Das Pilotprojekt kommt voran: Mitte 2014 sollen die Pflegekräfte ihren Dienst in Altenheimen und Krankenhäusern aufnehmen. Weltweit werden bereits über eine Million chinesische Pflegekräfte im Ausland beschäftigt.

Hamburg. Die zunehmende Personalnot in der Altenpflege zwingt nicht nur Hamburg, neue Wege bei der Anwerbung von Fachkräften zu gehen. Jetzt kann der Arbeitgeberverband Pflege mit Sitz in Berlin einen ersten Teilerfolg vermelden: Das Pilotprojekt, das die Beschäftigung von insgesamt 150 Fachkräften aus China in deutschen Pflegeeinrichtungen vorsieht (das Abendblatt berichtete), ist nun nach zwei Jahren der Vorbereitung unter Dach und Fach. „Wir haben in Weihai ein entsprechendes Abkommen geschlossen und die ersten 18 Arbeitsverträge unterschrieben“, sagt Helmut Braun, Geschäftsführer des Verbandes. Dort werden in einem speziellen „Nurse Training Center“, chinesische Pflegekräfte mit Sprach- und Integrationskursen auf ihren zukünftigen Arbeitseinsatz im Ausland vorbereitet. Insgesamt sollen zunächst 150 nach Deutschland kommen. 50 von ihnen sollen ab Mitte des kommenden Jahres in Hamburger Pflegeeinrichtungen arbeiten.

Weltweit werden bereits über eine Million chinesische Pflegekräfte im Ausland beschäftigt, vor allem in den USA. Dagegen sehen die deutschen Zahlen bescheiden aus. „Wir behaupten ja auch nicht, dass wir jetzt mit einem Schlag den Pflegenotstand lindern können“, dämpft Braun die Erwartungen, „aber wir versuchen mit diesem Projekt, die Zuwanderung von qualifizierten Kräften nach Deutschland populärer zu machen und voranzutreiben.“ Vor allem die Politik müsse dringend aufgerüttelt werden. „Außerdem sitzen wir in Deutschland noch immer auf einem zu hohen Ross, was die Anerkennungskriterien ausländischer Pflegekräfte betrifft.“ Braun empfiehlt, die Arbeitsbedingungen zu ändern und bundesweit geltende Anerkennungskriterien zu schaffen. Sonst werde es zukünftig so gut wie unmöglich, die dringend benötigten Pflegekräfte aus Drittländern für einen Arbeitsplatz in Deutschland zu gewinnen – obwohl gerade dort ein großes Potenzial vorhanden sei.

„Wir waren sehr angetan von der Qualifikation der Chinesen“, sagt auch Reinhold Schirren, Geschäftsführer des Hamburger Personaldienstleisters CareFlex. Die hundertprozentige Tochter der Evangelischen Stiftung Alsterdorf ist am Pilotprojekt der drei Bundesländer Hamburg, Hessen und Baden-Württemberg, des Arbeitgeberverbandes Pflege sowie der Bundesagentur für Arbeit maßgeblich beteiligt.

„Im Gegensatz zu Deutschland besitzen chinesische Pflegekräfte sogar einen universitären Bachelorabschluss“, sagt Schirren, „aber das föderale System in unserem Land sorgt dafür, dass man sich erst einmal durch einen gewaltigen Behördendschungel durchschlagen muss. Die geforderten Standards sind von Bundesland zu Bundesland einfach zu unterschiedlich, dabei besitzen die Chinesen bereits ein sehr hohes fachliches Niveau.“ Doch Hamburg beispielsweise bestehe nach wie vor auf einen sechs- bis zwölfmonatigen Anpassungskurs, der pflegefachliche Defizite ausgleichen soll. Schirren bezweifelt, ob diese Hürde so hoch sein müsse, vor allem weil die Ausbildung in China oberhalb der deutschen Ausbildung angesiedelt ist und die Kandidaten teils lange praktische Erfahrung in Krankenhäusern vorweisen können. Er ist sich außerdem sicher: „Auch ihre deutschen Sprachkenntnisse reichen nach der Vorbereitungszeit im chinesischen Trainingszentrum aus. Während ihrer täglichen Arbeit in der Einrichtung lernen sie dann eh schneller als in jeder Sprachschule.“

Das Pilotprojekt könnte jetzt ein erster Schritt zur Entbürokratisierung und zur Erhöhung der Attraktivität eines entsprechenden Arbeitsplatzes in Deutschland sein: Die chinesischen Fachkräfte werden zunächst als Altenpflegehelfer eingestellt und erhalten einen Bruttolohn von 1900 Euro. Ihre Reisekosten sowie alle weiteren Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen werden von den Arbeitgebern übernommen. Nach bestandener Anerkennungsprüfung erhöht sich das Bruttomonatsgehalt dann auf 2400 Euro. „Irgendwelche Fallstricke oder Knebelverträge gibt es nicht“, sagt Helmut Braun.

Das wäre vermutlich auch fatal: Nach den aktuell vorliegenden Zahlen der Gesundheitsbehörde, die allerdings aus dem Jahr 2009 stammen, arbeiten in Hamburg zurzeit rund 20.000 Pflegekräfte für rund 46.000 Menschen; etwa je zur Hälfte in der ambulanten und stationären Pflege. Doch laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung wächst der Mangel an Pflegekräften in Hamburg (wie auch national) unaufhaltsam an. 2030 könnten der Studie zufolge bereits mehr als 6400 Vollzeitstellen fehlen, um die Pflege auf dem derzeitigen Niveau zu halten. Die Personallücke liege danach bei annähernd 43 Prozent. Allerdings stünde Hamburg im Vergleich zu allen anderen Bundesländern noch ganz gut da, sagt Verbandschef Braun. Bundesweit aber, so die düstere Prognose, könnte diese Lücke sich bis 2030 sogar auf nahezu 80 Prozent vergrößern.