Kürzlich wurde die Großmarkthalle als neuer Standort für die Universität vorgeschlagen. Für Stadtplaner ist auch ein Kulturzentrum denkbar.

Hamburg. In dem riesigen denkmalgeschützten Gebäude mit dem Wellendach werden Obst, Gemüse und Blumen für ganz Nordeuropa umgeschlagen, doch es gibt Verlagerungspläne. Die Hektik der Stadt ist noch Zukunftsmusik. Wenige Autos erst rollen um diese Uhrzeit über die breite Amsinckstraße, während in der nahen Großmarkthalle jetzt, um halb sechs Uhr morgens, "die letzte Schlacht geschlagen wird", wie Jörn Reimers sagt. Der 47-Jährige ist hier Großhändler; in der vierten Generation. Zwei Einkäufer schlendern durch seine Stände, ordern bei ihm noch Avocados oder Klementinen. Mitarbeiter räumen bereits Kartons weg, Gabelstapler surren durch die Gänge in der mächtigen Halle mit dem markanten Wellendach. Das Geschäft ist bald vorüber, die Atmosphäre entspannt wie in einem Bahnhof an einem Sonntagmittag.

Seit 1962 werden hier nachts Gemüse, Obst und Blumen gehandelt. Einer der größten Umschlagsplätze Nordeuropas, Drehscheibe zwischen Erzeugern und Supermärkten oder Restaurants; selbst große Teile Skandinaviens werden vom Großmarkt aus mit Frischware versorgt, auch nach Berlin und sogar Polen fahren die Lkw jetzt ab, um in Hamburg gehandelte Produkte zu liefern. Die Betonkonstruktion am Hafen gilt zudem als "Ikone der Architektur" (Oberbaudirektor Jörn Walter), seit 1996 ist sie denkmalgeschützt - und jetzt ins Blickfeld von Stadtplanern geraten:

Kürzlich schlug sie erst die Handelskammer als neuen Standort für die Universität vor und zeigte Studien, wie sich Hörsäle in das 40.000 Quadratmeter große Gebäude bauen ließen. Auch der Stadtplaner Jürgen Pietsch, Professor an der HafenCity-Uni, schlägt eine neue Nutzung vor. Vorstellbar sei dort beispielsweise ein großes Kulturzentrum, sagt er: "Nicht jetzt, aber in sieben bis zehn Jahren." Der Großmarkt könnte dann wie in anderen Städten auch aus der Stadt heraus verlagert werden. Noch etwas weiter in der Zukunft sieht Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter eine neue Nutzung. Erst müsse der neue Stadtteil HafenCity dichter heranwachsen. Walter: "In den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts könnte man dann über den Großmarkt nachdenken."

Das klingt weit weg, ist es aber nicht: Zehn Jahre sind nicht viel bei großen Projekten. Und wenn es nach manchem Planer geht, könnte schon früher angefangen werden. Allerdings verweist die Hamburger Wirtschaftsbehörde darauf, dass für die Händler am Großmarkt eine Bestandsgarantie bis 2034 gilt. Eine Uni-Verlagerung dorthin sei eine interessante Idee, aber wegen der Garantie nicht zu machen, sagt Wirtschaftssenator Axel Gedaschko (CDU).

Das ist natürlich zunächst als Beruhigung für die Händler gedacht, die dort noch in den 1990er-Jahren kräftig investiert hatten. Daraufhin hatte ihnen die Stadt die Garantie bis 2034 vertraglich zugesichert. Damals bereits diskutierte Verlagerungspläne erschienen damit vom Tisch. Allerdings gibt es ein Sonderkündigungsrecht, das 2014, in vier Jahren schon, ausgesprochen werden müsste, um 2024 wirksam zu werden. "Eine Entscheidung über die Zukunft der Halle könnte daher in Wahrheit schon übermorgen fallen", sagt Jan-Oliver Siebrand, verantwortlicher Stadtplaner bei der Handelskammer.

Dass die Großmarkthalle bei Planern wie Siebrand plötzlich wie eine bisher unbekannte Dorfschönheit entdeckt wird, ist kaum verwunderlich. Diese Ecke im Osten der Stadt erschien bisher weit weg, Ein Areal, umschlungen von Bahnlinien, Lkw-Trassen und vergessenen Hafen-Arealen. Doch die HafenCity wächst heran, am Brandshof westlich der Halle in Rothenburgsort etabliert sich gerade eine Kreativszene. In unmittelbarer Nachbarschaft im Osten liegt das kulturelle Zentrum Deichtorhallen, wo vor 1962 der Großmarkt angesiedelt war. Dazwischen nun und direkt am Wasser dieses architektonisch so herausstechende Hallenbauwerk. "Das Gebiet hat dort großes Potenzial", meint auch Oberbaudirektor Jörn Walter. Es sind aber nicht nur Lage und Architektur, die zu den Überlegungen geführt haben. Der Großmarkt selbst ist einem Strukturwandel unterlegen: Zwar ist die Halle noch zu fast 100 Prozent vermietet. Gegenüber früheren Jahrzehnten sind jedoch deutlich weniger Händler vertreten. Noch 1982 waren rund 500, 600 Händler und Erzeuger in der Halle, heute sind es etwa 280. "Schauen Sie nur uns hier an", sagt Großhändler Jörn Reimers. In neue Kühlräume hat er investiert, Stand und Sortiment vergrößert. Wo früher sieben Händler ihre Stände hatten, hat er nur einen. Ursache sind vor allen die großen Discounter, die eigene Distributionslager draußen am Rand der Stadt gebaut haben. Die Großen der Branche brauchen keine erfahrenen Zwischenhändler mehr, die wie Reimers noch selbst den engen Kontakt zu Produzenten-Familien etwa in Spanien pflegen. Die Großen ordern bei Großen. Der Trend geht zur Landwirtschafts-Industrie.

Dafür spezialisieren sich die Händler im Großmarkt immer mehr. Renate Müller etwa, Landwirtin aus Stelle, gehört zu der Erzeuger-Gemeinschaft dort. Eine lange Tradition hat dieser Direktverkauf vor allem von Vierländern Bauern. In der Halle, dieser abgeschlossenen Welt, in die man nur mit Gewerbeschein gelangt, wird sie auch "Mais-Renate" genannt. Zu nahezu 100 Prozent verkauft sie hier nachts über den Großmarkt. Fünfmal in der Woche zieht sie sich die festen Schuhe gegen die Kälte an, die aus dem Betonboden kriecht, und handelt dort. Im Konkurrenzkampf mit den Großen hat sich ihre Familie spezialisiert auf Nischenprodukte wie etwa alte, geschmacksreiche Sorten bei Kartoffeln. Dunkelblaue oder längliche Knollen, mit Namen wie "Bamberger Hörnchen" oder "blauer Schwede". Doch Reimers und auch Renate Müller brauchen eine solche Halle, wie sie sagen.

Die Nähe der eigentlichen Händler-Konkurrenten sei der große Vorteil. "Man kann sich bei Engpässen aushelfen und auch gemeinsam einen Lkw für einen Kunden bestücken", sagt Reimers, der jeden Wochentag bis 10 Uhr morgens in der Halle ist. Am Abend fängt er dort an: "23 Uhr frühmorgens", wie man hier sagt. Mit 47 Jahren gehört er noch zu den jüngeren Händlern und ist im Vorstand der Genossenschaft vertreten. Anders als manche Kollegen, die von dem Handelskammer-Vorstoß entsetzt sind, sieht er die Sache pragmatisch: "Wir müssen uns dieser Umzugsdiskussion stellen, weil der Strukturwandel einfach Fakt ist und die Händler weniger werden." Eines Tages, so glaubt er, könnte es sowieso so weit sein, dass die Zahl der Händler nicht mehr ausreicht, um die riesige Halle zu finanzieren. Ein Umzug des Marktes an einen anderen Standort mit einer vielleicht moderneren Anlage stünde dann eh an. "Im Keller sind jetzt schon ganze andere Branchen", sagt er. Sein Vorstandsvorsitzender Hans Joachim Conrad sieht die Entwicklung diplomatischer, denn er weiß, dass viele Händler an der alten Halle festhalten wollen. "Wir können aber entspannt abwarten, es gibt keine Not", sagt er. Bis 2034 gebe es die Garantie. Und sollte vorher etwas geändert werden, müsse es einen Ausgleich geben. "Aber eines ist klar", so Conrad, "ob wir wollen oder nicht - die Diskussion über uns ist wieder angeschoben."