Zwei Hamburger Lehrer über den Schulalltag und die tägliche Belastung, wie sie Erziehungsdefizite bei ihren Schülern auszugleichen versuchen.

Hamburg. Selbstbezogen, unkonzentriert und materialistisch - das ist das kritische Bild, dass deutsche Lehrer nach einer neuen Allensbach-Bildungsstudie von ihren Schülern zeichnen. Die Hälfte der Pädagogen glaubt sogar, dass sie zu wenig oder gar keinen Einfluss auf ihre Schüler haben.

Unterrichten sei in den vergangenen Jahren deutlich anstrengender geworden, auch weil die Anforderungen und Erwartungen an Lehrer gestiegen sind. Sie sollen nicht nur den Unterrichtsstoff vermitteln, sondern auch Werte, Lebenspraxis und soziale Kompetenzen.

Wir haben zwei Hamburger Lehrer zu ihrem Schulalltag, der täglichen Belastung und ihren Schülern befragt.

Katharina Willems, Lehrerin an der Stadtteilschule Stellingen

Natürlich gibt es Situationen, in denen ihre Schüler Katharina Willems an die Grenzen bringen. Wenn sie einfach nicht verstehen wollen, dass es wichtig ist, im Unterricht auch mal ruhig zu sein. "Ich fange dann einfach nicht an, stelle mich vor die Klasse und warte", sagt die 39-Jährige. Meistens klappt es. Seit vier Jahren unterrichtet Willems an der Stadtteilschule Stellingen Spanisch und Deutsch. "Die Schüler haben sich verändert, denn auch die Anforderungen an sie als eigenständige Persönlichkeiten sind größer geworden", so ihre Analyse. "Der Schonraum Kindheit ist kleiner geworden." Kinder müssten früher Eigenverantwortung übernehmen, alles im Gleichschritt zu machen, funktioniere nicht mehr. "Die Schule muss sich darauf einstellen, sonst verlieren wir die Schüler."

Dabei gehe es auch um eine veränderte Haltung der Lehrer, sagt die promovierte Erziehungswissenschaftlerin. Neben der Vermittlung von Wissen müsse die Schule Schülern grundsätzliche Werte wie Respekt oder Verantwortungsgefühl beibringen. Die Stadtteilschule in Stellingen, an der 1200 Schüler von Klasse 5 bis 13 unterrichtet werden, habe über die Jahre intensiv daran gearbeitet, das umzusetzen. Der individualisierte Unterricht wurde ausgebaut, Lehrer arbeiten in Teams, sogar ein Unterrichtsfach "Soziales Lernen" wurde eingeführt. Trotzdem fallen auch Schüler durch das Raster. "Das ist sehr frustrierend, wenn ich das Gefühl habe, dass ich gegen eine Wand laufe und ein Kind nicht erreiche", sagt Willems.

Gerade in diesen Fällen sei die Zusammenarbeit mit den Elternhäusern besonders wichtig. "Es gibt Eltern, die uns die Erziehung vollständig übertragen würden. So hilflos sind sie", sagt die Pädagogin. Das gehe natürlich nicht, aber wenn man im Kontakt sei, lasse sich viel verändern. Und dann erzählt sie von dem Mädchen, das im Unterricht oft schreckliche Wutausbrüche bekommen habe. Sie hat - in Absprache mit den Eltern - jetzt einen Wutball, um ihn in solchen Situationen zu kneten. "Das wirkt. Inzwischen machen das andere Kinder auch so."

Das hört sich positiv an, aber natürlich sieht Katharina Willems auch Defizite im täglichen Schulbetrieb. "Uns fehlt oft die Zeit. Es gibt einfach Probleme, die größer sind, als dass sie in einer großen Pause bearbeitet werden können." Das gelte auch grundsätzlich für die pädagogische Arbeit. "Ich wünsche mir mehr Ruhe, um Schule so weiterzuentwickeln, dass sie für jedes Kind die beste Ausgangsposition bietet."

Jörg Brockmann, Lehrer an der Schule Slomanstieg auf der Veddel

"Du hast mir gar nichts zu sagen." Das ist noch einer der harmloseren Sätze, die Jörg Brockmann zu hören bekommt. Seit 22 Jahren unterrichtet der Pädagoge an der Schule Slomanstieg auf der Veddel. "Die Respektlosigkeit ist deutlich größer geworden. Hemmungen gibt es immer weniger", sagt der 59-Jährige. "Oft erreichen wir die Schüler gar nicht mehr."

Da schwingt eine Menge Frust in der Stimme mit. Viele Kinder kämen ohne Frühstück in die Schule, seien übermüdet, weil sie bis in die Nacht oder auch schon morgens stundenlang am Computer gesessen hätten. "Da fehlt natürlich die Konzentration, auch mal länger an einer Aufgabe zu arbeiten." Zudem beobachtet Brockmann, der Sport unterrichtet und für Förderunterricht zuständig ist, dass Schüler häufig keine Schulsachen dabeihaben. "Ich habe das Gefühl, immer mehr wollen gar nichts lernen. Die kommen eigentlich nur, um ihre Freunde zu treffen." Natürlich betreffe das nicht alle. Aber wenn ein Fünftel in der Klasse so tickt, sagt der Lehrer, würden die anderen "angesteckt". Zwar versuche die Schule, dem mit neuen Lernformen, stärkerem Praxisbezug oder Ernährungsprojekten entgegenzuwirken, aber sein resigniertes Fazit lautet: "Den Wert des Lernens gibt es für viele Schüler nicht mehr."

In seiner Schule werden 450 Kinder von der 1. bis zur 9. Klasse unterrichtet. Es ist eine Ganztagsschule in einem sozialen Brennpunkt. Hier gibt es Mädchen, die gar nicht erst zum Unterricht kommen. Und aggressive Jungen, gegen die alleinerziehende Mütter schon lange nicht mehr ankommen. Familien, in denen Vater und Mutter so viel arbeiten, dass keine Zeit für die Kinder bleibt. "Es gibt immer mehr Eltern, die mit der Erziehung völlig überfordert sind", beobachtet Brockmann, der als aktives Mitglied der Lehrergewerkschaft GEW auch im Personalrat sitzt. "Das können wir nicht ausgleichen." Das Grundproblem sieht er darin, dass Lehrer als Wissensvermittler ausgebildet sind, inzwischen aber einen allgemeinen Erziehungsauftrag wahrnehmen sollen. "Damit sind viele Lehrer überfordert."

Auch er sei ziemlich desillusioniert darüber, was man in der Schule erreichen kann. "Wir brauchen mehr Zeit für Gespräche und weniger Unterrichtsverpflichtung." Seine Forderung: "Erzieher, Sozialpädagogen, Psychologen müssen an die Schulen, um sie zu zentralen Lernorten zu machen."