Schief gebaut, Hohlräume in Betonwänden. Eine Fehlerliste der Architekten wirft dem Baukonzern Hochtief Qualitäts- und Sicherheitsmängel vor.

Hamburg. In knapp zwei Wochen, am letzten Mai-Wochenende, soll eigentlich frohgemut Richtfest gefeiert werden auf der wichtigsten Baustelle Hamburgs, mit 1200 Ehrengästen und 4000 Besuchern mit Gratiskarten, die sich von den Baufortschritten mit eigenen Augen ein Bild machen wollen. Die Elbphilharmonie wächst und wächst. Gleichzeitig wächst der Unmut über die Kostensteigerungen und die eskalierenden Planungsdefizite, die sich alle Beteiligten gegenseitig vorwerfen.

Bislang ging es vor allem um theoretische Versäumnisse. Jetzt wird der Streit handfest und sichtbar: Auf 39 Seiten listen die für ihren Perfektionismus bekannten Schweizer Architekten Herzog & de Meuron (HdM) Mängel und Schlampereien auf, die der Baukonzern Hochtief verursacht habe, mit dem die Stadt Hamburg mittlerweile auch im juristischen Clinch liegt. Diese Mängelstatistik kommt auf 4494 angezeigte Mängel seit Baubeginn, von denen bislang 1398 korrigiert worden seien.

Ein zentraler Punkt in der auf den 11. Mai datierten Mängel-Auflistung sind die Hohlräume in der Außenschale des Großen Saals, des Prunkstücks und Mittelpunkts des Konzerthauses. Im Januar seien die von HdM beauftragten Prüfer auf "diverse großflächige Hohlkammern" in den schon ausbetonierten Halbfertigteilen gestoßen. Diese Luftblasen seien durch nachträglich gebohrte Löcher mit Beton aufgefüllt worden. Etliche dieser Bohrungen wurden ohne Freigabe durch den Prüfingenieur durchgeführt - einige sogar dort, wo der Prüfingenieur die entsprechenden Bohranträge ausdrücklich nicht freigegeben hat.

HdM befürchten als Generalplaner des Projekts wegen dieser "mangelhaften Ausführung" Gefahren für Tragsicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Akustik des Großen Saals und vermuten weitere, noch gar nicht entdeckte Hohlkammern sowie eine "massive Gefahr" von Rissbildungen in den Endoberflächen des Foyer-Ausbaus. Alles Probleme, die sich auf den Termin- und den Kostenplan des gesamten Projekts auswirken würden.

Unterhalb des zukünftigen Konzertsaals ist es auch nicht besser. Dort monieren die Prüfer die Haltekonstruktion des Saals aus Betonrippen und Stahlträgern. Einige dieser Rippen seien zu tief, einige der Federpakete, die den Saal stützen, seien schief eingebaut worden. Sie sind auch für eine Schall-Entkopplung des Konzertsaals von seiner Hotel-Ummantelung von Bedeutung - unverzichtbare Voraussetzung für die Nutzungsmöglichkeiten des Gebäudekomplexes. Anstelle eines Abstands von maximal 20 Millimetern haben die Prüfer aber Abweichungen von bis zu 110 Millimetern vorgefunden. Der Grund: "fachtechnisch mangelhafte Ausführung", "fehlende Qualitätssicherung und Sorgfalt". Als Folge drohe der Verlust der Tragsicherheit durch die Betonrippen, dazu käme ein "negativer Einfluss auf das Schwingungsverhalten des Tragsystems"; die schlecht eingebauten und verschmutzten Federpakete sind unbehandelt also so etwas wie Zeitbomben für die Akustik des Großen Saals.

Wer auf einen der 2150 Plätze dieses Saals will, muss von der Plaza aus über die große, extravagant geschwungene Foyertreppe. Dort haben die Prüfer Mängel im Stahl- und Massivbau festgestellt. Einzelteile seien auf der Baustelle durchtrennt und neu verbunden worden, was Auswirkungen auf die Spannungsverteilung und letztlich auf das gesamte Tragverhalten hat. Auch die Ausführung der Betonstufen sei mangelhaft.

Eine weitere Soll-Bruchstelle: die Oberflächenqualität von Stahlbetonbauteilen. Rund 45.000 Quadratmeter im Kaispeicher- und Neubaubereich seien nicht in der vertraglich geschuldeten Qualität hergestellt worden. HdM würden dies bereits seit 2008 anmahnen, aber "eine signifikante Verbesserung zeichnet sich nach wie vor nicht ab".

Nicht nur im Neubau, der sich ab knapp 40 Meter Höhe in den Hamburger Himmel drängt, droht Hochtief jede Menge selbst gebautes und teures Ungemach. Denn die denkmalgeschützte Fassade des von Werner Kallmorgen entworfenen Kaispeichers A hat schwer unter den Arbeiten gelitten - jene Fassade, die unter großen Anstrengungen bei der Entkernung des ehemaligen Speichers erhalten wurde. Eine Schadenskarte in den Prüfer-Unterlagen verzeichnet detailliert "Zementläufer, abgeschliffene Ziegeloberflächen und Auslaugungen" an der Nordfassade als Ergebnisse der misslungenen Schönheitsreparaturen durch Abschleifen des Zementschlamms. In der Dokumentation ist von einer unumkehrbaren optischen Beeinträchtigung der Bestandsfassade die Rede und von einem desolaten Erscheinungsbild. Bei Frost drohten Abplatzungen. Hochtief reagierte kategorisch auf die Fehler-Liste: "Dass es sicherheitsrelevante Probleme gibt oder gab, weisen wir mit Nachdruck zurück." Andere Mängel würden abgearbeitet oder seien größtenteils behoben worden.

Schließlich meldete sich gestern auch noch die Kulturbehörde zu Wort. Karin von Welck habe angeblich schon im April mit Pierre de Meuron die Lage erörtert und ihn gebeten, einen detaillierten Mängel-Bericht zu erstellen. Dieser Bericht bestätige die Einschätzung der städtischen Realisierungsgesellschaft: Es ist zu Baumängeln bei der Erstellung des Großen Saales gekommen, sie sind alle behebbar. "Ich erwarte von einem Unternehmen wie Hochtief, dass sie von Anfang an hochwertige Qualität bauen", sagte die Kultursenatorin. "Ich will, dass solche Mängel gar nicht erst entstehen." Die nächste Runde des Hauens und Stechens um Termine und Kosten ist eingeläutet.

WIRD DIE ELBPHILHARMONIE NOCH TEURER?