Hat der damalige Bürgermeister Ole von Beust die Elbphilharmonie trotz Bedenken eilig durchgesetzt? Juristin: “Ich hätte gewartet.“

Hamburg. Die Beweislast wird langsam erdrückend. Die Verträge über den Bau der Elbphilharmonie wurden 2006 trotz massiver Warnungen vor Planungs- und Kostenrisiken abgeschlossen, und diese Warnungen wurden bewusst ignoriert - aus politischen Gründen. Das ist die Essenz aus den Ermittlungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA). Und daher beschloss das Gremium der Bürgerschaft am Freitagabend kurz vor Mitternacht, nun den politisch Verantwortlichen dieser Zeit vorzuladen: Altbürgermeister Ole von Beust (CDU) soll, wie berichtet, am 2. Februar aussagen. Nur die CDU stimmte dagegen.

Den vorerst letzten Mosaikstein lieferte die Juristin Ute Jasper von der Düsseldorfer Kanzlei Heuking. Die Expertin für Vergaberecht hatte von 2004 bis 2006 die Ausschreibung für das Konzerthaus in der HafenCity und die Auftragsvergabe an den Essener Baukonzern Hochtief maßgeblich begleitet.

Auch sie wusste von den Warnungen der Schweizer Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die mehrfach, so de Meuron kürzlich im PUA, um mehr Zeit gebeten hatten. So hatten die als Generalplaner eingesetzten Architekten am 16. Juni 2006 schriftlich vor unvollständigen Plänen gewarnt: "Dies erhöht die Gefahr, dass der Generalunternehmer ... sehr hohe Mehrkosten geltend machen wird." Werde das Verfahren trotzdem fortgesetzt, sei "die Erreichung der angestrebten Qualität, des Kostenziels und des Fertigstellungstermins in höchster Gefahr". An anderer Stelle hieß es, die vorliegenden Zeichnungen seien "für eine Bauausführung nicht geeignet".

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Dennoch bekam Hochtief Ende 2006/Anfang 2007 den Zuschlag, kurz darauf war Baubeginn, und es kam so wie von den Mahnern prophezeit: Es gibt Streit um die Bauqualität, der Fertigstellungstermin wurde mehrfach verschoben, von 2010 auf 2011, dann auf 2012, und Hochtief spricht mittlerweile von 2015. Die Kosten für die Stadt stiegen von 114 auf 323 Millionen Euro, auch das dürfte nicht das Ende sein.

Auch Jasper will die städtische Realisierungsgesellschaft ReGe auf genau dieses Risiko aufmerksam gemacht haben: "Ich habe immer wieder gesagt, dass die Pläne fertig und vollständig sein müssen." Allerdings hätten sie und der damalige ReGe-Chef Hartmut Wegener die Architekten-Schreiben auch so interpretiert, dass diese nicht die Verantwortung für ihre Planung übernehmen wollten. Ergebnis laut Jasper: "Die Entscheidung von Herrn Wegener war, trotzdem weiterzumachen." Eine schriftliche Warnung der Top-Juristin existiert aber nicht, was PUA-Mitglieder aller Parteien ungläubig staunen ließ. Dass "die weltbeste Anwältin" nicht hochoffiziell auf Risiken in Millionenhöhe hinweist, könne er nicht verstehen, sagte Andreas Wankum (CDU).

Die Aussage der schillernden Juristin deckte sich aber mit denen früherer Zeugen. So hatte außer de Meuron auch der ReGe-Bauingenieur Stefan Kaden auf die Frage nach dem Grundproblem des Projekts geantwortet: "Es wurde mit dem Bau begonnen, ohne dass die Planung abgeschlossen war." Und der ReGe-Jurist Armin Daum hatte ausgesagt, dass das Schreiben der Planer "wie eine Bombe" eingeschlagen sei. Dennoch habe Wegener entschieden, "die Bedenken nicht zu berücksichtigen".

Immer wieder erwähnen Zeugen im PUA den enormen Druck seitens der Politik. Auch Jasper sprach von einem "politischen Termin", und Wegener selbst hatte im PUA gesagt, man habe Sorgen wegen steigender Baupreise gehabt und wollte unbedingt noch im Haushaltsjahr 2007 bleiben - in dem Jahr hatte Hamburg relativ hohe Steuereinnahmen. Die Frage bleibt aber, wer diese politische Vorgabe gemacht hat. Die Vermutung vieler PUA-Mitglieder, dass es nur der Bürgermeister selbst gewesen sein kann, nährte auch Jasper. Sie zitierte aus einem Schreiben der ReGe an sie vom 24. Oktober 2006, wonach "im Gespräch mit der Senatskanzlei" festgelegt worden sei, die Verträge noch 2006 zu beurkunden. Die Senatskanzlei untersteht dem Bürgermeister.

Außerdem ist aus Schriftwechseln bekannt, dass sich Ole von Beust persönlich dafür eingesetzt hatte, dass der Hochtief-Konkurrent Strabag das Verfahren nicht verzögert. Auch Strabag hatte im September 2006 das Projekt als nicht ausschreibungsreif gerügt und sich geweigert, ein Angebot abzugeben. Jasper sagte, anstelle der Stadt hätte sie eher noch gewartet, bis die Verträge mit Hochtief unterschrieben werden.

Nur am Rande interessierte sich der PUA dafür, dass der Name der Juristin im Zusammenhang mit mehreren Skandalen erwähnt wird. So hatte die 49-Jährige das umstrittene Gutachten verfasst, das Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) von der Verantwortung für den Tod von 21 Menschen bei der Loveparade 2010 freisprach. Und kürzlich beschlagnahmten Ermittler in der Kanzlei Ordner zu dem von Jasper betreuten Bauprojekt "Eurogate" in Duisburg.

Metin Hakverdi, SPD-Obmann im PUA, sprach die Juristin allerdings darauf an, dass ihre Kanzlei vor einigen Jahren ausgerechnet in das Gebäude einer Hochtief-Tochter gezogen war. Ob eine mögliche Interessenkollision geprüft worden sei, erinnere sie nicht, sagte Jasper. "Ich sehe das rechtliche Problem auch nicht."