22 Prozent weniger Gewalttaten mit Glasscherben im ersten Halbjahr. Die Innenbehörde verhängt 125 Buß- und 643 Verwarnungsgelder.

St. Pauli. Der Kiez ist ein wenig sicherer geworden. Auch ein Jahr nach dem Glasflaschenverbot werden auf St. Pauli Glasflaschen, abgebrochene Flaschenhälse und Scherben als Waffe eingesetzt, aber deutlich weniger als vorher. Die Zahl der gefährlichen Körperverletzungen mit Glasflaschen ist im ersten Halbjahr 2010 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 22 Prozent (gut ein Fünftel) zurückgegangen.

Das geht aus einer Untersuchung der Innenbehörde hervor, die dem Abendblatt vorliegt. In diesem Jahr kam es bis Ende Juni zu 42 Delikten, in den ersten sechs Monaten 2009 waren es noch 54 Gewalttaten mit Glasflaschen. Diese werden der Untersuchung zufolge "fast ausschließlich auf Gehwegen, also in der Öffentlichkeit" als Waffen eingesetzt.

Seit dem 15. Juli 2009 gilt in der Waffenverbotszone rund um die Reeperbahn das bundesweit härteste Gesetz gegen Glasflaschen auf der Straße. Ralf Kunz, Sprecher der Innenbehörde: "Ziel ist es, das Glasflaschenverbot zu einer echten Erfolgsgeschichte zu machen. Klappt es auf der Reeperbahn, kann das Gesetz zu einem Exportschlager werden." Außerdem habe sich das Erscheinungsbild St. Paulis geändert. Ralf Kunz: "Die Zeiten, in denen man nach Mitternacht an bestimmten Stellen der Reeperbahn durch ein Meer von Glasscherben ging, sind vorbei. Das ist auch positiv."

Die Innenbehörde hat die Untersuchung aufgeschlüsselt und auch die normalen Verstöße ausgewertet. So wurden in den ersten sechs Monaten 2010 genau 796 Verstöße erfasst, 643 Verwarngeldverfahren eingeleitet und 125 Bußgelder erteilt. Die meisten Kiez-Besucher, die mit einer Glasflasche in der Hand erwischt wurden, kamen aus Hamburg (493), 303 von außerhalb. 689 Verstöße wurden in der Zeit von Mitternacht bis sechs Uhr morgens festgestellt, 107 in der Zeit von 22 bis 24 Uhr.

+++ SO KRIMINELL IST IHR STADTTEIL +++

Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) hatte im Frühjahr 2009 das Gesetz auf den Weg gebracht, nachdem alle Ansätze, einen freiwilligen Verzicht auf den Verkauf von Glasflaschen durchzusetzen, gescheitert waren. Zuvor war es zu einem Aufsehen erregenden Überfall gekommen: Nico Frommann, der Sohn des Ex-Chefs im Bezirk Nord, wurde im November 2007 mit einer Glasflasche am Hals schwer verletzt. Im gesamten Jahr 2008 hatte es dann 128 gefährliche Körperverletzungen mit Glasflaschen als Waffen auf St. Pauli gegeben. Senator Ahlhaus und seine Innenbehörde legen Wert darauf, "den Kiez nicht trockenzulegen".

Das "Verbotsgesetz ist in Deutschland einmalig und hat nichts mit einem Alkoholverkaufsverbot zu tun", sondern sei Teil eines "Maßnahmenpaketes". Behördensprecher Ralf Kunz: "Es wird auf dem Kiez ergänzt durch das Waffentrageverbot, eine hohe Polizeipräsenz und die Videoüberwachung. Alles zusammen soll die Gewalt im Bereich der Reeperbahn und angrenzender Straßen eindämmen." Im März 2006 kam die Videoüberwachung und im Dezember 2007 das Waffentrageverbot. Im Vergleich zu den 42 gefährlichen Körperverletzungen mit Flaschen im ersten Halbjahr 2010 ist die Zahl aller Gewalttaten um ein Vielfaches höher: Allein im ersten Halbjahr kam es insgesamt schon zu 324 Gewaltdelikten; im Vorjahreszeitraum waren es 332 (das entspricht einem Rückgang um 2,4 Prozent).

Allerdings zählen auch St.-Pauli-typische Taten dazu. Ralf Kunz: "Ein Delikt wird auch als gefährliche Körperverletzung gezählt, wenn mindestens zwei Täter gemeinsam agieren, auch wenn keine Waffe benutzt wird." Im Gegensatz zu einer gefährlichen Körperverletzung - in der Regel mit einer Waffe - gilt beispielsweise eine Ohrfeige als einfache Körperverletzung. Die Polizei will weiter Präsenz zeigen, auch wenn im ersten Halbjahr 2010 nur 2424 Beamte (erstes Halbjahr 2009: 3078) im Bereich der Reeperbahn gegen Gewalt eingesetzt wurden. Grund: Die Polizisten sind wegen der Autobrände nachts in der ganzen Stadt in erhöhter Alarmbereitschaft. Kunz: "Wir haben mit dem Glasflaschenverbot ein Gesetz geschaffen, das auf gleichermaßen hohe Akzeptanz bei Bewohnern und Besuchern stößt."