Wo Autos die Welt regieren, ist es für Radfahrer lebensgefährlich

Hamburg. Na, was wird der gleich machen? Der Mann mit Rollkoffer sieht suchend über die große Kreuzung am Millerntorplatz hinweg, dann zieht er sein ratterndes Behältnis unbeirrt weiter, vom breiten, grauen Gehwegpflaster auf das schmale rote Radwegpflaster. Dort bleibt er dann stehen, schaut sich weiter um. "Wo ist sie denn, die berühmte Reeperbahn?", scheint sein Blick zu sagen. Ein Tourist auf Abwegen offensichtlich. Nicht wegen der sündigen Meile, der Mann steht aber mitten auf der Fahrbahn für uns Radler. Mitten auf einer der Hauptachsen für die stresserprobten Radfahrer, die sich täglich durch die Autostadt Hamburg bewegen wollen. Und immer wieder absteigen müssen, wie jetzt. Und dann hilft nur noch mein Selbsthilfespruch, um nicht ausfallend zu werden: "Ist halt so, der Mann kann ja nix dafür. Wer kann als Auswärtiger schon ahnen, dass man hier so unvermittelt vom Geh- auf den Radweg wechselt. " So etwa geht der. Doch nicht alle Mitradler haben so ein Selbstberuhigungsmantra parat. Während ich um den Rollerkoffermann - das gefühlte 125. Fußgängerhindernis an diesem Tag - herumkurve, rauscht eine Radlerin heran. Volle Pulle, wütend, rasend im doppelten Sinne. "Du Wichser!", faucht sie den jetzt völlig irritierten Mann an und streift ihn fast. Peinlich eigentlich. Und schwach. Klar, immer wieder stehen einem als Radfahrer Fußgänger im Weg, wie in diesem Fall.

Besonders schlimm ist es an den Landungsbrücken: Dort schreibt das blaue Schild sogar vor, den Radweg zu nutzen, ein schmaler roter Streifen neben den Rundfahrtbussen. Touristen zuhauf stehen dort täglich, warten, schwatzen, staunen. Hier sollte die Stadt gleich ein anderes Schild aufstellen. "Vergiss das Radfahren!", müsste dort stehen. Wut auf Fußgänger ist aber nicht angebracht. Zu Fuß ist die natürliche Fortbewegungsart. Als einfache Regel müsste gelten: Wer irgendeine Maschine benutzt, um schneller zu sein, muss Rücksicht nehmen. Je schneller und schwerer die Maschine, desto mehr Rücksicht. So einfach wäre das. Und so war es auch einmal: In der Anfangszeit des Autos um 1910 gab es in Deutschland für sie ein Tempolimit von 15 Kilometern pro Stunde. Gute alte Zeit, in der die Straße für alle da war.

Wer heute als Radfahrer unterwegs ist, erlebt etwas völlig anderes. Der Autoverkehr hat Vorrang, alle anderen müssen sich schmale Pfade teilen. Verkehr - das ist aus Sicht der Planer offensichtlich nur etwas, das auf mindestens vier Rädern rollt, stinkt und Krach macht. Eine entsprechende Platzhirsch-Mentalität hat daher viele Autofahrer erfasst. Immer wieder zu erleben auf den wenigen Radfahrstreifen. Als wir einen solchen neuen Streifen jüngst fotografieren wollten, war darauf ein Kleintransporter geparkt. Darauf angesprochen, wurde der Fahrer unwirsch. Wo solle er denn sonst parken, ohne den Verkehr zu behindern?, motzte er zurück. Radfahren ist in so einer Denkweise etwas, das man - wenn überhaupt - nur am Wochenende am Deich machen darf. Immer wieder bekommt man das als Radfahrer deutlich zu verstehen, vor allem seit der Anteil des Radverkehrs in Hamburg auf fast 13 Prozent gestiegen ist. Das ist im Vergleich - beispielsweise mit Kopenhagen (40 Prozent) - nicht viel. Aber zu viel für Autofahrer. Hupen, Drängeln, ja, Bedrängen sind dann probate Gegenmittel für die offensichtlich Genervten. "Radfahrer sind eine Pest", entfuhr es jüngst vor Gericht einem Unternehmensberater, der in Blankenese eine Radfahrerin zu Fall gebracht hatte.

Ein interessantes Versuchsfeld für die Auto-Aggression gegen den Radverkehr sind da die Hamburger Einbahnstraßen. Hunderte sind für Radfahrer in beiden Fahrtrichtungen freigegeben, 200 allein im vergangenen Jahr. Viele davon in der Neustadt, wo mein täglicher Weg zum Job durchführt. Preisfrage: Wer muss dann im letzten Augenblick auf den Gehweg flüchten, wenn es wegen geparkter Autos eng wird?

Es ist Krieg in der Stadt - doch die Scharmützel auf dem Land sind auch nicht ohne: Viele Kilometer fahre ich morgens auf verschlungenen Pfaden durchs Alte Land. Auf Wirtschaftswegen, auf denen Autofahren verboten ist. Pisten, von denen reine Stadtradler nur träumen können. Aber auch hier bleibt man nicht verschont von dem täglichen Pendlerwahnsinn, der sich Auto um Auto morgens in die Stadt ergießt. Immer wieder rollen sie selbst hier heran, die meist sehr großen, meist sehr schwarzen, meist sehr teuren Limousinen. "Durchfahrtsverbot - das gilt nicht für mich, habe schließlich Termine" - das zeigt der Blick dieser Autofahrer, wenn sie so dicht vorbeipreschen, dass ein Zucken reichen würde, um mich mit dem Seitenspiegel vom Sattel zu katapultieren.

Zum Teil führt meine tägliche Tour auch durch Dörfer mit wunderbar glatten Asphaltstraßen. Mit Rückenwind schafft man schon mal Tempo 40, fast die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Trotzdem fährt der alltägliche Pendlerstrom der Autos noch immer rasant vorbei, dicht am Radler, sehr dicht manchmal. Man spürt förmlich den Zorn, weil der Radler nicht auf den holprigen, schmalen Pflasterweg nebenan ausweicht. Wo er hingehört, wie manche dieser selbst ernannten Verkehrserzieher zu verstehen geben. Mit Handzeichen oder gebrüllt aus dem Seitenfenster.

Der bisherige Höhepunkt: Ein Autofahrer überholt, bremst den Radler aus und schießt mit seinem Wischwasser noch eine Attacke heraus, die weit übers Auto ins Gesicht spritzt.

Was kommt als Nächstes? Werden wir Radler demnächst beschossen, um den Bestand wieder autogerecht zu halten? Freiwillig gibt der Autofahrer seine "freie Fahrt für freie Bürger" nicht her. Das Denken über das eingebaute Vorrecht ist eben tief verankert - so tief, dass es auch mich gelegentlich erfasst. Wenn ich selbst im Auto sitze.