31 Abgeordnete besuchen beim Aktionstag der Wohlfahrtspflege unterschiedliche Hilfseinrichtungen in der Stadt. Politiker sollen ein besseres Gespür für die Bedürfnisse der Menschen bekommen.

Hamburg. Für einen Tag haben sie die Perspektive gewechselt und soziale Einrichtungen und Dienste der Stadt hautnah erlebt. 31 Vertreter des Senats, der Bürgerschaft und Bezirksversammlungen aus allen Parteien haben am Mittwoch beim Aktionstag „Perspektivwechsel“ der sechs Spitzenverbände der Hamburger Wohlfahrtspflege teilgenommen. Ziel der Aktion ist es, dass die Politiker ein besseres Gespür für die Bedürfnisse der Menschen und Anregungen für die eigene politische Arbeit bekommen.

Katharina Fegebank, Landesvorsitzende der Grünen, besucht den Verein „IntegrationsHilfen“ in St.Georg, der Haftentlassenen übergangsweise eine Wohnunterkunft zur Verfügung stellt, ihnen bei der Arbeitssuche hilft und sie bei Behördengängen und Suchtproblemen unterstützt. „Mich hat das Projekt gereizt, weil es um Menschen geht, die durch ihren Gefängnisaufenthalt aus einer schwierigen Situation kommen und nun ihr Leben auf die Reihe bekommen wollen“, sagt Fegebank, die sich auch im Alltag sozial engagiert – ein Mal im Monat ist sie mit dem „Mitternachtsbus“ unterwegs und verteilt heiße Getränke, Essen, warme Decken und Kleidung an Obdachlose. „Es rührt mich an und nötigt mir großen Respekt ab, wie die Haftentlassenen trotz aller Widrigkeiten und Härten des Alltags versuchen, ihr Leben in Angriff zu nehmen.“

So wie Mick, der bereits seit über einem Jahr an dem Wohnprojekt „Trotzdem“ teilnimmt und bisher keine eigenen vier Wände gefunden hat. „Sie wohnen auch hier?“, fragt der 50-Jährige die Grünen-Politikerin. Nein, sie komme aus der Politik. „Ach, Sie sind die Bürgerschaftsabgeordnete.“ Genau. Mit drei Haftentlassenen spricht sie über deren Vergangenheit, Alltag, Probleme und Wünsche. Ohne diesen Verein, da ist sich das Trio einig, wäre ihr Leben nach dem Gefängnis anders verlaufen. „Es wäre nach hinten los gegangen“, sagt Anja. Für die 42-Jährige ist jeder Tag ein Kampf. Arbeit und eine eigene Wohnung zu finden, von anderen respektiert zu werden, das sei alles sehr schwierig. Ebenso wie Mick begegnet sie Katharina Fegebank, die aufmerksam zuhört und nachhakt, mit einer großen Offenheit. Vielleicht mit der Hoffnung, dass die Politikerin etwas ändern kann. Für mehr Anlaufstellen, für mehr Wohnungen für Haftentlassene sorgen kann.

FDP-Fraktionschefin Katja Suding besucht die Ambulante Hilfe Hamburg in Altona-Nord, in der sich Sozialarbeiter um die Betreuung von Wohnungslosen kümmern. Die Bürgerschaftsabgeordnete ist dabei, als Wolfram R. sich seinen Barscheck über 90 Euro abholt, mit dem er eine Woche lang auskommen muss. Die Beratungsstelle hat die Geldverwaltung für den Mann übernommen. Seit er vor zwei Jahren einen Schlaganfall erlitten hatte, habe er keinen Alkohol mehr angerührt.

Seine Sehkraft habe stark nachgelassen. Deshalb ist er auf diese Hilfe angewiesen. Suding erfährt, dass die Einrichtung in Geldnöten steckt, weil die Sozialbehörde das Budget einfriert. „Es ist gut, vor Ort zu sehen, wo das Geld ankommt, wenn man in der Bürgerschaft über den Haushalt abstimmt“, sagt sie. Eine Drucksache liefere lediglich einen theoretischen Einblick. Beeindruckend sei zudem, wie bereitwillig die Menschen, die die Beratungsstelle aufsuchen, ihre Lebensgeschichten erzählen. „90 Euro in der Woche ist nicht viel. Da muss man sich auf das Wichtigste im Leben beschränken“, sagt Suding.

Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit ist die Patin dieses Aktionstags

Die Bürgerschaftspräsident Carola Veit (SPD), die wie schon 2011 die Patenschaft für den Aktionstag übernommen hatte, hat sich das Wohnheim Billbrookdeich ausgesucht. Die Unterkunft liegt im Hamburger Osten und bietet 124 Männern Platz. Mit einigen von ihnen verbringt Veit den Vormittag, frühstückt mit ihnen und besichtigt die Räume des Wohnheims. „Ich habe von den Männern viele verschiedene Lebensgeschichten gehört“, sagt Veit. Am meisten habe sie die Eigeninitiative der Männer fasziniert, die gemeinsam den Garten saniert und einen Aufenthaltsraum eingerichtet haben. „Das zeigt mir, dass die Menschen etwas machen wollen. Sie setzten sich für die Gemeinschaft ein.“

Doch die Bewohner berichten der Bürgerschaftspräsidentin auch von ihren Problemen. Zum Beispiel, dass die Hamburger Tafel das Essen nicht direkt an die Unterkunft liefere, da sie zu weit außerhalb liege. Aus diesem Grund wünschen sich die Männer Fahrräder. „Damit könnten sie wenigstens ein bisschen mobil sein“, sagt Veit. Den Frust, den viele Männer im Wohnheim mit sich herumtragen, hat sie zu spüren bekommen. Veit kann damit umgehen. „Es ist okay, über die Politik zu schimpfen.“ Einrichtungen wie das Wohnheim an solch einem Tag zu besuchen, auch das gehöre zu den Aufgaben von Politikern. Als Politikerin ist Veit in vielen sozialen Einrichtungen. „Und ich bin jedes Mal glücklich über die Eindrücke, die ich erlange.“