In Hamburg steht ein Klohäuschen im Brennpunkt des Interesses, das für Obdachlose gebaut werden soll. Kosten liegen bei 500.000 Euro.

Hamburg. Es war die Woche, in der vor allem junge Leute weltweit gegen die Auswüchse der globalen Finanzwelt protestierten. Es war die Woche, in der die Sorge vor dem großen Crash in der Euro-Zone immer größer wurde und sich die Bundesregierung händeringend und zunehmend verzweifelt um Lösungen bemühte. In genau dieser Woche stand in Hamburg ein Klohäuschen im Brennpunkt des Interesses, das für Obdachlose und Touristen unter einer Brücke gebaut werden soll. Nicht der Abort selbst ist der Skandal, wohl aber der Preis von 500.000 Euro.

Nun lässt sich mit einer gehörigen Portion Wohlwollen noch anführen, dass die Debatte über die Bedürfnisanstalt unter der Kersten-Miles-Brücke in der Nähe der Landungsbrücken im weitesten Sinne das globale Thema der fortschreitenden Verarmung weiter Teile der Bevölkerung lokal abbildet. Verelendung und Obdachlosigkeit sind schließlich auch eine Folge der ungezügelten Zockermentalität der Finanzjongleure. Doch so viel argumentative Nachsicht gewähren sich nicht einmal die politischen Akteure der allein regierenden SPD selbst.

Tatsächlich ist bei dem Versuch, eine Lösung für den Aufenthalt einer überschaubaren Gruppe Obdachloser an einem zugegeben sehr sichtbaren Ort der Stadt zu finden, handwerklich so ziemlich alles schief gelaufen. Für Bürgermeister Olaf Scholz ist dieser Befund besonders schmerzhaft, weil er seine Amtszeit mit einem hohen Anspruch verknüpft hat. Zwar hat er nicht wie einst Helmut Kohl zu Beginn seiner Kanzlerschaft die geistig-moralische Wende ausgerufen. Scholz trat mit dem Versprechen an, gut zu regieren, was aus seiner Sicht einer geistig-moralischen Wende gleichkommt, weil der Sozialdemokrat seinen Vorgängern eben die Fähigkeit, gut zu regieren, absprach.

Die Woche im Rathaus

Ein halbes Jahr nach dem Regierungswechsel arbeitet der SPD-Senat sein Regierungsprogramm zwar routiniert ab. Gutes Regieren bemisst sich aber auch danach, wie erfolgreich eine Administration auf das reagiert, was nicht planbar ist. In die Kategorie Unvorhersehbares gehört der Fall des Klohauses unter der Kersten-Miles-Brücke. Der Ärger für die SPD begann damit, dass Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) einen Zaun um die illegale Übernachtungsstätte errichtete und die Obdachlosen damit aussperrte. Das war eine mit Senat und Bürgerschaft nicht abgestimmte Soloaktion des "Mitte-Sheriffs", wie er nun gelegentlich genannt wird. So etwas kann in der besten Administration passieren. Schnell war aber klar: Der Zaun passte nicht in das tolerante Selbstbild Hamburgs und musste folglich weg.

SPD-Bürgerschafts-Fraktionschef Andreas Dressel schob das Krisenmanagement an, rief einen runden Tisch ins Leben und gewann Ex-Staatsrat und -Bezirksamtsleiter Hans-Peter Strenge (SPD) als Moderator. Sogar der düpierte Schreiber saß mit am Tisch, neben Vertretern von Hilfsorganisationen, Bürgerverein und der Obdachlosenzeitung "Hinz & Kunzt". Vielleicht hätten sich Strenge und seine Mitstreiter mehr Zeit lassen sollen, bis sie ihre Vorschläge der Öffentlichkeit präsentierten. Statt Ende Oktober, wie zunächst angepeilt, legten sie die Frucht der Beratung schon Mitte des Monats vor. Jedenfalls ist es dem runden Tisch nicht gelungen, eine robuste Lösung zu finden, die standhält.

Im Gegenteil: Kaum waren die Ergebnisse bekannt, ging das Drama um die Obdachlosen an der Helgoländer Allee weiter. Zwar fordert der runde Tisch ein festes Regelwerk für die Gruppe unter der Brücke und mehr Sozialarbeiter vor Ort. Diskutiert wurde bald nur noch über einen einzigen Punkt: das Klo, das 500 000 Euro kosten soll.

Mit zwei mal sieben Plätzen plus Servicezimmer ist die Dimension recht großzügig bemessen, selbst wenn berücksichtigt wird, dass die Toilette nicht nur die Obdachlosen benutzen sollen, sondern auch die Touristen, deren Busse an den Landungsbrücken haltmachen. Trotzdem sind derart hohe Kosten öffentlich nicht vermittelbar. Scholz müssen die wenigen Haare angesichts dieses Vorschlags zu Berge gestanden haben. "... und dafür haben sie Geld!" Mit diesem voller Empörung vorgetragenen Satz, mit dem er die unsolide Finanzpolitik des schwarz-grünen Senats attackierte, hatte der Sozialdemokrat Wahlkampf gemacht. Und nun so etwas im eigenen Laden.

Die Kalkulation für das Klogebäude stammte aus der Stadtentwicklungsbehörde, hätte aber nie als einzige Zahl vom runden Tisch verwendet werden dürfen. Günstigere Varianten wären nötig gewesen. Bezeichnend ist, wie danach die Diskussion über die Finanzierung verlief. Der Bezirk Mitte winkte ab. Dafür sei kein Geld vorhanden. Auch die Stadtentwicklungsbehörde erklärte sich für nicht zahlungsfähig. "Keine Behörde hat dafür so viel Geld übrig. Und das bekommen wir auch nicht vom Finanzsenator", sagt ein SPD-Insider.

Schlecht sieht es auch mit dem Vorschlag des runden Tisches aus, Touristen und Obdachlose dieselbe Toilette benutzen zu lassen. Tourismus-Experten bezweifeln, dass es angesichts anderer Standorte in der Nähe überhaupt einen Bedarf gibt. Fraglich ist auch, ob es eine gute Idee ist, eine Einrichtung für beide Gruppen zu schaffen. Nun ist es die Aufgabe des Sozialsenators Detlef Scheele (SPD), die Kuh vom Eis zu holen. Scheele ist einer der engsten Vertrauten von Scholz. Die beiden "ticken" sehr ähnlich, sodass zu erwarten ist, dass Scheele eine möglichst "geräuschlose" und vor allem kostengünstige Lösung präsentieren wird, die Scholz' Erwartungen entspricht.

Das virtuelle Toilettenhäuschen, das in dieser Form niemals realisiert wird, hat damit eine beachtliche politische Karriere hinter sich. Anfangs lag das Thema "Obdachlose unter der Brücke" dort, wo es hingehört: im zuständigen Bezirk Mitte. Mit Dressels Einmischung und dem runden Tisch war die nächste Ebene erreicht. Jetzt muss sich die Fachbehörde und damit der Senat mit dem lokalen Problem befassen. Das ist das Gegenteil des Subsidiaritätsprinzips. Evokation nennt man das Recht des Senats, Themen der Bezirke, wie einen Bebauungsplan, an sich zu ziehen und in seinem Sinn zu entscheiden - vorausgesetzt, es liegt ein gesamtstädtisches Interesse vor. Ein Kollege sprach dieser Tage treffend vom evozierten Klohäuschen. Zum Wohle Hamburgs?