Gericht muss klären, ob ein Rocker seine Kutte öffentlich tragen darf. Emblem in “assoziativer Nähe“ mit dem Logo der Hells Angels.

Hamburg. Jahrelang verzichteten Hamburger Hells Angels auf das Tragen ihrer Kutten in der Öffentlichkeit. Doch das könnte sich bald ändern. Seit Freitag verhandelt das Landgericht in zweiter Instanz über die Frage, ob die Rocker ihre Kutten wieder zeigen und damit nach fast 30 Jahren wieder ungeniert ihre Macht in Hamburg demonstrieren dürfen.

Den Stein ins Rollen gebracht hatte Tommy K., Mitglied der Hells-Angels-Dependance Harbor City. Ein bulliger Mann, Pferdeschwanz, muskulöse Arme. Der 49-Jährige, der wegen seines starken schwäbischen Akzents in der Rocker-Szene "Stuttgart-Tommy" genannt wird, läutete mit einer gezielten Provokation die erste Runde im juristischen Ringen ein. 2011 ließ er sich vor dem Michel in seiner Jeans-Kutte, auf der neben den typischen Hells-Angels-Symbolen auch der Schriftzug des Hamburger Ortsvereins Harbor City prangte, fotografieren. Danach schickte er das Foto zur Polizei. Die eröffnete prompt ein Ermittlungsverfahren.

Im März 2012 brachte die Staatsanwaltschaft Tommy K. vor Gericht. Der 49-Jährige, so die Anklage, habe gegen das Vereinsgesetz verstoßen: Die Aufnäher auf der Kutte ähnelten zu sehr den Kennzeichen der Hamburger Hells-Angels-Ur-Ortsgruppe, die 1983 verboten worden war. Doch das Amtsgericht sprach den Rocker frei - eine krachende Niederlage für die Anklagebehörde. Auch das Landgericht, das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin jetzt in zweiter Instanz verhandelt, wird die Frage mit einem Urteil wohl nicht grundsätzlich klären können. Denn Verteidigung und Staatsanwaltschaft könnten auf das für Mittwoch erwartete Urteil vermutlich noch Revision beim Oberlandesgericht einlegen.

Die Kutten-Frage beschäftigt Tommy K. seit Mitte 2010. Seitdem die Polizei einen Motorradkonvoi mit Vereinsbrüdern in der Nähe der Autobahnausfahrt Jenfeld stoppte. Die Hells Angels der Harbor-City-Charter trugen damals unter ihren Regenjacken ihre Totenkopf-Westen - das reichte für mehrere Ermittlungsverfahren. Als Tommy K. dann schriftlich bei der Hamburger Polizei und der Staatsanwaltschaft nachfragte, ob er seine Kutte nun öffentlich tragen dürfe oder nicht, habe er, so sein Verteidiger, nur lapidare Antworten von der Art "das kommt auf den Einzelfall an" erhalten. Er habe "Rechtssicherheit" gewinnen wollen, so Tommy K., und deshalb sei er mit der Foto-Aktion in die Offensive gegangen.

Rund 50 legale Hells-Angels-Clubs existieren in Deutschland, Harbor City, in Schwerin gegründet, aber in Hamburg ansässig, ist einer von ihnen. Die Rocker dürfen ihre Kutten und "Patches" tragen, sofern diese nicht mit denen der neun inzwischen in Deutschland verbotenen Charter verwechselt werden können. Das erste Verbot traf 1983 die Hamburger Angels. Deren Mitglieder bildeten, so die Innenbehörde damals, eine kriminelle Vereinigung, mit dem Ziel sich durch Schutzgelderpressungen und krumme Geschäfte im Rotlichtmilieu zu bereichern. Das Verbot umfasste auch das Tragen der Kutten, zumal zahlreiche Straftaten in der Vereinskluft begangen worden waren.

Für die Staatsanwaltschaft problematisch ist vor allem, dass im Fall von Tommy K. unter den angelstypischen Aufnähern (behelmter Totenkopf, Abkürzung MC für Motor-Club) der Schriftzug Harbor City prangt. Damit befinde sich das Emblem in "assoziativer Nähe" mit dem Logo der verbotenen Hamburger Hells Angels. Schließlich sei man bei Harbor City gedanklich schnell bei der HafenCity, sagte der Sitzungsvertreter und beantragte eine Geldstrafe von 750 Euro gegen Tommy K. Die Verteidigung forderte hingegen Freispruch. Der Schriftzug ähnele optisch nicht im Geringsten dem der verbotenen Hamburger Gruppe, sagte Tommy K.s Verteidiger Mathias Huse. Im Übrigen habe auf deren Kutte noch nicht einmal der Zusatz "Hamburg", sondern "Germany" gestanden. "Und kein Mitglied des verbotenen Charter ist oder war jemals Mitglied bei Harbor City." Völlig unverständlich sei ihm auch, so Huse weiter, warum die Staatsanwaltschaft den Fall zur sicheren Klärung per Sprungrevision nach dem ersten Prozess nicht gleich vors Oberlandesgericht gebracht habe.

Trotz des Verbotes: Ganz zurückgezogen hatten sich die Hells Angels aus Hamburg nie. Vielmehr sind sie zuletzt offenbar immer einflussreicher geworden. In den zurückliegenden Jahren ist es ihnen offenbar gelungen, ein auf dem Kiez entstandenes Machtvakuum auszufüllen: Nach dem weitgehenden Rückzug albanischer "Paten" und der einflussreichen "Marek-Bande" übernahmen deutsche Hells-Angels-Mitglieder laut Milieuexperten weite Teile der Gastronomie rund um den Hans-Albers-Platz. Bereits seit vielen Jahren gehen sie ihren Geschäften im Eros Laufhaus nach. Und auch der Autostrich an der Süderstraße war bis zum Sommer vergangenen Jahres in der Hand Hamburger Höllenengel.

Dank des Verbotes der Hamburger Charters im Jahr 1983 blieb die Rockerszene in Hamburg dennoch eher unauffällig. "In Hamburg finden keine Machtdemonstrationen in Form von Ausfahrten etc. statt, und aufgrund des bisherigen Fehlens ansässiger verfeindeter Rockergruppierungen ist Hamburg als Schauplatz szenetypischer gewalttätiger Auseinandersetzungen nicht gleichzusetzen mit anderen Großstädten wie zum Beispiel Berlin", heißt es aus dem für organisierte Kriminalität zuständigen LKA 6 nicht ganz ohne Stolz. Denn dass sich die Szene weiter vergrößert, sich gar feindliche Rockergruppen an der Elbe ausbreiten, haben die Ermittler mit einer hohen Einsatz- und Kontrolldichte im entsprechenden Milieu verhindert.

Bei dem Charter Harbor City handelt es sich laut LKA 6 um die Nachfolgeorganisation der 1983 verbotenen Hamburger Hells Angels. 2011 bekam die Gruppe Konkurrenz aus dem eigenen Stall: Hells Angels aus Schleswig-Holstein, zuvor organisiert in Alveslohe, Kiel und Lübeck, gründeten das Charter Southport. Sie ließen sich nahe der Süderstraße nieder, um die Kontrolle auf dem Straßenstrich zu übernehmen. Bereits 2012 löste sich das Charter jedoch wieder auf. Hells Angels sollen aber auch an Hamburgs größtem Bordell, dem Babylon an der Süderstraße, beteiligt sein - und mit Drogen und Waffen handeln.