Mehr als 50 Flüchtlinge übernachten schon in der St.-Pauli-Kirche. Gemeinde finanziert Hilfe aus eigener Notkasse. “Es ist eine besondere Situation, die es so noch nicht gegeben hat“, sagte Pastor Sieghard Wilm.

St. Pauli. Die Stühle im Kirchenschiff sind zur Seite geräumt. Unter dem Kreuz stapeln sich Kissen, Decken und Schlafsäcke. Neben dem Altar stehen Tische mit Brot, Wasser und Tee. Mehr als 50 der rund 300 Flüchtlinge aus Libyen, die derzeit auf Hamburgs Straßen leben, haben in den vergangenen zwei Nächten Zuflucht in der St.-Pauli-Kirche am Fischmarkt gefunden.

"Es ist eine besondere Situation, die es so noch nicht gegeben hat", sagte Pastor Sieghard Wilm dem Hamburger Abendblatt. "Vielen Menschen fällt es schwer, sich in die Situation der Flüchtlinge hineinzuversetzen. Diese Menschen sind aus Angst um ihr Leben geflohen, haben Schreckliches erlebt und sind auf der Flucht." Sie seien gehetzt und bräuchten Schutz, Zuspruch und einen Raum zum Ausruhen. "Das alles bieten wir."

Doch der Platz in dem historischen Gotteshaus ist begrenzt. Um noch mehr Flüchtlingen eine vorübergehende Unterkunft bieten zu können, soll ab diesem Dienstag rund um die Kirche eine provisorische Zeltstadt entstehen. Demnach hat sich die evangelische Hilfsorganisation Johanniter bereit erklärt, die Zelte und eine provisorische Küche aufzubauen.

Zahlreiche Anwohner haben Decken und Schlafsäcke gestellt. "Die Flüchtlinge sind unheimlich gut organisiert. Sie putzen die Toiletten und fegen den Kirchenhof", sagte Pastor Wilm.

Die Flüchtlinge aus Libyen, die hauptsächlich aus Togo, Sierra Leone und Ghana stammen und nach eigenen Angaben als Wanderarbeiter in dem nordafrikanischen Land waren, hatten sich bereits am Sonntagnachmittag zu einer Versammlung in der St.-Pauli-Kirche versammelt. Viele von ihnen verbrachten die Nacht auf den grauen Holzlatten des Kirchenbodens. "Es handelt sich nicht um Kirchenasyl, sondern einen Akt humanitärer Hilfe", betonte Wilm. Kirchenasyl könne von einer Kirchengemeinde nur gewährt werden, um eine drohende Abschiebung in Gefahrensituation abzuwenden. Oftmals wird in diesem Fall das asylrechtliche Verfahren durch die staatlichen Behörden erneut geprüft. Da die libyschen Flüchtlinge keinen offiziellen Asylantrag gestellt haben, sondern lediglich mit einem befristeten Touristenvisum nach Deutschland kamen, greift das Kirchenasyl nicht.

Wie berichtet, sollen die italienischen Behörden die Afrikaner mit Geld und befristeten Aufenthaltspapieren, die die Möglichkeit bieten, sich drei Monate im Schengen-Gebiet zu bewegen, zur Weiterreise nach Deutschland animiert haben. "Die Kirche ist kein rechtsfreier Raum", betonte Pastor Sieghard Wilm. Doch die Hemmschwelle, die Flüchtlinge abzuschieben - sollten sie nach Ablauf ihres Visums davon bedroht sein -, liege für die Stadt höher, wenn die Libyer in der Kirche Unterschlupf gefunden hätten. "Wir reagieren auf die Not und wünschen uns, dass andere Gemeinden uns unterstützen", sagte Wilm. Bislang versucht die Kirchengemeinde, die Hilfe für die Flüchtlinge aus einer eigenen Notkasse zu finanzieren.

Am Wochenende waren die Verhandlungen zwischen Nordkirche, Diakonie und der Stadt gescheitert. Die afrikanischen Flüchtlinge, die bereits vor einigen Wochen aus Italien kamen und zunächst durch das Winternotprogramm eine Unterkunft fanden, sollten nach dem Willen der Stadt in einer leer stehenden Schule in Langenhorn untergebracht werden. Die Hamburger Behörden hatten jedoch die erkennungsdienstliche Erfassung der Flüchtlinge zur Bedingung gemacht, um deren Identität zu festzustellen. Die Forderung wurde von Vertretern der Kirche und der Diakonie abgelehnt.

"Wir bedauern die Entscheidung der Kirche und des Diakonischen Werkes", sagt Olaf Dittmann, Sprecher der Sozialbehörde. "Gerne hätten wir ihnen in Kooperation mit der Kirche und der Diakonie vorübergehend ein Dach über dem Kopf angeboten." Dass die Rückführung der Afrikaner das Ziel ist, daran ließ die Stadt keinen Zweifel. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bestärkte, was Senatoren vorher gesagt hatten: Die Flüchtlinge hätten hier "keine Chance".