Mit sechs Jahren erkrankte Tim an der tödlichen Krankheit NCL. Sein Vater Frank Husemann engagiert sich für die Suche nach einem Medikament.

Hamburg. Als Sechsjähriger kam er vom Weg ab. Stürzte mit seinem Fahrrad in einen Bach. Weil seine Augen plötzlich versagten. Als Achtjähriger wusste er nicht mehr, wie sein Lieblingsteddy hieß. Weil sein Gedächtnis nachließ. Als Zehnjähriger stand er zu Hause weinend im Treppenhaus. Konnte die Stufen nicht mehr hinunterrennen. Weil ihm das Laufen schwerfiel.

Mittlerweile ist Tim 15 Jahre alt. Er ist komplett erblindet, sitzt im Rollstuhl. Seine Worte sind selbst für seinen Vater kaum noch zu verstehen. "Jeden Tag verliere ich meinen Sohn ein Stückchen mehr", sagt Frank Husemann, 44. "In etwa 15 Jahren wird Tim sterben, die Krankheit ist grausam."

Die Krankheit heißt Neuronale Ceroid-Lipofuszinose, kurz NCL. Ein unheilbarer Stoffwechseldefekt, eine äußerst seltene Erbkrankheit, die meist zwischen dem sechsten und siebten Lebensjahr auftritt. In Deutschland leiden etwa 300 junge Patienten an NCL, europaweit sind etwa 2000 Kinder davon betroffen. Ihnen allen fehlt ein wichtiges Strukturprotein, sodass Schadstoffe nicht aus den Nervenzellen abtransportiert werden können. Der Mangel des Eiweißstoffes führt also gewissermaßen zum "Verdrecken" der körpereigenen Energieproduzenten, der Mitochondrien. Sie sterben aufgrund eines Defekts im Gehirn langsam ab, wovon zunächst Augen, dann Gehirn und schließlich alle Organe betroffen sind - am Ende auch die lebenserhaltenden.

Das ist die medizinische Betrachtung. Die Alltägliche klingt so: "Mein Sohn entwickelt sich unaufhaltsam körperlich und geistig zurück", sagt Frank Husemann. "Irgendwann wird seine Lunge so verschleimt sein, dass er erstickt." Das Schlimmste sei, dass man nichts dagegen tun könne. "Ein Albtraum. Man ist gezwungen, den Verfall des eigenen Kindes, das früher wie alle Kinder ein echter Wirbelwind war, hilflos mit anzusehen."

Tatenlos will Frank Husemann, der in Norderstedt arbeitet und zusammen mit Tim, dessen beiden jüngeren, gesunden Geschwistern und seiner zweiten Frau im Nordosten von Hamburg wohnt, trotzdem nicht zusehen. Vor acht Jahren hat der Betriebswirt deshalb die gemeinnützige NCL-Stiftung gegründet, mit Sitz am Holstenwall. Wichtigstes Ziel ist die Erforschung und Früherkennung dieser Krankheit, die oft nur durch Zufall entdeckt wird.

Wie damals bei Tim. Ende 2001, der Junge radelte mit seinem Vater durch ein Waldstück. Tim klagte darüber, dass ihm alles so dunkel vorkomme. "Deine Augen müssen sich erst an die Lichtumstellung gewöhnen, das ist gleich vorbei", sagte sein Vater. Doch es sollte nie wieder vorbei sein. Tim bekam zunächst eine Brille - und sah dennoch von Monat zu Monat schlechter. Frank Husemann brachte seinen Sohn in die Kinderklinik des UKE. Nach einer Genanalyse stellten die Ärzte die Diagnose: NCL. Drei Buchstaben, die Tims Leben und das seiner Familie dramatisch veränderten. "Plötzlich war Tim ein Pflegefall", sagt sein Vater. Tims Mutter, von der sich Frank Husemann ein Jahr zuvor getrennt hatte, musste sich eingestehen, dass sie es emotional nicht schaffen würde, sich Tag und Nacht um Tim zu kümmern.

"Ich wusste also, dass ich Dinge verändern musste, um mehr für Tim da zu sein", sagt Frank Husemann. "Man muss die Diagnose akzeptieren und seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Sonst geht man selbst daran zugrunde."

Frank Husemann gab seine Stelle bei einer großen Unternehmensberatung auf, wechselte in einen etwas weniger reiseintensiven Job - und suchte ein neues, ebenerdiges Zuhause, in dem auch Raum ist für die separate Wohnung einer Heilpädagogin, die Tim betreut, wenn Frank Husemann arbeitet. "Das ist die beste, aber auch eine kostenintensive Lösung. So kann ich Tim weiterhin sein Zuhause geben, aber gleichzeitig auch mal Ruhe finden."

Mit Tim, der vormittags eine Hamburger Blindenschule besucht, macht Frank Husemann am Wochenende oft Ausflüge - mit einem speziell angefertigten Tandem haben Vater und Sohn schon Tausende von Kilometern zurückgelegt. "Vieles kann Tim körperlich gar nicht mehr machen, aber diese gemeinsame Zeit bereitet ihm viel Freude", sagt Frank Husemann.

Er kümmert sich in seiner Freizeit aber nicht allein um seinen Sohn, sondern auch um die von ihm ins Leben gerufene Stiftung, die sich aus Spenden finanziert und bei der ein promovierter Biochemiker fest angestellt ist. Er hat die Aufgabe, die weltweit verstreuten Forschungsprojekte zu vernetzen und dadurch Studienergebnisse so schnell wie möglich verfügbar zu machen. Fünf Doktorandenstellen fördert die Hamburger NCL-Stiftung - in der Hoffnung darauf, dass dadurch ein Medikament gegen die bisher unheilbare Krankheit entwickelt wird, obwohl die Pharmaindustrie aufgrund der geringen Zahl der Erkrankungen kaum aktiv ist. "Frühestens in zehn Jahren könnte es so weit sein", sagt Frank Husemann.

Für Tim wird es zu spät sein. Für Hunderte anderer kleiner Patienten käme das Mittel aber genau zum richtigen Zeitpunkt.

Weitere Informationen und eine Spendennummer der NCL-Stiftung unter www.ncl-stiftung.de