt werden“. Es müsse aber darüber nachgedacht werden, wie die hohe Zahl von Schlägereien in Jugendwohnungen reduziert werden könne. „Und dass sich nach dem Fall Yagmur etwas ändern muss, ist für mich klar“, sagte Petersen. Das könne nicht ohne Konsequenzen bleiben.