Es ist eine schwierige Gemengelage: Der Hamburger Senat hat es im Falle der Roten Flora mit renitenten Besetzern, einem Bau-Spekulanten und einer erregten Öffentlichkeit zu tun.

Zur politischen Ökonomie von Bürgermeister Olaf Scholz gehört es, dass er nur selten öffentlich Einblick in seine Gefühlslage gewährt. Als der Sozialdemokrat am Mittwoch beim „Talk im Elysée“ auf Fragen des früheren Abendblatt-Chefredakteurs Menso Heyl antwortete, war das zumindest einen Augenblick lang anders.

„Es ist doch eine absurde Situation“, sagte Scholz mit Blick auf die Rote Flora im Schanzenviertel. Da habe der zuständige Bezirk Altona gerade einen Bebauungsplan verabschiedet, der auf der zentral gelegenen Fläche am Schulterblatt ausdrücklich die Nutzung durch ein Stadtteilkulturzentrum festschreibt – also den geduldeten Flora-Besetzern gewissermaßen ein Dauer-Aufenthaltsrecht zusichert –, und dann kommt es trotzdem zu dem immensen Ausbruch an Gewalt gegen die Polizei und staatliche Repräsentanten mit der Roten Flora als Kristallisationspunkt. „Das ist ungerecht. Wir sind doch nicht die Bösen in diesem Spiel“, schien der Bürgermeister sagen zu wollen. Aber Scholz sagt solche Sätze nicht. Larmoyanz zu zeigen wäre so ungefähr das Letzte, was sich der Bürgermeister öffentlich erlauben würde.

Im Grunde hatte man sich aneinander gewöhnt, ohne allzu viel Notiz voneinander zu nehmen: die Rotfloristen in dem Gebäuderest, der von der alten Flora noch übrig ist, und die Politik, die froh war, keine Entscheidungen treffen zu müssen. Unterbrochen wurde das gegenseitige Stillhalteabkommen nur von gelegentlicher Randale rund um die Rote Flora, die mancher längst als Ritual und Teil einer ganz speziellen Stadtteil-Folklore ansah.

Auf der anderen Seite hat sich die „Schanze“ zu einem bunten Szeneviertel mit vielen Kneipen und Restaurants entwickelt, das junge Leute und Touristen in Scharen anlockt. Scholz drückte das Verhältnis vieler Hamburger zur Flora, die inmitten des Event-Frohsinns längst zu einem Symbol des Widerstands gegen allerlei geworden ist, im Grand Elysée so aus: „Viele sagen, da gehen wir zwar nicht hin, aber Hamburg ist groß, das halten wir aus.“ Seien wir also mal tolerant!

Der schöne Schein war dahin, als sich Flora-Eigentümer Klausmartin Kretschmer entschied, eine Nadelstich-Strategie gegen die Nutzer des Gebäudes und die Stadt zu fahren. In immer kürzeren Abständen kamen zur Zukunft des Areals immer provozierendere Ideen, deren Verbreitung und Begründung Kretschmer, der selbst praktisch nicht mehr in Erscheinung tritt und zu einer Art Phantom der Roten Flora geworden ist, zunehmend seinem Generalbevollmächtigten Gert Baer überließ: Da sollte die Gruppe Fettes Brot für ein Konzert in der Roten Flora plötzlich eine „Nutzungsgebühr“ an den Eigentümer zahlen. Dann kündigte Baer einen Bauantrag für ein sechsstöckiges Gebäude mit einem Konzertsaal für 2500 Besucher an, der über der Roten Flora errichtet werden soll. Außerdem will er gegen den Bebauungsplan des Bezirks juristisch vorgehen.

In Wahrheit geht es aber ums Geld: Lieber heute als morgen würde Kretschmer die Verdrussimmobilie wieder loswerden. Er hatte 2001 für die bereits besetzte Rote Flora 190.000 Euro bezahlt. Baer bezeichnete das städtische Kaufangebot, das auf 1,2 Millionen Euro hinauslaufen könnte, als „fast schon sittenwidrig“, und machte selbst eine abenteuerliche Rechnung auf, die auf einen Verkaufspreis von bis zu zehn Millionen Euro hinauslief. „Die Stadt macht solch ein Spekulantentum nicht mit“, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Schon die 1,2 Millionen Euro gelten als absolute Schmerzgrenze.

Kretschmer hat für sein Verhalten unlängst erst Tadel von höchster Stelle der Wirtschaft erhalten. Christian Dyckerhoff, der Vorsitzende der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg, warf dem selbst ernannten „Kulturinvestor“ zum Jahreswechsel vor, sich gerade nicht wie ein ehrbarer Kaufmann zu verhalten. Das kommt einer Exkommunikation gleich.

Für die allein regierende SPD ist die Lage dennoch durchaus ungemütlich. Auf der einen Seite ist die Verlockung da, sich mit Geld erneut Ruhe an der Flora-Front zu erkaufen, sprich das Gebäude zurückzukaufen. Auf der anderen Seite darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Stadt mit einem überhöhten Preis für die Flora Spekulantentum belohnt. Es ist ohnehin die Frage, ob Kretschmer oder eben Baer zu ernsthaften Gesprächen bereit sind. Voraussetzung wäre allerdings, dass Baer das „verbale und juristische Säbelrasseln“ gegen die Stadt einstellt, wie es ein Sozialdemokrat ausdrückt.

Als noch härtere Nuss dürften sich die Rotfloristen erweisen. „Flora bleibt unverträglich“ lautete der Kampagnenspruch, nachdem Kretschmer das Haus vor mehr als zwölf Jahren in möglicherweise idealistischer Absicht gekauft hatte. Und die Floristen sind ihrer Verweigerungsstrategie treu geblieben. Alle Versuche Kretschmers, zu einer vertraglichen Lösung zu kommen, lehnten sie ab. Und so blieben die Betreiber der Fahrradwerkstätten, der Sport-, Proben- und Konzerträume, was sie immer waren: geduldete Besetzer.

Warum sollten sie diese (zudem kostengünstige) Unabhängigkeit aufgeben, die es immerhin ermöglicht, dass die Rote Flora ein, wenn nicht das Symbol unangepassten städtischen Lebens bleibt – mittlerweile eine Art Gegenentwurf zu dem veränderten Stadtbild um sie herum? Vielleicht ist es aber doch ein für die nächsten Monate wichtiges Signal, das Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan Mitte der Woche aussandte. Nach der Eskalation der Gewalt nicht zuletzt gegen Polizeibeamte forderte Kerstan ein „zivilgesellschaftliches Bündnis“ gegen diese Tendenz. Der Grüne bekannte sich zu dem überparteilichen Konsens zum Erhalt der Roten Flora, aber er setzte hinzu: „Flora bleibt – aber ohne Gewalt.“ Den Leuten, die jetzt zur Gewalt griffen, müsse klar sein, „dass sie das Geschäft der Spekulanten betreiben“.

So deutliche Worte war die Rote Flora bisher von den Grünen nicht gewohnt, auf deren uneingeschränkte Solidarität sie sich in der Regel verlassen konnte. Es bleibt allerdings die Frage, ob politischer Druck überhaupt etwas bewirken kann bei den Floristen. In diesem Jahr wird sich die Besetzung des Flora-Baus zum 25. Mal jähren – das ist ziemlich rekordverdächtig. Wer so lange durchgehalten hat, ist vermutlich nicht besonders kompromissbereit.

Das wäre also der Deal: Vorausgesetzt, die Stadt kauft die Rote Flora zurück und überführt das Objekt zum Beispiel in eine Stiftung, dann erhalten die Rotfloristen gegen das öffentliche Bekenntnis zum Gewaltverzicht eine sichere Perspektive für ihr Kulturzentrum in einer Gegend, die sich längst ins Gegenteil dessen verkehrt hat, was die Rote Flora einmal wollte.

Ein Schuss Realismus könnte helfen. Die Zeiten haben sich nun einmal geändert. Sehr plausibel ist der große Friedens- und Vertragsschluss trotzdem nicht. Stachel im Fleisch des Staates zu bleiben ist vermutlich reizvoller.