Jule Bleyer, Abendblatt-Redakteurin im Ressort Landespolitik, über den Konflikt zwischen Scheuerl und dem schulpolitischen Sprecher Heinemann.

Wäre es doch nur wie bei Doktor Faust, dem ach!, zwei Seelen in seiner Brust wohnten. Da war wenigstens klar, dass es ein großes Dilemma ist, in dem der gute Mann ob seiner Zerrissenheit steckte. Für einen, der das eine ebenso sehr will wie das andere, kann man Verständnis aufbringen - verbrannte ihm in seiner verzwickten Lage doch "schier das Herz".

Nun ist Walter Scheuerl gewiss kein melancholischer Typ, und wer wäre man, ihm ein zerrissenes Wesen zu wünschen. In Scheuerls Brust ist nur Platz für eine Seele, was wahrlich keine Tragödie ist - es sei denn, man sitzt in der CDU-Fraktion.

Dieser gehört Walter Scheuerl wohl an, sein Herz, wie jeder weiß, schlägt deshalb aber noch längst nicht für die CDU und deren Positionen. Man erinnere sich nur an vergangenen Dezember. "Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren", sagte Scheuerl damals über eine Mitgliedschaft in der CDU. Als Parteiloser vertritt er heute seine eigenen Standpunkte, egal, wie seine Fraktionskollegen dazu stehen. "Es ist ja nicht so, dass ich wie ein Parteisoldat meine Seele verkauft hätte", sagt Scheuerl. Angesichts der Verwirrungen, die das stiftet, hätte manch einer ihm aber sicher einen guten Preis geboten.

Robert Heinemann zumindest zahlt seinen Preis dafür, dass Walter Scheuerl macht, was er will. Und das auch laut sagt. Heinemann ist offiziell schulpolitischer Sprecher. Doch wenn der selbst ernannte Schulexperte und Vorsitzende des Schulausschusses Scheuerl spricht, hören eben auch alle hin. Nicht nur die anderen Fraktionen nehmen beide als zwei Sprecher wahr - die allerdings gern mal gänzlich unterschiedlicher Ansicht sind.

Jüngst war das beim Thema "Abschulen" der Fall. Vom kommenden Schuljahr an dürfen Schüler von der siebten Klasse an aufsteigend nicht mehr vom Gymnasium auf eine Stadtteilschule verwiesen werden, egal, wie schlecht ihre Noten sind. Das war schon 2006 Beschluss der Enquetekommission, so stand es 2008 im Koalitionsvertrag von CDU und GAL, und dahinter stehen die Christdemokraten auch noch heute. Nur Walter Scheuerl nicht. Er sieht darin einen gefährlichen Systemfehler. Das sagt er auch laut.

Die Folge ist ein offenes Zurechtweisen via Pressemitteilungen. Heinemann zeigt sich darin "verwundert" über die Stellungnahme Scheuerls und folgert: "Vielleicht liegt hier ein Missverständnis vor." Mitnichten. Scheuerl antwortet, es bleibe "Fakt, dass die Abschaffung des Schulformwechsels ein Systemfehler ist". Da klopft die Opposition sich natürlich auf die Schenkel, zumal in deren Bildungsszene bereits Wetten darüber laufen, wie lange es dauert, bis die CDU-Fraktion zu klein wird für zwei Charaktere wie Heinemann und Scheuerl. Wirklich groß, so feixt man, sei diese mit ihren 28 Mitgliedern ja gerade eh nicht. Lars Holster, der (einzige) schulpolitische Sprecher der SPD, erinnerte also daran, dass die Vereinbarung zur Abschulung Teil des Schulfriedens war. "Daran sollte sich die CDU erinnern und dies auch Herrn Scheuerl mitteilen."

Herrn Scheuerl beeindruckt das wenig, Herr Holster stehe wohl unter dem Einfluss der "heißen Sonne Griechenlands", wo dieser gerade urlaubt. Und überhaupt, was hat denn Walter Scheuerl mit der CDU zu tun? Möglichst wenig, sonst würde er Journalisten wohl kaum per Mail mitteilen, dass er soeben "als Person Walter Scheuerl, als parteiloser Abgeordneter" und für sein Netzwerk "Wir wollen lernen!" gesprochen habe, "also nicht für die CDU".

Walter Scheuerl ist, und das unterscheidet ihn von unserem tragischen Helden Doktor Faust, eben nicht zerrissen, nur weil er Mitglied der CDU-Fraktion sein will und gleichzeitig alle möglichen Gegenpositionen einnimmt.

Eine weitere bezieht sich auf die Unterrichtsstruktur an den Stadtteilschulen. Scheuerl fordert eine "klare äußere Differenzierung in Kurse mit Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialniveau spätestens ab der siebten Klasse". Robert Heinemann - und damit, halten wir das noch mal fest, auch die CDU - plädiert dafür, diese Entscheidung den Schulen zu überlassen.

Aber wo wären wir denn ohne die freien Köpfe im Parlament, die nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Denken wir nur an die Paulskirche. Nicht umsonst gilt die Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49, das erste demokratisch gewählte gesamtdeutsche Parlament, als die politische Versammlung schlechthin. Nie wieder wurde wohl so frei diskutiert. Allerdings auch nie wieder so endlos lange und chaotisch.

Chaos hatte die CDU nach dem Rücktritt von Ole von Beust wahrlich genug. Zwar seien "unabhängige Anregungen und Ideen immer willkommen", so Heinemann. Aber wer die Vorteile einer Fraktion, Dinge durchzusetzen, nutze, der müsse auch Kompromisse eingehen. Bei Roland Heintze, der sich als stellvertretender Fraktionschef in den internen Mailverkehr der beiden Schulpolitiker eingemischt hatte, klingt das ein bisschen deutlicher. Es sei wichtig, dass Scheuerl sich der internen Diskussion stelle, so Heintze. Und zwar bevor dieser seine Meinung öffentlich verkünde.

Ob so wohl auch über die Internetseite walterscheuerl.de diskutiert wurde, die kurz nach der Wahl online ging? Darauf verkündet Scheuerl seine "persönlichen Schwerpunkte" in der Bildungspolitik - diesmal in seiner Funktion als "Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft". Dort spricht er sich nämlich auch gegen die von der CDU gewollte Inklusion aus, also dagegen, dass Kinder mit Behinderungen auf Regelschulen gehen sollen. Förderschulen mit ihren besonders geschulten Pädagogen würden den Kindern besser gerecht werden. Dieses Thema will Scheuerl nach den Sommerferien verstärkt angehen. Die Wetten laufen.